Zeit: Di 16:00 - 18:30 Uhr
Scheinvoraussetzungen:
- regelmäßige Anwesenheit (ab 3. Fehlen: Attest) und Mitarbeit
- mündliches Kurzreferat (10 Minuten) oder schriftliches Abstrakt (2-3 Seiten).
Themen werden von Herrn Schecker gestellt und behandeln Praxis-orientierte Problemstellungen der Linguistik.
Wichtig ist bei den Referaten und Abstrakts auch die gute Vermittlung des Themas!
Als Vorbereitungszeit sollten 1-2 Wochen eingeplant werden.- Abschlussklausur: in der letzten Sitzung (Mindestnote: ausreichend)
Zur Aufarbeitung des Lernstoffes:
- Tutorat
- Arbeit in Kleingruppen
- Skript unter www.neurolabor.de bzw. www.uni-freiburg.de/neurolab
Ansprechpartner:
- Herr Schecker
Sprechstunde Dienstags 10:15 - 11:30 Uhr in Raum 3530 (bitte vorher in das Sprechstundenbuch eintragen - befindet sich vor dem Geschäftszimmer des Deutschen Seminars).
E-Mail: Michael.Schecker@zfn-brain.uni-freiburg.de- Gabi Christmann: per e-mail: christma7@gmx.de
I Semiotische Grundlagen
II Systemlinguistik:
- 1. Lautlehre:
- Phonetik
- Phonologie- 2. Formenlehre
- Morphologie
- Syntax (Anm.1) I (Morphosyntax)- 3. Bedeutungslehre:
- Syntax II (semantische Syntax)
- (lexikalische) SemantikIII. Pragmatik (Anm.2): Anmerkungen
- Sprechakt-Theorie
- Konversationsanalyse
Anm. 1: Die Abfolge der Segmente einer Äußerung ist von Fall zu Fall ihrerseits bedeutungstragend. Bsp: 201 vs. 102
Anm. 2: Dementielle Patienten weisen gerade in diesem Bereich Probleme auf. Sprichwörter wie "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm" können nicht paraphrasiert werden, weil diesen Patienten zwar ein Verstehen der wörtlichen Bedeutung der einzelnen Wörter möglich ist, sie aber nicht zu einer Übertragung auf menschliche Lebensverhältnisse (das wäre ein Gegenstand der Pragmatik) fähig sind.
sekundär motorischer Cortex
hier sind die hochkomplexen Impulsmuster für die Artikulation der
einzelnen Laute gespeichert
¯
primär motorischer Cortex
... über Nervenfasern werden elektrische Signale an die Muskeln geschickt
¯
Bewegungsverläufe des artikulatorischen Apparates
d. h. Bewegungen der Muskeln, die sich "vergiftungsbedingt" kontrahieren:
die elektrischen Signale der Nerven
verursachen die Ausschüttung chemischer Botenstoffe an die Muskelfasern
¯
Schallereignisse
(= Luftdruckschwankungen)
Die motorischen Aktivitäten werden also auf verschiedenen Wegen an das sensorische Zentrum rückgemeldet. Das wiederholte Wahrnehmen des gleichen Lautes hinterlässt hier jedesmal Spuren, die allmählich Muster bilden. Das Kind entwickelt so nach und nach spezifische sensorische und - gekoppelt damit - motorische Muster für buchstäblich alle möglichen Laute (senso-motorische Muster). Erst wenn eine gewisse Differenziertheit der senso-motorischen Muster erreicht ist, beginnt das Kind, von anderen Lauteindrücken als den selbst produzierten also der von den Eltern produzierten Sprache zu profitieren: Es erkennt diese anderen Sprachlaute nun mittels der senso-motorischen Muster, die es ausgebildet hat (und das heißt immer auch, daß das Kind in der Lage ist, solche Laute motorisch-produktiv nachzumachen) Durch die elterlliche (oder sonstige) Umgebungssprache werden spezifische senso-motorische Muster verstärkt. Das Kind produziert ab jetzt auch selbst nur noch die Laute der Muttersprache, also die die es hört. Jetzt erst beginnt der eigentliche Lautspacherwerb; und er vollzieht sich rasend schnell bzw. ist binnen weniger Monate abgeschlossen. Das ist nur möglich, weil es sich ja letztlich nicht um einen Lernprozeß sondern um einen Selektions- und "Verlernprozeß" handelt: Das Kind verlernt ab jetzt nur noch all die Laute (senso-motorische Muster), die es für "seine" Sprache nicht braucht. Mit ca. sieben bis acht Jahren sind die nicht benötigten Muster gelöscht; bis dahin ist ein Kind z. B. relativ problemlos in der Lage, eine zweite oder auch dritte Sprache parallel (zusätzlich) zu erlernen. Das Kind erlernt von den Lauten der Muttersprache zunächst diejenigen, die am deutlichsten zueinander in Opposition stehen, d. h. den deutlichsten Gegensatz im äußerlichen Erscheinungsbild darstellen: "Mund auf" vs. "Mund zu" "a" vs. "m" oder "p". Dies gilt überall auf der Welt. (Das weitverbreitete "Mama!" entspringt also nicht der übergroßen Liebe des Kindes zu seiner Mutter sondern den Notwendigkeiten des Spracherwerbs.) Noam Chomsky vermutet hinter dem gesamten Spracherwerb ausschließlich Reifungsprozesse (nativistische Theorie): Die Sprache ist im Prinzip komplett angelegt und reift allmählich. Für den Erwerb der Sprachlaute mag das weitgehend zutreffen, Chomsky weitet diese Theorie jedoch auf die gesamte Sprache, also z. B. auch auf die Grammatik aus.durch intramuskuläre Sensorzellen (also im jeweiligen Muskel gelegen) durch extramuskuläre Sensorzellen (also an der Oberfläche des Muskels liegend) und natürlich akustisch, d. h. Wahrnehmung des außerkörperliche Geschehens durch das Ohr (kurz: Außenkörper)
auditive Phonetik: "Wie funktioniert die Lautwahrnehmung?" Relevant z. B. bei der Problematik der Mensch-Maschine-Interaktion, also z. B. der direkten Verarbeitung gesprochener menschlicher Sprache durch den Computer, sowie in der klinischen Linguistik, etwa für die Entwicklung der Cochlea-Implantate usw. akustische Phonetik: "Wie funktioniert die Schallübertragung?" artikulatorische Phonetik: "Wie funktioniert die Hervorbringung von Sprachlauten?" Diese letztere ist es auch, die uns im Folgenden nahezu ausschließlich beschäftigen wird.
bilabial: 'mit beiden Lippen'; Lippenlaut (im Deutschen nur durch Lippenschluß, als Plosiv oder Nasal (das meint die Art der Artikulation - vgl. dazu gleich folgend; einen Lippen-Reibelaut (Frikativ) gibt es nicht!)Der folgende Querschnitt durch den Artikulationsapparat verdeutlicht nochmals die Lage der einzelnen Artikulationsorte. Zunächst ein allgemeiner Überblick über die Sprechwerkzeuge (Lunge/Zwerchfell, Luftröhre mit den Stimmlippen [unten ist der betreffende Bereich hellgrün wiedergegeben], Mundhöhle/Gaumen/Zunge, Nasenhöhle):
labiodental: der Laut wird mit der (Unter-)lippe und den (oberen) Schneidezähnen gebildet (im Standarddeutschen nur Engelaute bzw. Frikative)
alveolar: Verschluß bzw. Enge/Frikativ wird mit der Zungenspitze (= apex, deshalb eigentlich ein apiko-alveolarer Laut) an den Zahnfleischtaschen (an den 'Alveolen') oben gebildet. - In Sprachen wie dem Englischen werden die entsprechenden Laute standardmäßig wohl an der Rückseite der oberen Schneidezähne (Zähne = dentes) gebildet, - wir sprechen dann auch von apiko-dentalen Lauten.
präpalatal: der Laut wird (mit dem Zungenrücken) am vorderen Teil d. harten Gaumens (= palatum) gebildet
mediopalatal: Lautbildung mit dem Zungenrücken am mittleren Teil des harten Gaumen.
velar: der Laut wird am weichen Gaumen gebildet (velum = das [Gaumen-]Segel)
glottal: der Laut (z.B. das [ h ] in "Uhu" oder der sog. Stimmlippen-Verschluß) wird mit Hilfe der Stimmlippen im Kehlkopf gebildet (Stimmlippen - Stimmritze - Glottis); dazu unten noch einige erweiternde Hinweise.
Die folgende Graphiken zeigt einen Querschnitt durch den Mund-Rachen-Bereich; der hintere Teil des dunkelgrün wiedergegebenen Gaumens ist der sog. weiche Gaumen bzw. das Gaumensegel, das hier den Weg der Atemluft nicht nur durch den Mund - also oral - sondern auch durch den Nasenraum - also nasal - freigibt:
In der nun folgenden (prinzipiell gleich aufgebauten) Graphik ist das Gaumensegel, das Velum, rot wiedergegeben und versperrt den Weg der Atemluft durch den Nasenraum; das ist z.B. die Stellung des Gaumensegels bei sämtlichen Verschlußlauten:
Die letzte Graphik dieser Reihe enthält die für das Deutsche wichtigen Artikulationsorte, wobei leider nicht unterschieden wird zwischen präpalatal und mediopalatal; umgekehrt spielt der post-alveolare Bereich, der uvulare Bereich (der letzte Rest des Gaumensegels, das sog. Zäpfchen) und der pharyngale Bereich für die deutsche Standardsprache keine Rolle:
Artikulationsart:
Verschlußlaut auch: Plosiv, Explosiv. Der Laut entsteht, indem bestimmte Sprechwerkzeuge (Lippen, Zungenspitze-Alveolen, Zungenrücken-Gaumen...) einen Verschluß bilden, d. h. sie stoppen den Luftstrom komplett und hindern ihn am Austreten (im übrigen muß dazu auch das sog. Gaumensegel bzw. das Velum gehoben und so der Durchgang durch die Nase geschlossen werden - ich komme darauf zurück). Bei kontinuierlich herausgepreßter Luft steigt der Luftdruck hinter dem Verschluß, steigt immer weiter an; kurz bevor der Verschluß durch den zu hohen Luftdruck "gesprengt" würde, wird er willentlich geöffnet, und die angestaute Luft strömt "explosionsartig" aus.
Reibelaut auch: Engelaut, Frikativ. Der Laut entsteht, indem bestimmte Sprechwerkzeuge (wieder etwa Zunge-Alveolen oder Zungenrücken-Gaumen) einen engen Spalt bilden, der den Luftstrom beim Austreten behindert: In der Verengung wird (durch die Verengung bei gleichbleibendem Quantum ausströmender Luft) die Strömungsgeschwindigkeit der austretenden Luft erhöht und es kommt zu mehr oder weniger starken Verwirbelungen der Luft, die entsprechend mehr oder weniger deutlich als sog. "Geräusche" zu hören sind ("Geräusche" für unregelmäßige Luftdruckschwankungen oder Schallwellen im Unterschied zu Tönen als regelmäßigen Luftdruckschwankungen oder Schallwellen).
Affrikate sozusagen "zerstörte Verschlußlaute". Der Laut entsteht, indem wie bei den Plosiven ein Verschluß gebildet wird, der dann durch den steigenden Luftstrom gesprengt wird, so daß zunächst ein ganzer Schwall, dann ein kontinuierlicher Strom von Luft ausströmt. Vermutlich sind die Affrikaten tatsächlich aus zunächst nicht willentlich geöffneten Plosiven entstanden, wurden dann aber in das Lautinventar der deutschen Sprache übernommen (müßte ein gutes Beispiel für die Entstehung von Konventionen sein...)
Nasal Der Laut entsteht, indem oral ein Verschluß gebildet wird; doch wird nasal kein Verschluß gebildet; das Gaumensegel bleibt gesenkt; die Luft kann (ausschließlich) durch den Nasenraum entweichen. - Man vergleiche hierzu auch nochmals die Verschlußlauten. - Wie das gemacht wird, Heben oder Senken des Gaumensegels? Nun, das kann man durchaus willentlich als einzelne artikulatorische Teilbewegung durchführen; wenn man während des Sprechens durchgängig das Gaumensegel gehoben hat und so den Durchgang durch den Nasenraum durchgängig geschlossen hält, dann ergibt das den sog. "Schnupfenton".
fortis die Luft strömt mit großem Druck aus
lenis die Luft strömt mit geringem Druck aus
stimmhaft Stimmlippen liegen eng aneinander an, so daß sie durch die ausströmende Atemluft in Schwingung versetzt werden. Dieses Vibrieren erzeugt den Ton.
stimmlos Stimmlippen geöffnet, die Atemluft strömt ungehindert durch den Kehlkopf (wobei allerdings grundsätzlich gewisse Verwirbelungen und damit "Geräusche" entstehen)
Noch ein Wort zu den sog. Stimmlippen: Es handelt sich um zwei im Kehlkopf gelegene bzw. aufgespannte Hautlappen, die willentlich geöffnet oder geschlossen werden können und so die Laute stimmlos bzw. stimmhaft werden lassen. - Es soll zunächst der Aufbau des Kehlkopfs und der darin aufgespannten oder aufspannbaren Hautlappen bzw. Stimmlippen/Stimmbänder skizziert werden (auch die folgenden vier Graphiken sind dem Phonetik-Kapitel der "interaktiven Einführung in die Linguistik" im Hueber-Verlag entnommen):
Die Darstellung bietet einen Blick von hinten auf die Luftröhre und dann den Kehlkopf;
hier geht es um die beiden Stimmbänder oder Stimmlippen (die beiden Ausdrücke meinen
dasselbe), die vorne (im Bild hinten) gewissermaßen in der Mitte an einem Knorpel
(Ringknorpel) festgemacht sind und hinten (im Bild vorne) auseinandergehalten oder
zusammengeführt werden können.
Diese Darstellung, die den Kehlkopf von vorne zeigt, zeigt gut die Lage des Ringknorpels. - Die hinteren Enden der Stimmlippen oder Stimmbänder sind an den sog. Stellknorpeln festgemacht, die ich mithilfe seitlich verlaufender Muskeln auseinanderziehen oder aber zusammenziehen kann (dann schließe ich die Stimmlippen, und gegebenenfalls bedeutet das, daß kein Luft mehr durch die Luftröhre nach oben entweichen kann.
Die Darstellung unten zeigt skizzenartig den Zustand, der eintritt, wenn ich die beiden Stimmlippen oder Stimmbänder mithilfe der Stellknorpel zusammenziehe und damit gewissermaßen die Luftröhre verschlließe:
Stimmhaftigkeit bzw. das Flattern der Stimmbänder entsteht nun dadurch, daß sich hinter
den geschlossenen Stimmlippen der Luftdruck der ausströmenden Atemluft solange erhöht,
bis dadurch die Stimmbänder auseinandergedrückt werden - um aufgrund ihrer Eigenspannung
danach wieder zusammen zu kommen. - Wiederholt sich das, dann entsteht so etwas wie ein
Flattern der Stimmbänder, - hinter bzw. oberhalb der Stimmbänder kommt es zu einem
regelmäßigen Wechsel des Luftdrucks (= Schallwellen.
Der folgende Überblick faßt die verschiedenen Möglichkeiten zusammen, die
Stimmlippen einzustellen und damit die Lautbildung mithilfe der Stimmlippen zu
beeinflussen:
(a) Die Stimmlippen sind weit geöffnet bzw. entspannt (Ruhestellung). Die Atemluft kann ungehindert passieren. Dennoch entstehen leichte Verwirbelungen der ausströmenden Atemluft, die bei hinreichend viel ausströmender Atemluft hörbar sind und den konsonantischen Laut [ h ] wie in "Uhu" ergeben.
(b) Hier ist der Durchgang zwischen den beiden Stimmlippen verkleinert. Bei gleichbleibendem Quantum an ausströmender Atemluft wird auf diese Weise die Strömungsgeschwindigkeit erhöht, - die Verwirbelungen werden deutlich stärker und sind besser hörbar. - Spreche ich mit so eingestellten Stimmlippen, dann ist das auch als "Bühnenflüstern" bekannt: Ich flüstere, bin aber auch in einem großen Schauspielhaus immer noch auch in der letzten Reihe zu hören.
(c) Hier liegen nun die Stimmlippen leicht aneinander und werden so gehalten (also nicht bewegt). Da der Durchgang jetzt verschlossen ist, entsteht vor den geschlossenen Stimmlippen (darunter) Überdruck, der schließlich die Stimmlippen auseinanderdrückt und entweicht. Die Stimmlippen schließen sich danach auf Grund der Eigenspannung des Gewebes wieder, und das gleiche Schaupsiel wiederholt sich, - wir sprechen davon, daß die Stimmlippen flattern (= Stimmhaftigkeit) und bezeichnen diese Einstellung als "Stimmton(einstellung)".
(d) Hier werden nun die Stimmlippen mit Kraft gegeneinandergehalten. Auch hier entsteht daraufhin unterhalb der Stimmlippen Überdruck, und zwar recht hoher Überdruck, gut vergleichbar der Situation, wenn ich beide Lippen zusammenpresse und einen bilabialen Verschluß bilde. Und genau wie bei einem solchen bilabialen Verschluß öffne ich auch hier die beiden Stimmlippen, kurz bevor mir der Überdruck der sich anstauenden Atemluft den Stimmlippen-Verschluß zerstört. - Wir sprechen vom Stimmlippen-Verschluß, wie er vorliegt z.B. in "den Bau erkennen" (in Opposition zu "den Bauer kennen").
Im folgenden sollen die Möglichkeiten der Lautbildung, die bisher erörtert wurden, also die Möglichkeiten der Ausbildung eines Konsonanten, nochmals im Überblick zusammengefaßt werden (wobei wir uns auf die zentralen Lautgruppen - vor allem auf Verschlußlaute und Frikative - begrenzen). Dabei werden zugleich die verschiedenen Lautbildungen mithlfe eines Spezialalphabets, des API (Association Phonétique Internationale), wiedergegeben. - Daß es sich bei den entsprechenden Alphabetzeichen nicht um das normale Alphabet handelt, sieht man schon allein daran, daß die entsprechenden API-Zeichen in der Regel in eckigen Klammern wiedergegeben werden:
in den eckigen Klammern [] : Lautschriftzeichen API (Association Phonétique
Internationale)
Ein verwirrendes Phänomen ist der Buchstabe "h", welcher in Wörtern wie Haus ausgesprochen und somit in der Lautschrift mit [ h ] dargestellt wird. Es kann sich aber auch um ein sogenanntes Dehnungs-h handeln, welches anzeigt, dass ein Vokal lang ausgesprochen werden soll, so zum Beispiel in "lehren". Einen h-Laut hört man hier nicht; vielmehr besagt das "h" lediglich, daß das vorangehende "e" gesprochen-sprachlich ein Langvokal ist.1. Grundsätzlich sind lenis-Frikative immer stimmhaft und fortis-Frikative immer stimmlos. - Fortis-Laute können ganz generell nicht stimmhaft sein, weil ein entsprechend erhöhter Luftdruck die Stimmlippen nicht mehr regelmäßig schwingen lassen würde. 2. Anlautend sind im Deutschen die lenis-Verschlüsse stimmlos (Bsp. Bad). Diese stimmlosen Laute werden mit einem Kringel, der unter ihnen plaziert ist, gekennzeichnet (Bsp. "Bad", "Dorf", "ganz"). Im Französischen sind solche lenis-Verschlußlaute zu Wortbeginn stimmhaft (Bsp. bain). Im Kontakt mit stimmhaften Lauten werden diese lenis-Laute jedoch auch im Deutschen stimmhaft gesprochen.. 3. Aspirierte Konsonanten werden durch ein hochgestelltes h gekennzeichnet. Daß ein Konsonant aspiriert wird, heißt, daß die Luft bis zum folgenden Laut (so bei Vokalen) oder im Auslaut eines Wortes oder einer Silbe eine gewisse Zeit ungehindert entweichen kann. - In betonten Silben ist die Aspiration gesteigert (Bsp. "Tante").
Im obigen Schema fehlt das "L". Dieser Laut nimmt im deutschen Lautsystem eine Sonderstellung ein. Artikulatgionsart: "Lateral" oder "Liquid"; d.h., daß er am ehesten einem Reibelaut vergleichbar ist wobei die Zungenspitze hochgezogen wird und die Luft links und rechts an der Zunge vorbei strömt.
"Papa" >>>
"Garage" >>>
"Rachengold" >>>
"die wärmsten Socken" >>>
"Junge" >>>
Der Ausdruck "gespreizt" meint im Standarddeutschen eine entspannte
Lippenstellung, die Ruhestellung der Lippen; dagegen steht das "Ansatzrohr",
daß ich mit den Lippen etwa bei den 'o-Lauten' oder den 'u-Lauten' bilde (=
"gerundet"). - In der obigen Wiedergabe sind alle "gerundeten" Laute
auf der hinteren Ebene plaziert, - gleichsam als ob ich sie - wie meine Lippen - von mir
wegschieben würde.
Bisher hatten wir uns im Rahmen der Phonetik mit der materiellen Seite der Laute (also deren Produktion, Verbreitung im Raum und Perzeption) befasst. Schon bei dem Exkurs über den Lautspracherwerb bei Jakobson wird jedoch klar, dass diese Laute auch aus einer funktionalen Perspektive betrachtet werden müssen: Laute werden produziert um Bedeutung zu vermitteln ! Mit der Frage wie mit Hilfe von Lauten Bedeutung vermittelt wird befasst sich die Phonologie.
Erinnern wir uns: Auch wenn ein Kind in der Lallphase spontan eine Vielzahl von Lauten produziert, so wird mit Hilfe dieser Laute noch keine Bedeutung vermittelt. Lautketten gewinnen erst an Bedeutung, wenn die verwendeten Laute in Opposition zu anderen Lauten des selben Sprachsystems stehen. Eine solche Opposition erkennt man, wenn durch das Austauschen zweier Laute eine andere Bedeutung entsteht. Konkret gesagt: Es muss eine Opposition zwischem dem Laut k und dem Laut t bestehen, denn wenn ich bei dem Wort Katze den Laut k durch den Laut t ersetze (Tatze) entsteht eine vollkommen andere Bedeutung. Genau dieser Sachverhalt wird in der Phonologie mit Hilfe entsprechender Fachtermini erklärt:
Ein Phon ist also ein nicht weiter klassifizierter Laut, eine Lautbildung, die noch nicht nach Funktionalität unterschieden ist. Von Phonen spricht man so lange es nur um die Segmentierung einer Lautkette geht. Es werden rein materiell unterschiedliche Laute voneinander getrennt.
Ein Phonem hingegen ist ein klassifizierter Laut, d. h. es wurde mit Hilfe eines Minimalpaares (wie zum Beispiel Katze-Tatze) festgestellt, daß in einer Kette von Lauten (...einem Wort...) ein Bedeutungsunterschied entsteht, wenn man diesen einen Laut durch einen anderen ersetzt. Hier handelt es sich um eine funktionale Betrachtung von Sprache (Frage: Tritt eine Bedeutungsänderung ein, wenn ich in einem Wort an einer Stelle einen Laut durch einen anderen ersetze?). So gesehen ist ein Phonem die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer Sprache.
Nicht alle sich unterscheidenden Laute sind jedoch bedeutungsunterscheidend. Das wäre auch nicht praktikabel, denn jeder Sprecher produziert einen bestimmten Laut etwas anders als ein anderer- ja, sogar wenn ein und derselbe Sprecher denselben Laut produziert, klingt das nicht haargenau identisch. Ein Phonem ist also ein abstraktes Konstrukt, dass eine gewisse Varianz zuläßt- solange nicht eine Grenze überschritten ist, die zu einer Bedeutungsänderung führt. Bei diesen Varianten eines Phonems spricht man von Allophonen.
Allophone lassen sich in kombinatorische und frei wählbare Varianten unterscheiden.
Bei kombinatorischen Allophonen wird die Ausformung der Variante durch eine Regel bestimmt. Das heißt: in einem bestimmten lautlichen Kontext muss immer eine bestimmte Variante gewählt werden. So gibt es offenbar für (manche) Allophone wie z. B. aspirieretes vs. nicht aspiriertes /k/ - feststehende Regeln, wann sie verwendet werden: das eine vor Vokalen, das andere vor Konsonanten. D. h. wo das eine Allophon steht, darf korrekterweise das andere nicht stehen und umgekehrt das nennt man komplementäre Distribution oder komplementäre Verteilung.
Es gibt aber auch Allophone, für die es keine Regeln gibt, wann welches Allophon steht. Ein Beispiel hierfür wären die Allophone des /r /-Phonems: Ob ich "Recht", "Rübe", "Rhabarber" etc. mit frikatives Rachen-R, [r ] (rollendes Zäpfchen-R) oder [R ] (Zungenspitzen-R) spreche ist völlig egal und folgt auch keiner Ausspracheregel (es verrät allenfalls etwas über die Herkunft des Sprechers Zungenspitzen-R wird v. a. im bayerischen Dialektraum gesprochen). Solche Allophone nennt man frei wählbare Allophone.
...und Morphologie
Die Begriffe der Phonologie finden ihre direkte Entsprechung in der Morphologie:
Dem Phon entspricht das Morph,
" Phonem " Morphem,
" Allophon " Allomorph.
So wie sich die Phonologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der einzelnen Sprachlaute (Phoneme) beschäftigt, so beschäftigt sich die Morphologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der nächstgrößeren Einheit, den Morphemen.
Demnach ist ein Morph eine noch nicht weiter klassifizierte Lautfolge.
Ein Morphem ist eine nach ihrer funktionalen Bedeutung klassifizierte bedeutungstragende Lautfolge, ein (Bestandteil eines) Wort(es), das genau einen Inhalt, eine Bedeutung transportiert. Es kann keine weitere Segmentierung stattfinden, ohne dass die Bedeutung zerstört wird. Ein Morphem ist also die kleinste bedeutungstragende Einheit einer Sprache und somit nach dem DeSaussur´schen Modell das kleinste sprachliche Zeichen.
Jedes Wort besteht also aus einem oder mehreren Morphemen:
"Auto|s" besteht aus zwei Morphemen:
1. Auto-: "motorgetriebenes, vierrädriges Fahrzeug"
2. 2. s: "Plural; mehr als eines"
"Boot|e" besteht auch aus zwei Morphemen:
1. Boot-: "kleines Wasserfahrzeug" o. ä.
2. e: "Plural; mehr als eines"
"lach|-|st" besteht aus drei Morphemen:
1. lach-: "Lautäußerung, die Heiterkeit ausdrückt"o.ä.
2. ø-: sog. Nullmorphem: "Tempus: Präsens"
3. st: "Numerus: 2. Pers. Singular"
"lach|t|est" besteht auch aus drei Morphemen: 1. lach-: wie oben
2. t-: "Tempus: Präteritum"
3. est: "Numerus: 2. Pers. Singular"
Bei Allomorphen handelt es sich um phänomenologisch verschiedene Lautfolgen (also aus jeweils anderen Lauten bestehend), die aber die gleiche Funktion, also die gleiche Bedeutung haben, und deshalb zu ein und dem selben Morphem gehören. So sind alle Morpheme, die die Bedeutung "Plural" transportieren ( Kind-er, Katz-en, Auto -s, Hai -e) Allomorphe des Plural-Morphems.
Wie es bei den Phonemen die kombinatorischen Allophone gibt, so gibt es entsprechend bei den Morphemen die kombinatorischen Allomorphe. Diese Variationen sind durch den lautlichen oder grammatischen Kontext determiniert. Beispiele hierfür sind die beiden Allomorphe s ("Auto/s") und e ("Boot/e") des Plural-Morphems sowie die beiden Allomorphe st ("lach/st") und est ("lach/t/est") des 2.Pers.Sing.-Morphems aus dem obigen Beispiel: Auch wenn sie jeweils das selbe bedeuten, kann ich sie selbstverständlich nicht beliebig verwenden; welches ich verwenden muß, hängt wiederum davon ab, in welcher Umgebung es steht, konkret: welchem lexikalischen Morphem (s. u.) es die Bedeutung "Plural" anfügen soll "Autoe" ist eindeutig falsch, auch wenn e im Prinzip das selbe bedeutet wie s. Ob ich als 2.Pers.Sing.-Morphem st oder est verwende, hängt mit der lautlichen Umgebung zusammen: "normalerweise" verwende ich st; wenn aber dieses apiko-alveolare Lautcluster auf ein Morphem folgen würde, dessen Schlußlaut am selben Artikulationsort gebildet wird (wie z. B. das Präteritum-Morphem t) und eine gewisse Unterscheidungsdeutlichkeit nicht mehr gegeben wäre, dann muß ich statt dessen est wählen.
Auch die kombinatorischen Allomorphe sind also komplementär verteilt: "Wo das eine stehen muß, darf das andere nicht stehen" und umgekehrt: ich sage weder "lach|t|st" noch "lach|( |est" (außer wenn ich mich betont "geschwollen" ausdrücken will...).
Es gibt auch (wenn auch nur sehr, sehr wenige) frei wählbare Allomorphe. "Tür" und "Türe" wären Beispiele hierfür: Ganz egal wo, wie, in welchem Zusammenhang die Varianten sind immer beide möglich und richtig, und es bleibt meinem Geschmack überlassen, wofür ich mich entscheide.
Während Allomorphe sich dadurch auszeichnen, dass unterschiedliche Lautseiten den gleichen Inhalt repräsentieren, gibt es auch das entgegengesetzte Phänomen. Homonyme Morphe lauten gleich, erfüllen aber unterschiedliche Funktionen. Ein Beispiel hierfür wäre die Endung en, die zum einen den Plural bei bestimmten Substantiven ausdrücken kann (Frau-Frauen), zum anderen aber auch im Verb als Endung des Infinitifs (gehen) und der 3. Person Plural (wir gehen) auftreten kann. Grade bei grammatischen Morphemen (s.u.) sind diese Doppeldeutigkeiten recht häufig.
Auch bei den Morphemen gibt es Sonderfälle:
Unikale Morpheme sind Morpheme, die im Wortschatz nur in einer einzigen Kombination auftreten und somit außerhalb dieser Kombination keine Bedeutung haben. Beliebte Beispiele sind die Him- und die Brom-beere.
Gerade im
Französischen gibt es auch noch diskontinuierliche
Morpheme und Amalgame/Portemanteau-Morpheme. Bei diskontinuierlichen Morphemen ist bei
einer Inhaltsseite die zugehörige Ausdrucksseite in zwei Teile auseinandergezogen
wie bei den Verneinungspartikeln ne...pas, ne...plus, usw. Im Gegensatz dazu sind bei
einem Amalgam zwei Inhaltsseiten in eine
Ausdrucksseite zusammengeschmolzen. Aus der Verbindung zwischen Genitiv de und
dem bestimmten Artikel (maskulinum, Singular) le wird die Form du.
Die Funktion welche ein Morphem im Satz erfüllt, läßt sich nach zwei Kriterien definieren:
- grammatisch vs. lexikalisch
- frei vs. gebunden
Lexikalischen Morpheme sind Morpheme die ein Concept benennen; also Ausdrücke mit eigener Sinnbedeutung. Vereinfachend gesagt beziehen sich auf die Dinge der Umwelt; sie sind gewissermaßen die Namen der Gegenstände. Lexikalische Morpheme sind Morpheme wie Türe-, Boot-, lach-, ängst- (von "ängst|lich", "ängst|igen"...) kauf-, schnell- ... Die Klasse der lexikalischen Morpheme ist offen, d. h. sie ist im Prinzip jederzeit und beliebig erweiterbar. So sind in den letzten Jahren lexikalische Morpheme wie "e-mail-", "blade-" , usw. entstanden.
Bei grammatischen Morpheme handelt es sich um um allgemeine, häufige Einheiten, die syntaktischen Beziehungen zwischen lexikalischen Morphemen regeln. Die meisten grammatischen Morpheme drücken bestimmte grammatische Relationen wie Tempus, Numerus und Genus bei den Verben oder Kasus bei den Substantiva aus in Form von Affixen aus (Präfix, Infix, Suffix). Beispiele hierfür sind Affixe wie: -e, -s, ... für Plural, -t- für Präteritum, -st, -est für 2.Person Singular,... Aber auch Artikel (wie z. B. "der", "ein", "des ) und teilweise auch Pronomina werden den grammatischen Morphemen zugeordnet. Die grammatischen Morpheme sind eine zumindest recht eng geschlossene Klasse; das heißt, dass nur sehr selten ein neues grammatisches Morphem zu den schon existierenden hinzukommt.
Die Zuordnung als lexikalisches oder grammatisches Morphem ist in einigen Fällen umstritten, da es viele Grenzfälle gibt. Zum Beispiel kann wir sowohl als lexikalisches (Beispiel: Wer ist da? Wir!) als auch als grammatisches Morphem (Wir gehen) eingestuft werden.
Die Unterscheidung zwischen freien und gebundenen Morphemen ist weniger umstritten. Ein freies Morphem ist ein Morphem wie Tisch oder Bein, das alleine stehen kann. Gebundene Morpheme können hingegen nicht alleine stehen und sind davon abhängig mit einem freien Morphem verbunden zu sein. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Him-beere.
Die zweifache Gegliedertheit der Sprache nach A.
Martinet
André Martinet, ein Strukturalist der Pariser Schule, erkannte eine herausragende Eigenschaft der natürlichen Sprachen - nämlich ihre zweifache Gegliedertheit (double articulation): Sie sind erstaunlich ökonomisch, weil sie sich auf zwei Ebenen organisieren. Dies gilt jedoch nur für Sprachen, die sich einer Buchstabenschrift bedienen! In diesen sogenannten Alphabethschriften wird ein Phonem meist auch durch einen Buchstaben, ein Graphem, repräsentiert.
Auf der kleinsten Ebene, der der Phoneme, bestehen diese Sprachen aus Einheiten, die selbst keine Bedeutung haben, aber bedeutungsunterscheidend sind. Das aus diesen kleinsten Einheiten bestehende Phoneminventar, welches alle in einer Sprache produzierten Phoneme beinhaltet, ist extrem begrenzt und besteht aus 25-35 Elementen.
Durch Kombination dieser kleinsten Einheiten entstehen nächstgrößere Einheiten: die Morpheme. Durch unterschiedliche Kombination der Phoneme entstehen schier unendlich viele Morpheme, und somit auch Wörter. Begrenzt ist diese scheinbare Unendlichkeit nur durch Silbenbildungsregeln, die bestimmte Phonemkombinationen unterbinden. Im Durchschnitt beherrschen wir ca. 10.000 Morpheme (die sich aus nicht mehr als 25-35 Phonemen aufbauen!).
Ein vollkommen anderes Bild ergibt sich bei den Bildschriftsystemen (logographische Systeme). Im Chinesischen zum Beispiel wird jedes Morphem durch ein entsprechendes Bildschriftzeichen dargestellt. Einige Zeichen sind ikonisch (abbildend), teilweise werden sie auch nach dem Kompositionsprinzip gebildet: So bedeutet ein Schriftzeichen, welches einen Baum darstellt Baum. Besteht das Schriftzeichen jedoch aus mehreren Bäumen, so handelt es sich logischerweise um das Zeichen für Wald. Trotzdem, wenn man sich vor Augen führt, dass um 10.000 Morpheme zu beherrschen- 10.000 Bildschriftzeichen erlernt werden müssen, so ist es offensichtlicht, dass Buchstabensysteme um einiges ökonomischer sind also einen viel geringeren Lernaufwand mit sich ziehen. Diese Tatsache zeigt sich zum Beispiel daran, dass ein deutsches Kind gerade einmal 1-2 Jahre braucht um die Alphabethschrift zu erlernen. Ein chinesiches Kind hingegen braucht viele Jahre um mit der Bildschrift ausreichend vertraut zu sein. So ist ein chinesischer Schüler erst ungefähr zum Zeitraum des Abiturs dazu fähig eine Tageszeitung zu lesen. Der Lernprozess ist jedoch nie abgeschlossen.
bedeutungsunterscheidend |
Bedeutungstragend |
~ 30 Phoneme; dem entsprechen ~ 30 Grapheme (Buchstaben) in den Alphabetschriftsystemen |
~ 10.000
Morpheme; dem entsprechen ~ 10.000 Grapheme in den Bildschriftsystemen. |
Unsere Alphabetschrift geht ursprünglich auf die Phönikier zurück; die Römer
übernahmen deren Schriftsystem und änderten es bis (annähernd) zur heutigen Form ab.
Syntax
Wie wir eben gesehen haben, setzen sich Alphabetsprachen funktionell aus Graphemen und Morphemen zusammen. Morpheme sind dabei die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache. Liegt da nicht der Schluss nahe, dass die Bedeutung eines Satzes aus der Summe dieser Einheiten besteht?
Das hieße also: A (Morphem a) + B (Morphem b) + ...
= X (Bedeutung von Satz x)
Somit wäre die Gesamtbedeutung eines Satzes gleich der Summe der Teilbedeutungen und zwar unabhängig von deren Reihenfolge (denn A + B ist ja bekanntlicherweise das selbe wie B + A).
Dies enspricht jedoch nicht der Realität :
Wie liessen sich denn dann Audrücke wie « Kindergarten » erklären ? Ist ein Kindergarten ein Garten der aus Kindern besteht ? Es ist noch nicht einmal ein Garten, in den Kinder gehen, sondern eine Institution bei der man seine Kinder zu bestimmten Zeiten beaufsichtigen lassen kann. Hier handelt es sich also um eine Bedeutungsübertragung : Ein Kindergarten heisst vermutlich Kindergarten, weil a) viele Kinder dort hingebracht werden und diese Kinder dort (zumindest in den meisten Kindergärten) auch manchmal gemeinsam draußen (also in einer Art Garten) spielen können.
Neben der Bedeutung, die die einzelnen Segmente einnehmen, trägt auch die Ordnung der Segmente zur Gesamtbedeutung bei. Als Suprasegmentalia bezeichnet man inhaltsentscheidungsrelevante Merkmale einer sprachlichen Äußerung, die nicht segmentierbar, nicht aus dem linearen Redefluss als Teile herauslösbar sind (wie das die Phoneme und Morpheme waren. Solche Suprasegementalia sind Intonation, Akzent und Reihenfolge.
An der Intonation erkennen wir ob es sich bei dem Satz « Klaus kommt » um eine Aussage oder um eine Frage handelt.
Die Aktzentuierung einer bestimmten Silbe unterscheidet zwischen Wörtern wie « umfahren » und « umfahren ».
Was die Reihenfolge angeht so ist ein Faß/bier etwas vollkommen anderes als ein Bier/faß. Der Satz « Klaus kommt. » ist ein Aussagesatz, während « Kommt Klaus. » bei entsprechender Intonation eine Frage ist. Besonders eklatant zeigt sich die Bedeutung der Reihenfolge bei den Zahlwörtern (102 ± 201). Im Falle der Zahlwörter gilt offenbar: wenn das kleinere Zahlwort (z. B. /zwei/) vor dem größeren Zahlwort (z. B. /hundert/) steht, bedeutet dies "Multiplikation!" (201 = 2 x 100 + 1). Steht das größere Zahlwort vor dem kleineren Zahlwort steht, bedeutet das "Addition!" (102 = 100 + 2).
Gerade diese Abfolgemuster sind häufig schwer erkenntlich. Auf den ersten Blick liesse es sich zum Beispiel vermuten, dass ein Aussagesatz in der 1. Subjekt und 2. Verb ausdrückt, wie in Klaus sagt. So einfach ist das jedoch nicht, denn was wird dann aus den Aussagesätzen: Gestern kam Klaus zu mir (das Verb steht vor dem Subjekt). Und wie läßt es sich erklären, dass es Fragesätze mit derselben Struktur gibt (Bsp. Doch kam er wirklich?).
Auf diese Fragen kann uns das nächste Kapitel Antworten liefern.
Taxonomischer Strukturalismus und IC-Analyse
Der Strukturalismus hat eine Methodik entwickelt, mit der solche Strukturen sichtbar und nachvollziehbar gemacht werden sollen. Der sogenannte taxonomische Strukturalismus hat seinen Ursprung in der Erforschung der nordamerikanischen Indianersprachen, die in den 1920er Jahren vor allem durch Bloomfield u.a. durchgeführt wurden. Man versuchte durch die Sammlung von sprachlichen Äußerungen (Corpus) und deren Analyse auf das System einer unbekannten Sprache zu schliessen, um dieses letztendlich objektiv beschreiben zu können (Deskriptivismus); das heißt ein Phonem- und Morpheminventar sowie die Verknüpfungsregeln der Elemente untereinander zu ermitteln. Grundsätzlich bediente man sich der Hilfe eines native Speaker (Muttersprachler) um festzustellen, ob und wie sich der Inhalt im Rahmen der folgenden Analyseschritte veränderte. Diese Methodik wird auch heute noch angewendet:
Im ersten Schritt wird er sogenannte Selektionstest durchgeführt: Hier wird der Satz auf seine Minimalform, den Kernsatz reduziert. Das geschieht indem man versucht so viele Elemente wie möglich wegzulassen - und dass, ohne dass der Satz grammatisch falsch wird. Bei dem Satz Der alte Mann lachte sich ins Fäustchen: können wir zum Beispiel alte und ins Fäustchen weglassen, ohne dass der Satz an Grammatikalität verliert. Schauen wir uns nun den Kernsatz Der Mann lacht genauer an. Im vorhergehenden Abschnitt war die Frage aufgekommen, wie es sich denn nun ermitteln ließe, ob es sich bei einem bestimmten Satz um einen Frage- oder um einen Aussagesatz handelt. Reduziert man den entsprechenden Satz auf seinen Kernsatz (ohne die Reihenfolge der Elemente zu verändern), so läßt sich hier eine Antwort bieten: Steht das finite (konjugierte) Verb im Kernsatz an erster Stelle, so handelt es sich um einen Fragesatz (Lachte der Mann). Im Aussagesatz hingegen steht das konjugierte Verb an zweiter Stelle (Der Mann lachte).
In einem zweiten Schritt wird der sogenannte Substitutions- bzw. Kommutationstest durchgeführt. Hier wird untersucht welche Elemente durch andere ersetzt werden können.
Als Vorüberlegung für diesen Schritt werden wird zunächst einmal die Strukturierung eines Beispielsatzes wie « Der alte Mann lachte... » genauer betrachten. Er läßt sich nämlich auf zwei Ebenen untersuchen: der syntagmatischen und der paradigmatischen Ebene.
Die syntagmatische Ordnung betrachtet das Hintereinander von Elementen. Zwischen den Elementen bestehen Abhängigkeitsbeziehungen, sogenannte syntagmatische Beziehungen. In diesem Fall dominiert zum Beispiel das Wort « Mann » als Subjekt des Satzes die restlichen Elemente. Mann ist ein maskulines Substantiv im Nominativ Singular und zieht somit den Artikel « der » in seiner Form des Nomitiv Singular mit sich. Ähnliches gilt für das Verb : Im Deutschen besteht eine Kongruenz zwischen Subjekt und Verb. Das bedeutet, dass sich das Verb in Person, Numerus und Genus an das Subjekt anpassen muss (in diesem Falle 3. Person Singular Maskulinum).
Paradigmatische Beziehungen hingegen, betrachten das Verhältnis der Austauschbarkeit. Ich kann auf der paradigmatischen Ebene Elemente gegen andere austauschen, ohne dass der Satz an Grammatikalität verliert. Statt « Der alte Mann lachte » könnte ich genauso einen Satz produzieren wie « Er lachte » oder « Der Nachbar lachte », solange ich nicht gegen syntagmatische Regeln der Kongruenz oder Rektion (zwischen Adjektiv und Nomen) verstoße.
Durch Nutzung dieser paradigmatischen Ersetzungsmöglichkeiten kann ich einerseits die Existenz der schon im Selektionstest erkannten Strukturmuster (Verb an 2. Stelle = Aussagesatz) mit einer Vielzahl von Beispielen bestätigen. Andererseits kann ich durch Substitution herausfinden, welche Elemente an einer bestimmten Stelle des Satze eine ähnliche Aufgabe erfüllen können (Er = Der alte Mann).
Der dritte Analyseschritt ist der sogenannte Permutationstest. Aus den vorliegenden Elementen eines Satzes werden möglichst viele grammatikalisch korrekte Sätze gebildet. In diesem Falle wäre das zum Beispiel :
Der alte Mann lachte zu laut.
Zu laut lachte sich der alte Mann.
Lachte der alte Mann zu laut.
Nicht grammatikalisch korrekt hingegen wären Satze wie :
Zu der Mann alte lachte laut.
Betrachten wir die grammatikalisch korrekten Sätze genauer, so stellen wir fest, dass bestimmte Segmente stets zusammen bleiben. Unser Blick zentriert sich nun primär auf diese Großgruppen, die dann in kleinere Segmente zerlegt werden können.
Er / schenkt ihr rote Rosen.
NP VP
Nom. Prädikat des Satzes
Bei den Begriffen Nominalphrase und Verbalphrase handelt es sich um relativierte Begriffe, die sich auf die funktionalen Beziehungen im Satz beziehen. Nominalphrasen können je nach Satzzusammenhang eine unterschiedliche Funktion haben. Die erste Nominalgruppe des Satzes jedoch, steht immer im Bezug zum Satz. Sie ist das Subjekt des Satzes.
Er schenkt ihr rote Rosen.
1. Selektionstest : Er schenkt ihr rote Rosen.
2. Permutationstest :
3. Substitutionsprobe :
Er schenkt ihr rote Rosen.
Du schläfst.
Der Gesammtsatz besteht also nur aus zwei « Suppentöpfen », nämlich einer Nominalphrase und einer Verbalphrase.
Das
entsprechende Baumdiagramm sieht also folgendermaßen aus :
Die
Stammbaumtheorie ist Teil der mathematischen Graphentheorie. Ausgangspunkt der gerichteten Kanten ist stets eine Quelle bzw. ein Knoten.
Kanten
reproduzieren ein logisches Verhältnis : sie sind Teil einer Ganzheit. Das kann man
sich mit folgendem Schema klarmachen :
Zuerst wird eine Teil-Ganzes-Analyse durchgeführt ; d.h. wir zerlegen die Ganzheit den Satz in Teile.
Dann stellen
wir uns die Frage ob es Teil-Teil-Beziehungen gibt. Ist das der Fall, so zerlegen wir die
Teileinheiten in immer kleinere Einheiten, bis wir schließlich auf der Ebene der Morpheme
angekommen sind.
Zu beachten
ist die Tatsache, dass innerhalbe einer Nominalgruppe eine morphologische Kongruenz gewahrt sein
muss ; d.h. die Teile dieser Gruppe müssen übereinstimmen in Kasus, Numerus und
Genus. Es bestehen also auch in der Nominalphrase Teil-Teil-Beziehungen. Ähnliches gilt
zwischen der Subjekt-Nominalgruppe und dem konjugierten Verb: Auch zwischen ihnen besteht
eine morphologische Kongruenz und zwar in Person und Numerus.
Zum
Deletionstest läßt sich noch erwähnen, dass bestimmte Elemente von anderen abhängig
(dependent) sind. Zum Beispiel war im vorherigen Beispiel rote von
Rosen abhängig. Auch hier handelt es sich somit um Teil-Teil-Beziehungen.
Läßt man rote weg, so bleibt der Satzzusammenhang erhalten
rote ist lediglich eine Ergänzung zu Rosen. Ließe man jedoch
Rosen weg, so würde dem Satz etwas fehlen. Die Bezeihung zwischen diesen
Elementen ist also einseitig.
Der Begriff
der Dependenz ist besonders wichtig für eine Gruppe der Linguisten, auf die wir im
nächsten Kapitel eingehen werden. Hier werden wir auch einen weiteren Typus von
Teil-Teil-Beziehungen kennenlernen.
Die Dependenzgrammatiker gehen davon aus, dass Sätze hierarchische Gebilde sind. Die wichtigste, unabdingbare Konstituente ist dabei das Verb, weil es den Vorgang (procès) ausdrückt. Von ihm hängen alle anderen Konstituenten mittelbar oder unmittelbar ab.
Dies lässt sich an einer naturwissenschaftlichen Tatsache erläutern: Betrachten wir die chemische Formel für Wasser (H2O), so erkennen wir, dass sich ein Wassermolekül aus zwei Wasserstoffatomen (H) und einem Sauerstoffatom (O) zusammensetzt. Dies kommt zustande, weil Sauerstoff über zwei ungedeckte Bindungsstellen verfügt. Diese Leerstellen werden durch die zwei Wasserstoffatome gedeckt. Stabil ist die Verbindung Wasser nur, wenn eine solche Deckung an beiden Leerstellen des Sauerstoffatoms stattgefunden hat. Logischerweise stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welches Element des Moleküls bindet und welches gebunden ist. Im Falle von Wasser sieht die Bindungssituation folgendermaßen aus: H è O ç H
Wenn wir zu dieser naturwissenschaftlichen Begebenheit Parallelen ziehen können wir den Satz Klaus schlägt Peter auch folgendermaßen darstellen:
Klaus è schlägt ç Peter
Klaus und Peter wären also in diesem Falle die Elemente, die die Leerstellen des Verbes schlägt besetzen.
Die Fähigkeit des Verbes andere Elemente zu binden wird als Valenz bezeichnet. Diese Valenz stellt eine weitere Teil-Teil-Beziehung dar, nämlich eine Beziehung zwischen dem Verb und den anderen Elementen des Satzes.
Je nach ihrer Beschaffenheit können Verben unterschiedlich viele Elemente ( 0-3) binden. Bei dieser Eigenschaft spricht man von Wertigkeit. Das Verb schlagen ist zum Beipiel im oberen Falle zweiwertig, weil es bei der Satzbildung zwei Leerstellen um sich eröffnet. Und zwar eine für den Handelnden bzw. Agens das wäre hier Klaus- und dem Betroffenen bzw. Patiens in diesem Falle Peter.
Solche vom konjugierten Verb im Satz gebundenen Elemente werden als Aktanten bezeichnet. Es handelt sich bei um Lebewesen oder Dinge, die in irgendeiner Weise an der Handlung beteiligt sind und rein morphologisch durch Substantive und ihre Vertreter (Pronomina) dargestellt werden. Tesnière bezeichnet die Nominativaktanten (Subjekt) als Erstaktanten, den Akkusativ als Zweitaktanten, den Dativ als Drittaktanten und den Genitiv als Viertaktanten. Von Aktanten und Zirkumstanten abhängig, also dem Verb indirekt subordiniert finden sich die Indices. Bei diesen Indices handelt es sich um die Artikel der substantivischen Aktanten und die adjektivischen Pronomina (Possessiv- und Demonstrativpronomina). Auch Adjektive sind dem Verb indirekt subordiniert und solchen Adverbien, dies sich nur auf sie (und nicht auf den ganzen Satz) beziehen untergeordnet.
Bei Ausdrücken wie Es regnet wird das Verb als 0-wertig oder avalent bezeichnet.Es ist kein Aktant, denn es kann kein Paradigma bilden. Wir können diesen feststehenden Ausdruck nicht im Rahmen des Substitutionstest verändern: Sie oder Das kleine Kind regnet gibt es nicht. Ganz anders sieht das bei dem einwertig gebrauchten Verb schreien aus: Es schreit kann ohne Probleme ersetzt werden durch Das kleine Kind schreit.
Ähnlich wie in der Chemie, sind auch sprachlich nicht alle Verbindungen stabil. Betrachten wir die Valenz des Verbes jemandem etwas spenden. Entsprechend der Struktur des Verbes kann man sagen:Ich spende dem Fußballverein 20 Fußbälle. Es jedoch auch möglich auf einen Aktanten zu verzichten und Sätze zu produzieren wie: Ich spende 200 DM. Wir erkennen an diesem Beispiel, dass es Aktanten gibt, die immer stehen müssen (etwas spenden). Diese bezeichnet man als obligatorische Aktanten. Andere Aktanten müssen nicht zwangsläufig auftreten (jemandem etwas spenden), sie sind fakultativ.
Ein Satz besteht jedoch nicht nur aus einem Verb und seinen Aktanten. Frei wählbare Elemente, die nicht vom Verb gebunden sind, die Zirkumstanten (Umstandsangaben), können ebenfalls hinzugestellt werden. Solche Zirkumstanten stehen in der Satzhierarchie auf der selben Stufe wie die Aktanten und werden morphologisch durch Adverbien und adverbiale Ausdrücke ausgedrückt. Betrachten wir den Satz Vor zwei Jahren habe ich dem roten Kreuz Geld gespendet. Woran erkennen wir jetzt, dass sich im Falle von Vor zwei Jahren um eine Zirkumstante und nicht um einen fakultativen Aktanten handelt? Der Deletionstest ist hier nicht präzise genug, denn mit dieser Methode fallen sowohl Zirkumstanten, als auch fakultative Aktanten weg. Man muss sich also folgende Frage stellen: Ist das zu klassifizierende Element des Satzes durch die Bedeutung des konjugierten Verbs und somit eine entsprechende Leerstelle vorgesehen? Ist das nicht der Fall, so handelt es sich in diesem Fall um eine Zirkumstante.
Die Zuordnung einer Wertigkeit zu einem bestimmten Verb war eine sehr starke Vereinfachung. Tatsächlich sind nämlich viele Verben mehrdeutig, sie haben verschiedene Lesearten. Das Verb schreien in den Sätzen Ich schreie und Ich schreie ihn an unterscheiden sich nicht nur in ihrer Wertigkeit, sie haben auch eine andere Bedeutung. Am Beispiel glauben kann man sich diese Tatsache gut klarmachen: Dieses Verb tritt in drei Lesearten auf und zwar in den Konstruktionen glauben, dass (vermuten), jemandem etwas glauben (für wahr halten) und an etwas glauben (vertrauen). Die Lesearten bestimmter Verben ist nicht in allen Sprachen gleich. Im Französischen zum Beispiel kann man nicht jemandem etwas glauben man glaubt entweder etwas oder man glaubt jemandem.
Analysieren wir einen Satz nach der Valenzgrammatik, so wird uns nicht nur die Wertigkeit eines Verbs geliefert. Mit der Valenz des Verbs wird das morphologische Aussehen des Satzes, also die ganze Satzstruktur, mitgeliefert. Haben wir ich glaube, dass als die zutreffende Leseart des Verbs glauben ermittelt (glauben, dass vermuten), so bleibt uns nichts anderes übrig als dem Verb einen mit dass eingeleiteten Nebensatz (Ich glaube, dass er bald kommt.) oder einen uneingeleiteten Nebensatz (Ich glaube er kommt bald.) anzuhängen. Genauso gilt das natürlich auch für die Leseart ich glaube an (vertrauen). Auf die Präposition an muss zwangsläufig eine Nominalgruppe im Akkusativ Singular folgen (Ich glaube an das Gute im Menschen.). Bei einer Nominalgruppe, die von einer Präposition eingeleitet wird sprechen wir von einer Präpositionalgruppe. Präpositionen dienen als Bindeglied beim syntaktischen Zusammenfügen einzelner Wörter (Substantiv mit Substantiven, Verben, Adjektiven) zu Wortgruppen und kennzeichnen dabei das Verhältnis der Syntagmakonstituenten zueinander (z.B. lokal, temporal, modal, kausal,...). Das auftreten einer bestimmten Präposition verlangt einen entsprechenden Kasus (Rektion).
Die Valenzgrammatik hat aber auch semantische Restriktionen mit eingearbeitet. So findet sich zum Eintrag glauben in einer Valenzgrammatik immer die Einschränkung +hum, was bedeutet, dass glauben eine rein menschliche Eigenschaft ist. Ein Hund kann nicht glauben und so darf Hund auch nicht als Agens auftauchen. Im Falle von glauben an müssten der 1. und der 2. Aktant menschlich sein. Gerade in diesem Fälle deckt die Valenzgrammatik jedoch nicht alle Möglichkeiten ab.
Durch hochkonventionalisierte,eingearbeitete Metaphorik werden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen. Ich glaube an die Vorboten des Frühlings ist gewöhnliche Alltagsmetaphorik. In diesem Falle glaubt man nicht an die Vorboten des Frühlings, sondern an die Fähigkeit dieser Vorboten, die Frühling einzuläuten. Und in Ich glaube an die Verwaltung finden wir eine Personifizierung vor: eine Institution steht für eine Gruppe von Personen.
Als zweiter Kritikpunkt der Dependenzgrammatik drängt sich die Frage auf, ob es im Falle von Ich glaube, dass das nicht stimmt. tatsächlich eine Dependenzbeziehung zwischen dem Aktanten und dem Verb gibt. Wenn der Aktant vom Verb abhängig wäre, dann müsste gelten, dass der Aktant nicht ohne das Verb stehen kann das Verb aber ohne den Aktanten. Betrachten wir den Sachverhalt genauer, so wird klar, dass es sich um wechselseitige Abhängigkeiten und nicht um ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis handelt. Valenzbeziehungen sind wechselseitig dependent. Wir müssen uns jedoch vor voreiligen Schlüssen hüten: zwar sind alle Valenzbeziehungen Interdependenzbeziehungen, nicht alle Interdependenzbeziehungen sind jedoch Valenzbeziehungen. Eine klassische Interdependenzbeziehung ist das stets gemeinsame Auftreten von Artikel und Nomen. Im Satz Ich verstehe diese Nachfrage nicht. ist der Artikel diese nicht in Nachfrage angelegt. Vielmehr setzt jedes der beiden Elemente das Auftreten des anderen voraus. Es handelt sich also nicht um eine Valenzbeziehung.
Ein bedeutender Kritiker der Valenztheorie ist Fillmore. Er kritisierte, dass man mit Hilfe der Valenzstammbäume nicht zu einer eindeutig semantischen Lösung kommen muss. Bei dem Satz : Er schenkt ihr rote Rosen. sind sowohl der Agens als auch der Patiens menschlich. Es lässt sich aus der Struktur eines Valenzstammbaums nicht feststellen, wer schenkt und wer beschenkt wird. Es handelt sich somit um eine unzulässige Abkürzung der Bedeutung der betreffenden Ausdrücke, denn entscheidend ist doch schließlich wer nun der Patiens und wer der Agens ist. Fillmore versuchte mit seiner Theorie der semantischen Szenen einen Ausweg zu finden. Nach Fillmore ist jeder Aussagesatz eine Bühnenszene, vergleichbar mit einem kleinen Theaterstück. Diese semantischen Szenen werden mit Hilfe von prototypischen Rollen gebildet. Nach dieser Theorie der prototypischen Rollen werden 7-9 Rollen verteilt, wobei wie schon bekannt der Agens der Handelnde und der Patiens der Betroffene ist. Weitere Rollen sind das semantische Objekt (Gegenstand um den es geht, zum Beispiel: was wird geschenkt) und instrumental (womit wird eine bestimmte Handlung ausgeführt).
Mit Hilfe dieser Klassifikation kann Fillmore die Semantik der Sätze sämtlicher Sprachen der Welt beschreiben. Es handelt sich also um einen universellen, kognitiv orientierten Ansatz.
In Kombination mit der IC-Analyse oder der Valenzstrukturgrammatik eignet sich Fillmores Ansatz hervorragend dazu, einzelsprachliche Strukturen zu beschreiben.
Dieser Ansatz lässt sich darüber hinaus auch als Sprachproduktionsmodell anwenden.
Abbildung: Diathese aus altem Skript
1. Im Kopf taucht eine Art Szene, eine semantische Rollenstruktur auf
2. Diese wird in eine einzelsprachliche syntaktische Struktur übersetzt.
3. Die entsprechenden Impulse werden an die Artikulatorik weitergeleitet und die gewünschte Äußerung wird produziert.
Bei Aphasien
handelt es sich um Sprachstörungen, die als Folge
einer Schädigung des zentralen Nervensystems
entstanden sind. Aphasien betreffen sowohl
rezeptive wie produktive Prozesse (also sowohl das Sprachverständnis als auch das
Sprechen) in sämtlichen Modalitäten (Lesen, Schreiben, Hören, Sprechen...) und auf allen Ebenen (Phonologie, Lexikon, Syntax,
Semantik). Bei einer Aphasie sind bestimmte Hirnregionen, gewöhnlich in der linken Hirnhälfte, welche hauptsächlich für die
Sprache verantwortlich ist, geschädigt. Je nach Ort der Schädigung sind unterschiedliche
Sprachebenen betroffen (Laut-, Satz-, Bedeutungsebene, usw.). Gewöhnlich ist auch die
Fähigkeit zu lesen und zu schreiben in Mitleidenschaft gezogen. Die Diagnose einer
Aphasie und gegebenenfalls deren Form läßt sich mit Hilfe standardisierter Testverfahren
wie zum Beispiel dem AAT stellen. Der AAT
untersucht die Leistungen eines Patienten in den Teilbereichen: Benennen, Vorlesen,
Schreiben, Nachsprechen und Spontansprache um Hinweise auf existierende
Funktionsstörungen zu finden. Aphasien bilden sich häufig durch Spontanremission ganz
oder teilweise zurück, im Übrigen werden durch geeignete sprachtherapeutische Maßnahmen
Besserungen erzielt. Bei Kindern, deren Sprachentwicklung ja noch nicht abgeschlossen ist,
ist der Krankheitsverlauf anders.
Zur Entstehung von Aphasien:
Das Nervensystem ist ein hierarchisch gegliedertes System miteinander verbundener Nervenzellen (Neuronen). Das Nervensystem ist für die Aufnahme und Weiterleitung von Reizen, für die Erregungsverarbeitung, für die Aktivierung der Muskeln sowie für die Koordination und Aufrechterhaltung von Organfunktionen des vielzelligen Organismus zuständig. Nach der Lage im Körper wird das Nervensystem der Wirbeltiere in das Zentralnervensystem und das periphere Nervensystem unterteilt. Zum Zentralnervensystem gehören das Gehirn und das entlang der Wirbelsäule gelegene Rückenmark. Es ist mit dem Gehirn über eine Öffnung an der Schädelbasis verbunden. Alle übrigen Teile des Nervensystems gehören zum peripheren Nervensystem. Periphere Systeme sind z. B. die Zentren für die Wahrnehmungen der einzelnen Sinnesorgane: Visuelles, akustisches, taktiles, olfaktorisches Wahrnehmen hierfür gibt es einzelne, jeweils klar umgrenzte Zentren im Gehirn.. Zentrale Prozesse dagegen wie z. B. die Sprache sind nicht zentriert, d. h. auf bestimmte Regionen beschränkt. Beide Teile des Zentralnervensystems sind mit den übrigen Regionen des Körpers durch Nervenfasern verbunden.
Aphasien werden nach Abschluß der Sprachentwicklung hauptsächlich durch Schlaganfälle (ca.80%) , aber auch durch Tumore und Schädelhirntraumen erworben. Bei einem Schlaganfall handelt es sich um eine Schädigung des Gehirns als Folge eines Gefäßverschlusses oder einer Hirnblutung. Die Mehrzahl der Schlaganfälle wird durch Gefäßverschluß aufgrund einer Thrombose oder einer Embolie hervorgerufen. Eine Thrombose entsteht durch allmähliche Ansammlung fetthaltiger Stoffe oder atherosklerotischer Gewebsveränderungen in einer oder mehreren der vier Hauptarterien, die zum Hirn führen. Eine Embolie liegt vor, wenn eine Arterie plötzlich durch Material aus der Blutbahn verschlossen wird. Solche Blockierungen bestehen oft aus Verklumpungen aufgrund einer Herzfehlfunktion oder stammen aus losgelösten Gewebeteilen bei Atherosklerose. Sogar eine Luftblase kann zur Embolie führen. Durch die Verstopfung eines Blutgefäßes führt dazu, dass die Region, die durch dieses Gefäß versorgt wird, nicht mehr durchblutet ist. Das hat fatale Folgen, da Nervenzellen weder Sauerstoff noch Nährstoffe speichern können und nach ca. sieben Minuten ohne Versorgung absterben; außerdem wachsen sie im Gegensatz zu anderen Zellen nicht nach wenn sie abgestorben sind, sie sind also unwiederbringlich verloren.).
Andere
Ursachen
können sein: Verletzungen (z. B. durch Unfall), Krankheiten (v. a. entzündliche
Prozesse), Tumoren und andere sog. raumfordernde Prozesse (ein Tumor verdrängt zunächst
das Nervengewebe, quetscht es zusammen und behindert so die Durchblutung, ggf. kann er
auch das umgebende Gewebe zerstören), Intoxikationen, Sauerstoffmangel etc.
Es handelt
sich bei Aphasien also nicht um angeborene oder durch allmählichen Abbauprozesse
entstandene Pathologien (Die Pathologie ist ein Teilgebiet
der Medizin, das sich mit Wesen und Verlauf von Krankheiten sowie mit der Analyse von
Geweben und Körperflüssigkeiten beschäftigt).
Aphasien fallen in vier Hauptkategorien:
Die amnesische Aphasie
äußert sich durch Wortfindungsstörungen.
Hier liegt jedoch keine fehlende Gedächnisleistung vor der amnesische Aphasiker
kennt das Wort, kann es aber nicht abrufen. Diese Abrufdefizite
betreffen weniger grammatische Funktionswörter wie Präpositionen, Artikel oder
Konjunktionen, sondern viel mehr die Inhaltswörter wie Nomen aber auch Verben und
Adjektive. Deswegen wird diese Form der Aphasie auch als Anomie bezeichnet.
Um sich
dennoch zu verständigen bedient sich der Patient verschiedener
Ersatzstrategien. Das nicht abrufbare Wort wird entweder erklärt in dem seine
Funktion umschrieben (Staubsauger: mit dem man sauber macht) oder einzelne
Eigenschaften des Begriffes benannt werden (Kohle: das was so schwarz ist).
Der Patient kann sich aber auch einer semantischen
Paraphrasie bedienen, indem er ein verwandtes Wort an Stelle des gesuchten Begriffes
verwendet (Staubsauger: Besen). Manchmal besteht zwischen dem verwendeten Wort
und dem gesuchten Begriff auch kein Sinnzusammenhang (Staubsauger:
"Kühlschrank). Es kommt aber auch
vor dass nicht abrufbare Wörter mit Dingsda
ersetzt oder pantomimisch dargestellt werden.
Die Prognose für amnesische Aphasiker ist, je nach
Ausmaß der Störung, relativ günstig. Außer den beschriebenen Wortfindungsproblemen ist
die Sprache in allen anderen Bereichen recht normal und auch das Sprachverständnis ist
gut.
Die Broca- und Wernicke-Aphasie äußern
sich durch jeweils unterschiedliche grammatikalische Probleme:
Die
Broca-Aphasie entsteht durch eine Schädigung
des Broca-Zentrums im Gehirn, welches
hauptsächlich für die Sprachmotorik verantwortlich ist. Paul
Broca (1824-1880) war ein
französischer Chirurg und Anthropologe. Er wurde vor allem als Hirnforscher durch die
Entdeckung des Sprachzentrums im menschlichen Gehirn
und seine Arbeiten über Sprachstörungen (Aphasie) bekannt.
Die Sprachproduktion des Patienten ist mühsam, langsam und undeutlich. Das
Sprachverständnis hingegen ist nur gering beeinträchtigt.
Die
Broca-Aphasie wird auch als Agrammatismus
bezeichnet, weil wichtige Teile der Grammatik wie
Präpostionen, Konjunktionen (mit Ausnahme von und und dann) aus
dem Wortschatz verschwunden sind. Auch das System der Fälle wird nicht mehr beherrscht.
Bei einer schweren Broca-Aphasie kann sich der Patient nur noch im Telegrammstil äußern. In diesem Falle würde aus einem Satz wie:
Fritz holt seine Mutter mit dem Auto vom Bahnhof ab, damit sie nicht zu spät zum
Damenkränzchen kommt ein recht kurzes Fritz Mutter Auto Bahnhof...holt du
ab.
Bei
der Wernicke-Aphasie liegt eine Schädigung des
Wernicke-Zentrums vor. Beim Wernicke-Zentrum
handelt es sich um ein Integrationsgebiet, das unentbehrlich für die ständige
Verfügbarkeit erlernter Wortbilder und für die Interpretation gehörter und gesprochener
Rede ist. Ein grammatischer Raster ist bei Wernicke-Aphasikern zwar noch vorhanden, es
wird aber falsch umgesetzt. Die
Syntax ist zwar komplex angelegt, d. h. es werden komplizierte Satzkonstruktionen
begonnen, jedoch nicht zu Ende geführt, sondern verschiedene Konstruktionen überlagern
sich, werden abgebrochen, neue begonnen usw.. Deshalb wird die Wernicke-Aphasie auch als Paragrammatismus bezeichnet. Häufig werden ein
falsches grammatisches Geschlecht (die Kopf), ein falscher Plural (zwei
Pilote) oder eine falsch Verbform (rufte statt rief) verwendet. Der
Patient gibt einen sinnlosen Wortsalat von sich, der aus verschachtelten Sätzen wie zum
Beispiel: Es war in der Nacht muß das gewesen sein. Die Reden ihrer
Mitmenschen klingen für ihn wie eine
unverständliche, fremde Sprache. Die Patienten haben oft einen starken Rededrang und
können ihren Redefluß kaum noch stoppen (sog. Logoroeh). Das Sprachverständnis ist
stark gestört, die Patienten haben oft nur wenig Störungsbewußtsein. Die Prosodie und
Artikulation scheinen mühelos.
Die
wohl schwerste Form der Aphasie ist die globale Aphasie, da sie, hervorgerufen durch einen
weitreichenden Hirnschaden in der Sprachregion, mehr oder minder alle Defizite der oben genannten Aphasien auf sich
vereint: Die Sprachproduktion ist anstrengend, die Artikulation schlecht, die Betonung
seltsam und eine Grammatik nicht erkennbar. Auch das Sprachverständnis ist stark
gestört. Die Wahrscheinlichkeit größere Erfolge mit Hilfe von therapeutischer
Behandlung zu erzielen ist gering. Die Patienten verstehen kaum noch etwas, ihre
Produktion ist ebenfalls extrem reduziert und häufig auf Echolalien
(also
Nachsprechen dessen, was der Gesprächspartner gerade gesagt hat, ohne dies jedoch zu
verstehen), automatisierte Reihen oder Floskeln beschränkt. Häufig sind die Patienten
halbseitig (rechts) gelähmt (Hemiplegie / -parese). Die
Sprache des Patienten besteht hauptsächlich aus Automatismen und Stereotypien. Bei Automatismen handelt es sich um unwillkürliche
Äußerungen wie jeden Tag, guten Tag oder dadada dididi mamama,
die der Aphasiker vollkommen zusammenhangslos von sich gibt. Stereotypien hingegen sind Redefloskeln, die oft
eingestreut werden, aber durchaus kommunikative Funktion haben und passend zur Situation
eingesetzt werden können. Auch wenn die Sprachproduktion an sich sehr mühsam ist, so
gehen diese Floskeln leicht von der Zunge.
Diese
unterschiedlichen Formen von Aphasie kommen natürlich nicht immer in ihrer
Reinform vor. Außerdem gibt es auch sehr wohl Fehlerquellen, die alle Aphasien mehr oder minder gemeinsam haben.
Eine gemeinsame Fehlerquelle sind die phonematischen
Paraphrasien bei denen ein Laut an Stelle eines anderen verwendet wird (Pille :
Spille). Aber auch semantische Paraphrasien, wie schon bei der amnesischen
Aphasie erwähnt wurde kommen häufiger vor. Während die amnesischen Aphasiker vorwiegend
semantische Paraphrasien verwenden, kommen bei den Broca-Aphasikern beide Formen der
Paraphrasie vor; die semantischen Aphasien sind jedoch vorwiegend sinnesverwandt mit dem
gesuchten Begriff. Wernicke- und globale Aphasiker verwenden beide Formen der Paraphrasie
reichlich- bis hin zu der Bildung von neuen Wörtern (Neologismen) und der Verwendung von dermaßen
vielen semantischen Paraphrasen, dass ihre Sprache in einem Kauderwelsch endet, welches
auch als Jargon bezeichnet wird. Der Begriff
Jargon entstammt dem französischen und bezeichnet in seiner Grundbedeutung die
Ausdrucksweise bestimmter Klassen oder Berufe. Es handelt sich also um eine soziale,
berufliche Gruppensprache die sich eines besonderen Wortschatzes bedient, aber Grammatik
und Grundwortschatz der Nationalsprache beibehält. Der Bezug auf Jargon bei den Wernicke-
und globalen Aphasikern zielt vor allem auf
eine Gemeinsamkeit mit dem Jargon ab: seine Unverständlichkeit als Folge der Verwendung
von unbekannten Termini.
Eine Sonderform der Aphasie ist die sog. Leitungsaphasie. Hierbei ist das Nervenfaserbündel, das Broca- und Wernicke-Region verbindet, das sog. Fasciculus arquatus gestört oder unterbrochen. D. h. die unmittelbare Interaktion dieser beiden Regionen funktioniert nicht mehr, sie sind nur noch über den Umweg der inhaltlichen Interpretation miteinander verbunden. Im Test läßt sich das z. B. nachweisen als die Unfähigkeit der Patienten, Nonsens-Wörter (also Lautfolgen, die zwar den deutschen Lautgesetzen Genüge tun, aber bedeutungslos sind: Garb, Ulik, Murf ...) nachzusprechen. Dies ist nur möglich über die direkte Verbindung zwischen Wernicke- und Broca-Region; in der Wernicke-Region treffen die akustischen Stimuli ein und werden auch so weit als möglich adäquat bearbeitet. Aber da es für dieses Lautmuster keine Verbindung zur Semantik gibt und die zur motorischen Broca-Region unterbrochen ist, erhält die letztere keinen Input und kann somit auch keinen Output produzieren. Inhalttragende Wörter können die Patienten dagegen deutlich besser nachsprechen. Spontansprachlich und hinsichtlich des Sprachverständnisses sind sie weitgehend unauffällig.
Auch wenn jetzt hier die ganze Zeit von Broca- und Wernicke-Regionen (wohlgemerkt: nicht "Zentren"!) die Rede war es sei nochmals darauf hingewiesen, daß Sprache ein zentraler Prozeß und damit nicht in klar umgrenzten Gebieten im Gehirn "angesiedelt" ist! Vielmehr sind überall im Gehirn, auch in der rechten Hemisphäre, sprachrelevante Bereiche zu finden (die vielleicht teilweise nur noch nicht so klar lokalisiert wurden wie Broca- und Wernicke-Region). Es ist heutzutage nicht mehr legitim, von Sprachzentren zu sprechen! Es ist zwar wohl richtig, daß Läsionen in diesen beiden Arealen häufig mit Sprachstörungen einhergehen, deswegen aber zu postulieren, daß die beeinträchtigten Leistungen hier und nur hier erbracht worden wären, ist ein Denkfehler; dies kann man mit Hilfe der sogenannten "Motor-Metapher" erklären:
"Wenn bei einem Auto der Benzinschlauch ein Loch hat, so daß das Benzin nicht mehr in den Motor gelangt und dieser also stehen bleibt, würde man bei einem Blick auf den lädierten Benzinschlauch ja auch nicht auf die Idee kommen, daß an der Stelle, wo sich das Loch befindet, vorher die Leistung erbracht worden sei, die den Wagen vorantrieb."
Unter Lateralität versteht man die
Seitigkeit des Gehirns, d.h. grob gesprochen, dass die beiden Gehirnhälften
unterschiedliche Funktionen ausüben bzw. dass bestimmte Verarbeitungsprozesse bevorzugt
in einer der beiden Großhirnhälften durchgeführt werden. Der Prozess der Ausbildung
dieser Präferenzen dauert etwa vom 5.-12. Lebensjahr und wird als Lateralisierung bezeichnet.
Im Rahmen
der Lateralisierung bildet sich immer eine dominante und eine subdominante
(nich-dominante) Gehirnhälfte heraus. Bei 90-95% aller Menschen bildet sich die linke
Hemishere zur dominanten Hemisphäre heraus.
Sie enthält das aktive Sprachzentrum und eignet sich besonders gut für Wortbildungs- und
gewisse Denkprozesse. In der subdominante
Hemisphäre, also in der anderen Gehirnhälfte, werden hingegen räumliche und
musikalische Wahrnehmungsmuster effektiver verarbeitet.
Trotz dieser schematischen Trennung, arbeiten beide Hälften jedoch nicht unabhängig voneinander : Über das corpus callosum, dem sogenannten Balken, der die Hälften miteinander verbindet, wird ein reger Austausch zwischen den Hemispheren ermöglicht.
Von besonderem wissenschaftlichen Interesse sind die sogenannten Split-Brain-Patienten, bei denen aus medizinischen
Gründen der Balken operativ durchtrennt werden musste. Zwangsläufig wirken bei ihnen
beide Hemispheren als unabhängige Verarbeitungseinheit.
Roger Sperry, der 1981 für seine bahnbrechenden
Versuche mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, fand heraus, dass die beiden
Gehirnhälften unterschiedliche Arbeitsmethoden aufweisen : Jede Gehirnhälfte
besitzt ihre eigenen Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Vorstellungen Demnach
sind die Hemispheren auf jeweils unterschiedliche Denkweisen spezialisiert. Diese
Hemispherenunterschiede werden auf verschiedenen Ebenen gemessen; zum Beispiel auf der
Verhaltensebene. Man geht davon aus, dass sich ein bestimmter Mensch tendenziell mehr
auf eine Hemisphere verläßt als auf die andere. Diese Tendenz zeigt sich im kognitiven
Stil (= Denkstil/-weise), d.h. in der Art und Weise wie man an Probleme herangeht und sie
löst. Löst ein Mensch Probleme tendenziell verbal
oder analytisch, so ist dies ein Hinweis auf einelinksseitige Lateralisierung. Werden
Probleme hingegen primär ganzheitlich oder räumlich verarbeitet, so ist dies ein Hinweis
auf rechtsseitige Lateralisierung
Die
Lateralität wirkt sich neben den unterschiedlichen Denkstrategien auch noch auf andere
Bereiche wie die Wahrnehmung, den Intellekt und die Persönlichkeit aus.
Die
Vorstellung, dass Unterschiede zwischen den Menschen auf die unterschiedliche Nutzung des
Gehirns beruht führte dazu, dass die Forschungsergebnisse zu diesem Gebiet in stark
vereinfachender Weise interpretiert und so die Phantasie der Massenmedien angeregt wurden.
Der Markt wurd mit Fragebögen überschwemmt, mit Hilfe derer die
Lateralitätspräferenzen diagnostiziert werden könnten. Aber : ein rein dichotomes
Links- Rechts- Denken existiert nicht. Vielmehr ergänzen sich die Hemisphären in
komplementärer (=sich ergänzender) Weise. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass
die Existenz der Lateralität zwar eine interessante Hypothese, doch leider bis zum
heutigen Zeitpunkt unbewiesen ist. Auch wenn
bestimmte Anzeichen dafür sprechen, dass es zwischen der Lateralität und bestimmten
Denkmustern Zusammenhänge gibt, sollten wir uns auf jeden Fall davor hüten, durch Mystifizierung in der Lateralisierung einen
Nachfolger der Phrenologie (man glaubte vor
einiger Zeit einmal, man könnean der Kopfform und lokalen Schädelausbeulungen
Charaktereigenschaften festmachen) zu erschaffen.
SOLAT
Fragebogen (SOLAT= Your Style of Learning and Thinking)
36 Fragen
mit jeweils drei Antwortmöglichkeiten
-
linkshemispherisch.
z.B. nicht gut im Erinnern von Gesichtern oder gehemmt im Ausdruck von
Gefühlen
-
rechtshemispherisch.
z.B. nicht gut im Erinnern von Namen oder fähig Gefühle und Emotionen
uneingeschränkt auszudrücken
-
Integrativer Stil
(= vereint Funktionen beider Hemisphären), z.B. gleich gut im Erinnern von Namen
und Gesichtern
Auffällig
dabei ist, dass die Ergebnisse mit denen eines Tests zur Messung der Kreativität
korrelieren. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend, da die rechte Gehirnhälfte für
Intuition und Kreativität verantwortlich gemacht wird.
Die
Hälften des Gehirns und die ihnen zugeordneten Funktionen:
Linke
Hälfte - Wort-Bibliothek:
sprechen, lesen, schreiben, mathematisches Verständnis, analytisches Denken, logische
Schlussfolgerungen, das Benennen von Objekten, Interpretation von Geschichten, Gedächtnis
für Sprache und Texte
Rechte
Hälfte - Bild - Bibliothek: bildhafte Sprache, Erfassen von
Bildern, Mustern und Strukturen, Verständnis für räumliche Dimensionen, Emotionen,
Kreativität und Musikalität.
LINKS
RECHTS
rational
nicht rational, emotional
logisch
intuitiv/kreativ (musisch, künstlerisch)
Aus
verschiedensten Gründen stehen in Deutschland immer mehr Eltern vor der Option, ihre Kinder zweisprachig
zu erziehen. Gerade bei Kindern, die aus sprachlichen Mischehen entstanden sind, stellt
sich die Frage, ob das Kind an beide Sprachen herangeführt werden soll. Eine Zweisprachigkeit stellt sich
gezwungenermaßen auch bei Einwandererkindern ein, die einerseits zu Hause die
Muttersprache der Eltern erlernen, sich andererseits aber auch mit dem deutschsprachigen
Umfeld arrangieren müssen. In anderen Fällen können auch längere Auslandsaufenthalte
im frühen Kindesalter zu einer Zweisprachigkeit führen.
Unter Zweisprachigkeit versteht man nicht einfach nur
die Praxis abwechselnd zwei Sprachen zu gebrauchen; das Kind sollte sich auch in beiden
Sprachen zuhause fühlen. Von Zweisprachigkeit spricht man außerdem nur, wenn ein
Sprecher mehrere von einander deutlich unterschiedliche Sprachen beherrscht. Nach dieser
Definition wäre also ein Dialekt sprechendes Kind nicht zweisprachig. Weitere Ansprüche
an eine Zweisprachigkeit sind die Fähigkeit des richtigen und schnellen Umschaltens von
der einen Sprache in die andere - wenn das die Kommunikationssituation erfordert- und das
ohne dass sich die beiden Sprachen vermischen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die
Sprachkompetenz in beiden Sprachen identisch ist- die verschiedenen Anwendungsgebiete wie
sprechen, schreiben, verstehen und lesen können unterschiedlich ausgeprägt sein: Ein
Kind, das beide Sprachen fließend spricht muss noch lange nicht in beiden Sprachen die
Rechtschreibung gleich gut beherrschen- vor allem wenn man sich die Tatsache vor Augen
führt, dass ein Kind in der Schule letztendlich doch nur eine Sprache zu schreiben lernt.
Unter dem Einfluss des sozialen Umfelds wird sich doch eine der beiden Sprachen zur
dominanteren entwickeln.
Eine
Zweisprachigkeit bringt für die Kinder viele Vorteile
mit sich: Sie lernen spielend leicht eine zweite Sprache, welche andere Kinder sich
später in der Schule mit Mühe aneignen müssen. Außerdem erlernen sie diese Sprache mit
großer Wahrscheinlichkeit um einiges vollkommener, als das bei ihren Mitschülern je der
Fall sein wird. Man geht auch davon aus, dass mehrsprachig erzogene Kinder häufig
sprachinteressierter und sprachgewandter sind als Kinder mit einsprachigem Hintergrund. Eine Mehrsprachigkeit ist in Anbetracht der
fortschreitenden Globalisierung und einem zunehmend weiter zusammenwachsenden Europa von
großem Nutzen für die Kinder, und wird es wohl später auch in zunehmenden Maße für
die Gesellschaft sein.
Eine
Zweisprachigkeit bringt aber auch Probleme mit
sich, die jedoch weniger in der Natur der Zweisprachigkeit an sich, als viel mehr an der
nicht immer konsequenten Sprachanwendung der Eltern und den teilweise recht negativ
gefärbten Reaktionen des sozialen Umfelds liegen. So ist es für Kinder besonders schwer
den korrekten Sprachgebrauch zu erlernen, wenn sich ein oder sogar beide Elternteile
familienintern einer Mischsprache bedienen,
d.h. eine Mischung aus der eigenen Muttersprache mit der Umgangssprache sprechen.
Logischerweise fällt es den Kindern in diesem Falle nicht gerade leicht beide Sprachen
voneinander abzugrenzen und ihre spezifischen Regeln zu erkennen. Das kann so weit
führen, dass ein Kind weder die eine noch die andere Sprache wirklich beherrscht. Weniger
schlimm ist es, wenn ein Kind Sprachmischungen
vornimmt (es flickt in diesem Falle, aus Bequemlichkeit, Wortnot oder fehlender
Übersetzbarkeit ein Wort aus der schwachen Sprache in die starke Sprache ein). Auch kann
eine Zweisprachigkeit zu Interferenzen führen;
d.h. die Regeln zweier Sprachen überlagern sich gerade bei komplexeren Strukturen, wobei
die stärkere gewöhnlich einen Einfluß auf die schwächere Sprache ausübt. Die wohl
größte Belastung für zweisprachige Kinder ist jedoch das Unverständnis, welches sie in
ihrem sozialen Umfeld, vor allen Dingen wohl durch gleichaltrige Kinder, erfahren. Die Verunsicherung kann schließlich soweit führen,
dass das Kind zu stottern beginnt und die
Sprache schließlich ganz verweigert.
Jedoch
bleibt bei all diesen oben genannten Problemen zu erwähnen, dass Millionen, wenn nicht
Milliarden von Kindern zwei- oder gar mehrsprachig aufwachsen, ohne dass für sie dadurch
ein wirklicher Nachteil entsteht. Früher oder später wird das Kind zumindest die eine,
wenn nicht auch beide Sprachen ausreichend gut beherrschen um sich in seinem Umfeld zu
bewähren und vielleicht sogar durch besonders gute Leistung in der zweiten Sprache
hervorzustechen.
Exkurs: Schwierigkeiten Dialekt
sprechender Kinder bei der Verwendung der Standardsprache:
In vielen Familien wachsen Kinder in
einem Umfeld auf in dem anstatt der
Standardsprache im täglichen Umgang einen Dialekt gesprochen wird. Je nach Stärke der
Ausprägung dieses Dialektes wird es entsprechend schwerer für die Kinder bestimmte
Regeln und Merkmale der Standardsprache zu
beherrschen, da sie teilweise vollkommen neu erlernt werden müssen. Darüber hinaus
können diese Kinder die Standardaussprache, auch wenn sie ihnen vorgesprochen wird, nicht
nachahmen, weil sie nur ein Laut-Image des Dialektes mental gespeichert haben. Aus diesem
Grund treten in vielen Fällen auch Probleme beim Erwerb der Schriftsprache auf. Hier
folgt nun eine Auswahl der häufig gemachten Fehler bei Kindern die von Hause aus
Alemanisch sprechen:
1) st-sp
St
und sp werden im Dialekt in sämtlichen Positionen als scht bzw.
schp gesprochen, während dies in der Hochsprache nur am Wort- bzw.
Silbenanfang der Fall ist. So kommen
Schreibweisen wie Schpaß, Schparten, erscht usw. zustande.
2) Dehnungsbezeichnung
Eine der
Hauptschwierigkeiten der deutschen Rechtschreibung besteht darin, Dehnungszeichen für
lange Vokale richtig zu setzen. Während in manchen Wörtern wie Tal und
Chor in der Hochsprache ein
einfacher Vokal steht und somit die Dehnung graphisch nicht gekennzeichnet ist, wird eine
lautliche Dehnung in anderen Fällen mit einer Vokaldoppelung (Saal, Seele, Moor), einem
Dehnungs-h (Stahl, Mehl, Kohl) oder aber einem Dehnungs-e markiert (Stiel). Im Dialekt
jedoch sind kurze und lange Vokale anders verteilt. Da auch keine festen Regeln für die
Dehnungsbezeichnung bestehen, muß das Dialekt sprechende
Kind ist somit gezwungen die Rechtschreibung für diese Wörter einzeln zu
erlernen. Es ist also kein Wunder wenn sich in Diktaten falsch buchstabierte Wörter wie Gibel, nemmen,
Ingried oder Stahll häufen.
3) Artikel
und Pronomen
Im
Alemannischen gibt es keine Verwendung des Akkusativs. Statt dem Satz Den Pfad sah
man kaum noch. wird man somit im Alemannischen den Satz Die Pfad sah man kaum
noch finden. Aus in der kleinen
Stadt wird in den kleinen Stadt. Such wird die Genitivform des Nomens
gewöhnlich durch von dem, von der oder von denen ersetzt. So wird aus dem Ausdruck das Haus
meines Vaters das Haus von meinem Vater oder meinem Vater sein
Haus.
4) Deklination
der Substantive
Wie schon
oben erwähnt tritt der Akkusativ zumindest bei maskulinen Substantiven im alemannischen
Dialekt nicht auf. Wie im Englischen gibt es eigentlich überhaupt keine Endungen die den
Fall anzeigen. Die einzelnen Fälle werden nur durch Zuhilfenahme der Artikel gebildet
(vgl. oben).
5) Das
Verb
Im Dialekt wird im Präsens statt der
Alternierung der Vokale, die im deutschen recht häufig vorkommt (ich grabe, du gräbst,
sie graben...), bei Verben wie brechen, lesen, graben usw. ein Einheitsvokal verwendet (
ich grabe, er grabt,...). Aber auch bei der Verwendung des Infinitivs muß das Dialekt
sprechende Kind neu erlernen. Im Dialekt wird nämlich ein weiteres zu in
Infinitiv-Konstruktionen hinzugefügt. Ein Beispiel dafür wäre der Satz: Er stand
auf zum auf die Jagd zu gehen. oder Peter mußte an zu niesen fangen.
Der Partizip Präsens und viele unregelmäßige Formen des Präteritums sind Dialekt
sprechenden Kindern häufig unbekannt und müssen wie bei einer Fremdsprache neu erlernt
werden.
6) Vokabeln die nur im Dialekt
existieren
Dialekte verfügen in bestimmten
Bereichen (familiäres Umfeld, Arbeit, Gefühl und Intimsphäre) über ein großer
Repertoire an Ausdrücken, die in der Hochsprache nicht existieren. Ein Dialekt
sprechendes Kind steht nun vor der schwierigen Aufgabe, diese Wörter übersetzen zu
wollen für die jedoch häufig im Standard kein entsprechendes Pendant existiert. Das Kind
also einen Teil seines Wortschatzes nicht nutzen, es sei denn es wird explizit dazu
aufgefordert, was in den seltensten Fällen im Schulalltag vorkommt.
Wegen der vielen zum Teil als
dumm und oberflächlich angesehenen Fehlern werden Dialekt sprechende
Kinder nicht selten ausgegrenzt und im Schulalltag als intellektuell weniger
leistungsfähig abqualifiziert. So wird den Kindern ein schlechtes Selbstbild vermittelt.
Von Entwicklungsdysphasie (Sprachentwicklungsstörungen) spricht man, wenn ein Kind eine große Diskrepanz zwischen den seinem Alter entsprechenden non-verbalen Intelligenzleistungen (durchschnittlich) und Sprachleistungen (weit unter dem Durchschnitt) an den Tag legt. Die Diagnose Sprachentwicklungsstörung wird mit Hilfe von klinischen Tests wie dem HSET (Heidelberger Sprachentwicklungstest) gestellt.
Bei vielen
dysphasischen Kindern zeigt sich schon in der Anfangsphase des Spracherwerbs eine solche
Verzögerung. Während Kinder normalerweise im Alter von zwei Jahren mindestens 50 Wörter
beherrschen, fällt der Wortschatz der sogenannten late
talkers viel bescheidener aus. Ein später Sprachbeginn, muss jedoch nicht
zwangsläufig zu Sprachentwicklungsstörungen führen : etwa die Hälfte der late
talkers holt rapide auf, so dass relativ schnell kein Sprachdefizit mehr erkennbar ist.
Die andere Hälfte jedoch bleibt der Spracherwerb problematisch.
Es gibt in Punkto Entwicklungsdysphasie zwei leitende Hypothesen : Die eine Hypothese vertritt die Auffassung, dass es sich bei Sprachentwicklungsstörungen um eine Verzögerung im Rahmen des normalen Spracherwerbs handelt. Die entgegengesetzte These lautet, dass dyphasische Kinder Sprache nach ihren eigenen Prinzipien - ausserhalb der grammatikalischen Regeln - aufbauen. Diese These basiert auf der Feststellung, dass dysphasische Kinder strukturell abweichende Sätze produzieren, die im Sprachentwicklungsverlauf « normaler Kinder » in dieser Form nicht vorkommen. So würde ein « normales » Kind nie den Satz « Mama mich wieder abholt » (Verbanteil steht fälschlicherweise am Ende des Satzes) oder « Da umzieht der Mann » (Subjekt steht fälschlicherweise am Satzende). Es wäre viel typischer, dass Sätze wie « Ein großes Haus machen » produziert werden. Bei diesem Beispiel handelt es sich um einen kurzen, morphologisch einfachen Satz. Zu beachten ist hier, dass sich das Verb hier, wenn auch nicht in korrekter Form, zumindest am korrekten Ort, nämlich dem Satzanfang steht.
Der Sprachgebrauch dysphasischer Kinder zeichnet
sich durch spezifische syntaktische Probleme
aus, welche « normale » Kinder nicht haben :
Sehr häufig
lassen sich Wortordnungsprobleme beobachten.
Dies ist in sofern dramatisch, als dass sprachentwicklungsgestörte Kinder sich gerade
dadurch auszeichnen, dass sie an dieser fälschlicherweise entwickelten Wortordnung rigide
festhalten. Aber auch in anderen Bereichen wird ihr Defizit sichtbar : Dysphasische
Kinder tuen sich unheimlich schwer damit eine Subjekt-Verb-Kongruenz
herzustellen (« die Kinder rennte », statt « die Kinder
rannten »), den Artikel richtig zu
verwenden ( « ein Frau », statt «eine Frau »). Auch bei der Flektierung von Verben (« geganngt »,
statt « gegangen ») und der Pluralbildung
(« zwei Ball », statt « zwei Bälle ») treten Probleme auf. Oft
werden auch Präpositionen vertauscht (« er geht bei die Straße », statt
« er geht auf die Strasse ». Da die Kinder sich sehr wohl über ihre
Sprachdefizite bewußt sind, versuchen sie die mühsame Bildung von Sätzen zu vermeiden-
die produktive Sprache bleibt fragmentarisch,
d.h. auf ein paar kurze Wortsequenzen begrenzt.
Über die Ursachen von Entwicklungsdysphasien gibt es nur
Hypothesen. Hannelore Grimm listet in ihrem
Buch « Störungen der Sprachentwicklung » eine Vielzahl möglicher Ursachen
auf :
Ein Ursache
könnten auditive Gedächnisdefizite sein. Man
geht davon aus, dass sprachliche Informationen auf ihrem Weg zur Verarbeitung zunächst
einmal in einem Kurzzeitspeicher gehalten werden müssen. Der phonologische
Kurzzeitspeicher hält normalerweise Informationen für bis zu 1-2 Sekunden und analysiert
die gehörte Sprache auf phonologisch relevante Informationen. Können diese sprachlichen Informationen aber
wegen eines gestörten auditiven
Gedächnisses nicht lange genug im Kurzzeitspeicher gehalten werden, oder ist die
Verarbeitung zu langsam, so erscheint es logisch dass in diesem Falle nur ein Teil der
Informationen wirklich verabeitet werden kann, während ein Großteil der Informationen
aufgrund einer Überforderung des Kurzzeitspeichers einfach erlischt. Dies erschwert den
Spracherwerb in zweierlei Hinsicht : Zum einen treten schon bei normaler
Sprechgeschwindigkeit Probleme in der sequentiellen Verarbeitung von Sprachinformationen
auf (aufgrund der Überforderung des Kurzeitspeichers kann der Redefluss nicht mehr
ausreichend segmentiert werden). Zum anderen können auch keine längeren Äußerungen
gespeichert und als Basis für den induktiven Prozess der Strukturerkennung und
Strukturbildung genutzt werden (da ja auf dem Weg zur Verarbeitung ein großer Teil der
Information verloren geht, und nur Bruchstücke wirklich verarbeitet werden können).
Entwicklungsdysphasien
können verstärkt werden, wenn Mütter sich sprachlich zu Lasten der dialogischen
und kognitiven Qualität ihrer Äußerung- an
das Produktionsdefizit ihrer Kinder anpassen. Durch ihre Kleinkind-Lehrstrategie unterfordern sie die Kinder, welche es aufgrund
fehlender Stimulation letztendlich noch schwerer fällt sich sprachlich zu verbessern.
Man glaubt
auch davon ausgehen zu können, dass auch eine genetische
Prädisposition zumindest teilweise für Sprachentwicklungsstörungen verantwortlich
zu machen ist, da sich solche Defizite in manche Familien gehäuft auftreten.
Wichtig ist
es, nicht zu vergessen, dass hier nur eine Anzahl möglicher Ursachen genannt wurde, denn
die wirkliche Ursache für Entwicklungsdysphasien, falls es denn nur eine geben sollte,
steht noch nicht fest.
Klientenbezogene Konversation :
Wenn wir
miteinander in Kontakt treten, richten wir uns nach bestimmten Gesprächsmustern um den
Anforderungen der jeweiligen Situation zu entsprechen. In diesem Referat wurde das
Gesprächsverhalten welches Beamte des Sozialamtes während Beratungsgesprächen an den
Tag legen verglichen mit den maximen klientenbezogener Konversation welche Grundlage der
Gesprächstherapie bilden.
Prinzipiel
ist die Aufgabe des Therapeuten und des Beraters am Sozialamt nicht vollkommen
unterschiedlicher Natur : Es finden sich zum Gespräch Menschen in Not ein ;
während es sich beim Therapeuten wohl eher um emotionale Probleme handelt, treten am
Sozialamt vor allem Geldprobleme in den Vordergrund, deren Ursache jedoch häufig auch auf
emotionale Probleme zurückzuführen ist. Eine vergleichende Studie zeigte jedoch, dass
sich das Verhalten der beratenden Personen eklatant voneinander unterschied.
Nach Rogers
gibt es drei notwendige und hinreichende
Bedingungen für das Therapiegespräch : -
positive Wertschätzung, emotionale Wärme für den Klienten
-
empatisches
Verstehen der « inneren Welt » des Klienten
-
Kongruenz (Echtheit
und Integration) im Verhalten zum Klienten
Dies drückt
sich sprachlich in Form von Hörersignalen aus. Hörersignale
sind Elemente im Gespräch, mit denen ein Hörer seinen Beitrag zur Verteilung und
Koordination der Sprecher- und Hörerrolle leistet, die bestehende Rollenverteilung
bestätigt und Aufmerksamkeit bekundet. Lexikalische Hörersignale sind zum
Beispiel : ja, ach so, genau,.... Es gibt aber auch nichtlexikalische Hörersignale
wie : hm, aha,..,. Diese Hörersignale sind auffällig kurz (höchstens 3-4 Silben),
und treten genau dann auf wenn der Klient durch Frageintonation oder
Rollenbestätigungsappelle ein Zeichen vom Gegenüber erwartet oder er eine
Gesprächspause einlegt. Hörersignale können unterschiedliche Funktionen haben. Zum
einen dienen sie der Kommunikationssteuerung indem
sie das Gegenüber bestätigen und zum sprechen auffordern. Sie können aber auch eine
Anmeldung zum Sprechen-Wollen signalisieren und sogar das Unterbrechen des
Gesprächspartners legalisieren. Auf der Ebene der
sozialen Beziehung können sie die Einstellung des Hörers zum Sprecher auf einer
Skala zwischen Solidarität und Nicht-Solidarität ausdrücken. Auf einer dritten Ebene (Ebene der Proposition) wird die Einstellung des
Hörers gegenüber dem Gesagten mit Hilfe von Hörersignalen vermitelt : diese
Signale können Konsens, Divergenz, Bekanntgabe des eigenen Informationsstandes oder den
Verzicht auf eine Stellungnahme beinhalten. Häufig wird die Ebene der Proposition auch
mit der Ebene der sozialen Beziehung vermischt.
Im Vergleich
von therapeutischen Beratungsgesprächen und Beratungsgesprächen beim Arbeitsamt konnte
festgestellt werden, dass den Klienten im Arbeitsamt viel weniger Zeit gelassen wurde und
dass es häufig zu einem Kampf um die Sprecherrolle (Simultansprechen, Unterbrechungen)
zwischen Klienten und Berater kam. Dies läßt sich nicht zuletzt auch dadurch erklären,
dass viel weniger Hörersignale auftraten. Auch wurde eine Sprachbarriere durch
Fachsprache errichtet. Durch diskrimierende Redewendungen, klischeehafte Aussagen und
Ungeduld wird nicht selten der Klient eingeschüchtert. Dies führt zu einem angespannten
und keinesfalls klientenbezogenem Gesprächsklima.
Im Vergleich
dazu sind Psychtherapeuten auf Klientenbezogenheit geschult. Sie bezwecken durch gezielt
Dialogsteuerung eine « Beratung durch Selbstberatung » : dadurch dass der
Patient zu mehrmaliger Formulierung seines Problems gezwungen wird, kann er dieses selbst
auch besser begreifen und somit auch bewältigen. Dies zeigt sich am Gesprächsverhalten der
Psychotherapeuten. Im Gegensatz zu den Beamten am Sozialamt gestanden sie ihren Klienten
einen viel größeren Anteil am Gespräch zu und vermieden es ihr Gegenüber zu
unterbrechen. Auch Gesprächspausen wurden toleriert ohne den Klienten unter Druck zu
setzen. Um dem Gegenüber das Gefühl zu geben, dass man bereit war seinen Ausfürungen zu
folgen wurden gezielt Hörersignale verwendet (und zwar dreimal so viele !). Die
zwischen Beaten und Klienten häufigen Rollenkonflike blieben aus.Wichtig ist es noch zu
erwähnen, dass nicht nur die Anzahl der Hörersignale von Bedeutung ist, sondern auch
deren Form (Solidarität-Nicht-Solidarität ; Konvergenz-Divergenz,...). Es erscheint
auf jeden Fall sinnvoll, dass die klientenbezogene Konversation aus der Psychotherapie auf
Bereiche übertragen wird, in denen Wert auf konfliktfreie Interaktion gelegt werden muss.
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Alte Fassung:
1. Block: *
1.1 Allgemeines *
1.1.2 Organisatorisches: *
1.1.2 Einleitung: *
1.1.3 Seminarüberblick: *
1.2 Neuer Stoff - Semiotik *
1.2.1 Einstieg in die Semiotik *
1.2.2 Definition des Begriffs "Zeichen" *
1.2.3 Index Ikon Symbol *
1.2.4 Entstehung von Konventionen *
2. Block *
2.1 Wiederholung *
2.2 Neuer Stoff kognitivistische Semiotk: De Saussure / Strukturalismus *
2.2.1 Einstieg in den kognitivistischen Bereich der Sprachwissenschaft:*
2.2.2 Beginn der kognitivistischen Sprachwissenschaft / F. de Saussure *
2.2.3 Das de Saussur´sche Zeichenmodell *
2.2.4 Die Biologie *
3. Block *
3.1 Wiederholung *
3.2 Neuer Stoff Phonetik *
3.2.1 Einstieg in die Phonetik *
3.2.2 Phonetik *
4. Block *
4.1 Wiederholung *
4.2 Neuer Stoff: Phonetik / Kurzreferate *
4.2.1 Die Vokale des Deutschen *
4.2.2 1. Exkurs: "Lautspracherwerb nach Jakobson" *
4.2.3 2. Exkurs: Sprachpathologien *
5. Block *
5.1 Wiederholung *
5.2 Neuer Stoff: Von der Phonetik zur Phonologie zur Morphologie *
5.2.1 Sonorität / Sonoritätsskala: *
5.2.2 Minimalpaare *
5.2.3 Phon Phonem - Allophon *
5.2.4 Kombinatorische Allophone frei wählbare Allophone*
5.2.5 Phonetik - Phonologie *
5.2.6 Saussure und die Phonetik / Phonologie *
5.2.7 Phonologie + Morphologie *
5.2.8 Morph, Morphem und Allomorph *
5.2.9 Kombinatorische und frei wählbare Allomorphe*
5.2.10 Grammatische und lexikalische Morpheme *
5.2.11 double articulation (André Martinet) *
5.2.12 Anhang: Die paradigmatische und die syntagmatische Ebene *
6. Block *
6.1 Wiederholung *
6.2 Neuer Stoff: Vertiefung Morphologie / Einstieg in die Syntax *
6.2.1 Vertiefung Morphologie *
6.2.2 Einstieg in die Syntax *
6.2.3 Nichtsegmentale Ausdrucksweise *
6.2.4 Substitutionstest *
6.2.5 Kommutationstest oder Permutationstest *
6.2.6 Ein Stammbaum *
6.2.7 Konstituenten-Struktur-Grammatik und IC-Analyse*
6.2.8 Teil-Ganzes-Beziehung Teil-Teil-Beziehung *
6.2.9 Valenz-Dependenz-Grammatik *
7. Block *
7.1 Wiederholung *
7.2 Neuer Stoff *
7.2.1 Vertiefung Valenzgrammatik *
7.2.2 Aktanten und Zirkumstanten (Tesnier) *
7.2.3 fakultative und obligatorische Aktanten *
7.2.4 Lesarten eines Verbs *
7.2.5 Sonderfall "Zwangsplural" *
7.2.6 Nullwertige Verben *
7.2.7 Die Valenzen der deutschen Verben. *
7.2.8 Semantische Rollen (Fillmore) *
7.2.9 Diathese... *
7.2.10 ...und was bewirkt sie? *
8. Block *
8.1 Das Levelt-Modell *
9. Block *
9.1 Klausur: "Diathese?" *
9.2 Referate *
9.2.1 Der Genitiv *
9.2.2 Wozu Syntax? *
9.2.3 Assoziative Entgleisungen bei Schizophrenie *
10. Block *
10.1 Wiederholung: Levelt-Modell *
10.2 Neuer Stoff: Lexikalische Semantik / Semantische Syntax *
10.2.1 Die Inhaltsseite des Leveltschen Lexikon (lemmas)*
10.2.2 Wortfeldtheorie *
10.2.3 intentionale Bedeutungsbeschreibung *
10.2.4 extentionale Bedeutungsbeschreibung *
10.2.5 Das Kommunikationsmodell (Organon-Modell) von Bühler*
11. Block *
11.1 Wiederholung: Levelts Lexikon *
11.2 Neuer Stoff / Vertiefung *
11.2.1 Extentionale vs. intentionale Bedeutungsbeschreibung*
11.2.2 Metasprachliche Ebene Objektsprachliche Ebene und extentionale Bedeutungsbeschreibung *
11.2.3 Mögliche-Welten-Semantik *
11.2.4 "Bedeuten" vs. "meinen" *
11.2.5 Semantik vs. Pragmatik *
(im Seminar folgten hier zunächst zwei Kurzreferate, die ich aber aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs erst nach den Vokalen abhandeln werde)
4.2.1 Die Vokale des Deutschen
Was unterscheidet Vokale grundsätzlich von Konsonanten?
Konsonanten - sind stets auch Geräusche, d. h. unregelmäßige Schwankungen d. Luftdrucks
- können stimmhaft (dann sind sie gleichzeitig Töne und Geräusche) oder
stimmlos sein (dann sind sie nur Geräusche).
- werden gebildet, indem diverse Artikulatoren ein Hindernis bilden, welches
den Luftstrom zunächst abbremst, bevor er es beschleunigt passiert.
Vokale - sind immer Töne, d. h. die Stimmlippen sind auf Stimmstellung und werden durch die Atemluft in regelmäßige Schwingungen versetzt; Töne sind also regelmäßige Luftdruckschwankungen, welche durch die Stimmlippen entstehen.
- die Artikulatoren bilden keine wirklichen Hindernisse, sie variieren nur ge-
meinsam mit dem Öffnungsgrad des Unterkiefers den Resonanzraum im
Mund-Nasen-Bereich und damit den Ton. Der Luftstrom wird hierbei nicht ab-
gebremst!
Im Gegensatz zu den meisten Phonetik-Standardwerken sprechen wir nicht vom Diphtong,
sondern von sog. "Gleitvokalen", da diese Laute entstehen, indem man schnell von
der Artikulationsposition des ersten Vokals in die Nähe der Artikulationsposition eines
zweiten Vokals (nicht ganz bis in diese Position) "gleitet": Der Luftstrom setzt
während des Positionswechsels nicht aus.
Beim schnellen Sprechen verschwindet der Schwa-Laut am Wortende häufig zugunsten einer etwas verstärkten Stimmhaftigkeit des [n]. Auf dies Weise kann es im Deutschen zu Konsonantenclustern von bis zu sechs Konsonanten kommen; eine Konsonantenhäufung, die sich ansonsten nur noch im Arabischen findet...
4.2.2 1. Exkurs: "Lautspracherwerb nach Jakobson"
Jakobson: Russischer Sprach- und Literaturwissenschaftler, zunächst in Moskau tätig. In den 20er Jahren zog er nach Prag (Prager Schule, Prager Strukturalismus). Nachdem die Nazis die Tschechoslowakei "annektierten", floh er nach Paris, später nach Amerika. In den 50ern kehrte er nach Paris zurück.
In den 40er Jahren erforschte er die Reihenfolge des Erwerbs der einzelnen Sprachlaute.
Er kam zu der Erkenntnis, daß nicht der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Laute in erster
Linie über die Erwerbsreihenfolge entscheidet: Entscheidend ist, wie gut der Laut von den
Mund-Lippenbewegungen (z. B. der Eltern) abgeschaut werden kann; d. h. also: je
offensichtlicher die Bildung eines Lautes ist, um so früher wird er erworben.
Dementsprechend sind die ersten Sprachlaute die mit der offensichtlichsten Opposition:
1. Gegensatz: auf - zu
[a] (1. Vokal) vs. [p] oder [m] (selten [t]) (1. Konsonant)
2. Gegensatz: nasal - oral
[m] vs. [p] (je nachdem, welcher der beiden mit dem 1. Gegensatz
erworben wurde, folgt nun der andere. Dieser Schritt
folgt erst, wenn das Kind mit den zwei verschiedenen
Lauten auch zwei verschiedene "Dinge" (z. B. "Mama!"
im Unterschied zu "Papa!", und nicht einfach "Bezugs-
person!" meinen kann.)
3. Gegensatz: labial - dental (bzw. bei uns: alveolar)
[p] vs. [t] oder / und [n]
Dieses Cluster p, t, m, n bezeichnet Jakobson als den sog. "Minimalen Konsonantismus": Diese Laute erwirbt das Kind zuerst, und auch in der historischen Entwicklung der menschlichen Sprache standen sie wohl am Anfang dafür spricht, daß es weltweit keine Sprache gibt, die diese Laute nicht kennt!
4. Gegensatz: breit - eng
[a] / [ä ] [i]
[a] und [ä ] können zunächst gleichzeitig vorhanden sein und beliebig oder kombinatorisch (d. h. abhängig von der Lautumgebung) produziert werden. Wenn diese Unterscheidung eindeutig möglich ist, wird das [i] gelernt.
5. Gegensatz: palatal - velar
[i] vs. [u]
Dieses Cluster a, i, u bezeichnet Jakobson als "Minimalen Vokalismus" (vgl. oben!)
Wenn diese Gegensätze erworben wurden, folgen nach und nach die übrigen Laute. Für diese gibt es keine feste Reihenfolge mehr. Es gelten jedoch einige Gesetzte:
1. Gesetz der einseitigen Fundierung: "Bevor ein bestimmter Laut erworben werden kann, muß ein bestimmter anderer vorhanden sein." Und zwar müssen immer zuerst die Extreme vorhanden sein, bevor deren Abstufungen erscheinen können, also:
- Verschlußlaut ([p] / [t]...) vor dem entsprechenden Engelaut ([f], [s]...)
- vorderer Konsonant ([p], [t]...) vor hinterem Konsonant ([k]...)
- Engelaut ([f], [s]...) vor Affrikate ([pf], [ts]...)
- Oralvokale (im Deutschen nur solche vorhanden) vor Nasalvokalen (z. B. im Französischen)
Dies gilt entsprechend auch immer für Sprachsysteme! Es gibt also z. B. durchaus Sprachen, die zwar Engelaute kennen, aber keine Affrikaten, aber nicht umgekehrt!!! Nasalvokale sind z. B. auch nur in wenigen Sprachen vorhanden.
Zur Erinnerung: Das Kind entwickelt zunächst Muster (sensorische und motorische) für buchstäblich alle möglichen Laute. Anhand dieser Muster beginnt es dann, Laute die es hört zu identifizieren ("Welche Bewegung hat den Laut ausgelöst?") und zu imitieren; auf diese Stufe bezieht sich Jakobsons Theorie: Wenn es hier also heißt, das Kind erwerbe erst diesen, dann jenen Laut, so ist damit nicht gemeint, daß das Kind den Laut im eigentlichen Sinne des Wortes lernt (den kann es längst!) es lernt nur, die Laute, bzw. noch genauer und gut strukturalistisch: die Unterschiede zwischen ihnen sensorisch zu identifizieren, wobei es die größtmöglichen Unterschiede zuerst identifiziert.
Anmerkungen zum Spracherwerb bei Mehrsprachigkeit:
Da dem eigentlichen Spracherwerb ja immer ein Phase vorgeschaltet ist, in der das Kind alle möglichen Laute ausprobiert und beim eigentlichen Spracherwerb nur noch die nicht benötigten Laute verlernt werden, bedeutet Mehrsprachigkeit keineswegs eine Überforderung des Kindes. Es muß nur ein Mehr an Differenzierung bewahren (wenn die beiden Sprachen zusammen ein größeres Lautinventar haben als die einzelnen Sprachen) bzw. weniger vergessen. Das Problem beim gleichzeitigen Erwerb mehrerer Sprachen ist allenfalls die Bewahrung einer sauberen Trennung zwischen den einzelnen Sprachsystemen. Diesem Problem kann man begegnen, indem man die einzelnen Sprachen strikt nach äußeren Gegebenheiten trennt, also z. B. nach Personen (Mama = Englisch, Papa = Deutsch o. ä...) oder nach sozialen Räumen (Familie = Französisch, Kindergarten / Spielgefährten = Arabisch...) usw.
4.2.3 2. Exkurs: Sprachpathologien
Definition Aphasien: Erworbene (also nicht angeborene und nicht allmählich durch Abbauprozesse entstandene) Sprachstörungen als Folge einer Schädigung des zentralen Nervensystems.
Begriffsklärung "Zentrales Nervensystem": Platt gesagt: Zum zentralen Nervensystem gehören alle nicht peripheren Systeme (wer hätt´s gedacht...). Periphere Systeme sind z. B. die Zentren für die Wahrnehmungen der einzelnen Sinnesorgane: Visuelles, akustisches, taktiles, olfaktorisches Wahrnehmen hierfür gibt es einzelne, jeweils klar umgrenzte Zentren im Gehirn. Zentrale Prozesse dagegen wie z. B. die Sprache sind nicht zentriert, d. h. auf bestimmte Regionen beschränkt.
Aphasien betreffen sowohl rezeptive wie produktive Prozesse (also sowohl das Sprachverständnis als auch das Sprechen) in sämtlichen Modalitäten (Lesen, Schreiben, Hören, Sprechen...) und auf allen Ebenen (Phonologie, Lexikon, Syntax, Semantik).
Die Ursachen für Aphasien sind v. a. Schlaganfälle (d. h. im Blut bildet sich ein Gerinsel, dieses setzt sich in einem Blutgefäß im Gehirn fest und verstopft dieses, so daß die Region, die durch dieses Gefäß versorgt wird, nicht mehr durchblutet ist; das hat fatale Folgen, da Nervenzellen weder Sauerstoff noch Nährstoffe speichern können und nach ca. sieben Minuten ohne Versorgung absterben; außerdem wachsen sie im Gegensatz zu anderen Zellen nicht nach wenn sie abgestorben sind, sie sind also unwiederbringlich verloren.).
Andere Ursachen können sein: Verletzungen (z. B. durch Unfall), Krankheiten (v. a. entzündliche Prozesse), Tumoren und andere sog. raumfordernde Prozesse (ein Tumor verdrängt zunächst das Nervengewebe, quetscht es zusammen und behindert so die Durchblutung, ggf. kann er auch das umgebende Gewebe zerstören), Intoxikationen, Sauerstoffmangel etc.
Die Diagnose erfolgt durch Sprachtests (Nachsprechen, Schreiben, Lesen, Benennen, Verstehen, Spontansprache...; z. B. AAT) sowie durch bildgebende Verfahren (CT) durch diese lassen sich mehr oder weniger große "Löcher" im Gehirn erkennen.
Aphasien bilden sich häufig durch Spontanremision ganz oder teilweise zurück, im
Übrigen werden durch geeignete sprachtherapeutische Maßnahmen Besserungen erzielt.
Es gibt vier Standardsyndrome:
"Nur" Wortfindungsstörungen, sowohl in der Spontansprache als auch in
Benenntests. Ansonsten sind Sprachproduktion und Verstehen nahezu unbeeinträchtigt. Die
Patienten müssen nur sehr häufig nach Wörtern suchen, sie sind aber leicht
deblockierbar, z. B. durch Geben von Anlaut, Lückensatz o. ä. Die Einträge im Lexikon
sind also erhalten, nur der Abruf ist gestört.
Die Syntax ist stark vereinfacht sog. Agrammatismus: Die Äußerungen bestehen
oft nur aus Ein- bis Drei-Wort-Sätzen, sind im "Telegrammstil" gehalten. Der
Sprachfluß ist stockend und wirkt mühsam. Der Patient ringt um die Worte. Die
Artikulation ist oft undeutlich, verwaschen und ebenfalls mühsam, die Prosodie ist
gestört, oft einförmig. Das Sprachverständnis ist noch relativ gut, die
Selbstwahrnehmung und das Störungsbewußtsein ebenfalls.
Die Syntax ist zwar komplex angelegt, d. h. es werden komplizierte Satzkonstruktionen
begonnen, jedoch nicht zu Ende geführt, sondern verschiedene Konstruktionen überlagern
sich, werden abgebrochen, neue begonnen usw. (sog. Paragrammatismus). Die Patienten haben
oft einen starken Rededrang und können ihren Redefluß kaum noch stoppen (sog. Logoroeh).
Das Sprachverständnis ist stark gestört, die Patienten haben oft nur wenig
Störungsbewußtsein. Die Prosodie und Artikulation scheinen mühelos.
Schwerste Form der Aphasie. Starke Störungen in allen Bereichen. Die Patienten verstehen kaum noch etwas, ihre Produktion ist ebenfalls extrem reduziert und häufig auf Echolalien (also Nachsprechen dessen, was der Gesprächspartner gerade gesagt hat, ohne dies jedoch zu verstehen), automatisierte Reihen (Wochentage, Monatsnamen, Zahlen...) oder Floskeln beschränkt. Häufig sind die Patienten halbseitig (rechts) gelähmt (Hemiplegie / -parese).
Eine Sonderform der Aphasie ist die sog. Leitungsaphasie. Hierbei ist das Nervenfaserbündel, das Broca- und Wernicke-Region verbindet, das sog. Fasziculus arquatus gestört oder unterbrochen. D. h. die unmittelbare Interaktion dieser beiden Regionen funktioniert nicht mehr, sie sind nur noch über den Umweg der inhaltlichen Interpretation miteinander verbunden. Im Test läßt sich das z. B. nachweisen als die Unfähigkeit der Patienten, Nonsenswörter (also Lautfolgen, die zwar den deutschen Lautgesetzten Genüge tun, aber bedeutungslos sind: Garb, Ulik, Murf ...) nachzusprechen. Dies ist nur möglich über die direkte Verbindung zwischen Wernicke- und Broca-Region; in der Wernicke-Region treffen die akustischen Stimuli ein und werden auch so weit als möglich adäquat bearbeitet. Aber da es für dieses Lautmuster keine Verbindung zur Semantik gibt und die zur motorischen Broca-Region unterbrochen ist, erhält die letztere keinen Input und kann somit auch keinen Output produzieren. Inhalttragende Wörter können die Patienten dagegen deutlich besser nachsprechen. Spontansprachlich und hinsichtlich des Sprachverständnisses sind sie weitgehend unauffällig.
Auch wenn jetzt hier die ganze Zeit von Broca- und Wernicke-Regionen (wohlgemerkt: nicht "Zentren"!) die Rede war es sei nochmals darauf hingewiesen, daß Sprache ein zentraler Prozeß und damit nicht in klar umgrenzten Gebieten im Gehirn "angesiedelt" ist! Vielmehr sind überall im Gehirn, auch in der rechten Hemisphäre, sprachrelevante Bereiche zu finden (die vielleicht teilweise nur noch nicht so klar lokalisiert wurden wie Broca- und Wernicke-Region). Es ist heutzutage nicht mehr legitim, von Sprachzentren zu sprechen! Es ist zwar wohl richtig, daß Läsionen in diesen beiden Arealen häufig mit Sprachstörungen einhergehen, deswegen aber zu postulieren, daß die beeinträchtigten Leistungen hier und nur hier erbracht worden wären, ist ein Denkfehler; dies wurde mit Hilfe der sog. "Motor-Metapher" erklärt:
"Wenn bei einem Auto der Benzinschlauch ein Loch hat, so daß das Benzin nicht
mehr in den Motor gelangt und dieser also stehen bleibt, würde man bei einem Blick auf
den lädierten Benzinschlauch ja auch nicht auf die Idee kommen, daß an der Stelle, wo
sich das Loch befindet, vorher die Leistung erbracht worden sei, die den Wagen
vorantrieb." Entsprechendes gilt für die Aphasien und die Läsionen in diesen
bestimmten Regionen: Mit Sicherheit passierte dort irgend etwas, was für die Sprache
unerläßlich war; deswegen aber anzunehmen, daß die gesamte sprachliche Leistung dort
erbracht worden sei, ist nicht haltbar. Offensichtlich liegt irgendein Diskonnektionismus
vor, d. h. irgendwelche unerläßlichen Verbindungen zwischen verschiedenen
sprachrelevanten Bereichen sind beeinträchtigt; mehr läßt sich aber nicht sagen. Weiter
gute Argumente gegen die Zentrierung der Sprachleistungen in diesen klar umgrenzten
Regionen ist die Tatsache, daß es Fälle mit winzigen Läsionen und umfangreichen
sprachlichen Defiziten gibt, solche mit riesigen Läsionen und nahezu keinen sprachlichen
Auffälligkeiten und solche, bei denen die Läsion eher im Broca-Areal liegt, das
Störungsbild aber eher an Wernicke erinnert (oder umgekehrt).
Stimmhaftigkeit? Stimmlippen flattern!
Stimmlippen flattern? d. h. die Stimmlippen sind geschlossen; dahinter staut sich die Atemluft, so lange, bis der Luftdruck zu groß wird; der öffnet dann die Stimmlippen kurz, es strömt ein "Klumpen" Atemluft aus; wenn auf diese Weise der Luftdruck gesenkt wurde, schnellen die Stimmlippen wieder zusammen und schließen so die Stimmritze. Die Luft staut sich wieder usw. Auf diese Weise entsteht eine Reihe von gleichmäßigen Luftdruckschwankungen = Töne.
Vokale? sind immer stimmhaft, d. h. die Stimmlippen flattern (s. o.). Der auf diese Weise gleichmäßig geformte Luftstrom wird nicht durch irgendwelche Hindernisse gestoppt / gebremst: Der unterschiedliche Klang der verschiedenen Vokale entsteht nur durch den jeweils unterschiedlichen Resonanzraum (gebildet durch Öffnungsgrad des Unterkiefers, Rundung der Lippen)
Konsonanten? können stimmhaft o. stimmlos sein (d. h. Töne + Geräusch oder nur Geräusche (Konsonanten sind immer zumindest auch Geräusche!)). Luftstrom wird durch d. Artikulatoren manipuliert, d. h. es entstehen Verwirbelungen d. Luftstroms.
/h/ ? Kein Resonanzraum, kein Flattern der Stimmlippen, von daher Konsonant;
keine Manipulation durch Artikulatoren, von daher auch vokalische Anteile.
5.2 Neuer Stoff: Von der Phonetik zur Phonologie zur Morphologie
Frage: Wozu hat man überhaupt all diese verschiedenen Artikulationen?
Antwort: Ganz einfach um ausreichend viele verschiedene Laute zu haben, um all die verschiedenen Wörter codieren zu können.
Man spricht in diesem Zusammenhang von der Sonorität der verschiedenen Laute: Unter Sonorität eines Lautes versteht man die Mixtur seiner verschiedenen Merkmale als Unterscheidungskriterien gegenüber anderen Lauten.
Die Sonorität einzelner Laute läßt sich auf der folgenden Sonoritätsskala darstellen:
5.2.1 Sonorität / Sonoritätsskala:
Extreme Sonoritätsunterschiede werden in allen Sprachen der Welt aus Gründen der
Sprach-
ökonomie vermieden: Laute, die auf der o. g. Sonoritätsskala weit auseinander liegen (~
extremer Sonoritätsunterschied), würden, direkt hintereinander gesprochen, eine
erhebliche motorische Anstrengung der Artikulatoren erfordern; diese wird vermieden.
Ebenso wird eine zu große Minimierung der Sonoritätsunterschiede überall vermieden:
Die einzelnen Laute wären sonst nur noch schwer von einander unterscheidbar.
Bsp.:
5.2.3 Phon Phonem - Allophon
Ein Phon ist also ein nicht weiter klassifizierter Laut, eine Lautbildung, noch nicht nach Funktionalität unterschieden. Man verwendet sie, so lange es nur um die Segmentierung einer Lautkette geht.
Ein Phonem ist dagegen ein klassifizierter Laut, d. h. es wurde mit Hilfe
eines Minimalpaares festgestellt, daß in einer Kette von Lauten (...einem Wort...)
ein Bedeutungsunterschied entsteht, wenn man diesen einen Laut durch einen anderen
ersetzt. Es ist funktional, es ist bedeutungsrelevant.
Ein Phonem ist also die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer Sprache !!!
5.2.4 Kombinatorische Allophone
frei wählbare Allophone
Kombinatorische Allophone
Wie das o. g. Beispiel zeigt, gibt es offenbar für (manche) Allophone wie z. B. aspirieretes vs. nicht aspiriertes /k/ - feststehende Regeln, wann sie verwendet werden: Wie oben beschrieben, werden die beiden Varianten des /k/ in Abhängigkeit von der lautlichen Umgebung gewählt das eine vor Vokalen, das andere vor Konsonanten. Allophone dieser Art nennt man kombinatorische Allophone, weil sie eben jeweils in Abhängigkeit, d. h. in Kombination mit bestimmten anderen Phonen auftreten. D. h. wo das eine steht, darf korrekter Weise das andere nicht stehen und umgekehrt das nennt man komplementäre Distribution oder komplementäre Verteilung.
Frei wählbare Allophone
Es gibt aber auch Allophone, für die es keine Regeln gibt, wann welches Allophon steht. Ein Beispiel hierfür wären die Allophone des /r /-Phonems: Ob ich "Recht", "Rübe", "Rhabarber" etc. mit frikatives Rachen-R, [r ] (rollendes Zäpfchen-R) oder [R ] (Zungenspitzen-R) spreche ist völlig egal und folgt auch keiner Ausspracheregel (es verrät allenfalls etwas über die Herkunft des Sprechers Zungenspitzen-R wird v. a. im bayerischen Dialektraum gesprochen). Solche Allophone nennt man frei wählbare Allophone.
Es geht also inzwischen nicht mehr um die reine Beschreibung der Lautbildung und die Segmentierung von Lautketten in Laute das war Gegenstand der Phonetik.
Jetzt geht es um die funktionale Beschreibung der Laute (also welche Funktion sie haben, wie sie im Zusammenhang mit anderen Lauten funktionieren...); es geht darum, die Laute zu klassifizieren das ist der Gegenstand der Phonologie.
5.2.6 Saussure und die Phonetik / Phonologie
Erst die Phonologie gehört im engeren Sinne zur Sprachwissenschaft; die Phonetik ist eigentlich noch Biologie und Physik; erst wenn man sich mit Phonemen beschäftigt, befindet man sich auch "innerhalb des de Saussurschen Zeichens", nämlich im Bereich der images (nur die Abschnitte B und C stellen das Zeichen dar!). Wir erinnern uns an Saussures zweiseitiges Zeichenmodell. Phonetik und Phonologie werden den Bereichen A und B zugeordnet:
5.2.7 Phonologie + Morphologie
Die Begriffe der Phonologie finden ihre direkte Entsprechung in der Morphologie:
Dem Phon entspricht das Morph,
" Phonem " Morphem,
" Allophon " Allomorph.
So wie sich die Phonologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der einzelnen Sprachlaute (Phoneme) beschäftigt, so beschäftigt sich die Morphologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der nächstgrößeren Einheit, den Morphemen.
5.2.8 Morph, Morphem und Allomorph
Morph: noch nicht weiter klassifizierte Lautfolge (Folge von Phonemen).
Morphem: Eine nach ihrer funktionalen Bedeutung klassifizierte bedeutungstragende Lautfolge, ein (Bestandteil eines) Wort(es), das genau einen Inhalt, eine Bedeutung transportiert.
Ein Morphem ist also die kleinste bedeutungstragende Einheit einer Sprache
Allomorphe: Phänomenologisch verschiedene Lautfolgen (also aus jeweils anderen Lauten bestehend), die aber die gleiche Funktion, also die gleiche Bedeutung haben, und deshalb zu ein und dem selben Morphem gehören. (z. B. alle Morpheme, die die Bedeutung "Plural" transportieren: -er, -en, -s, -e, sind Allomorphe des Plural-Morphems; sie klingen anders, werden anders gebildet, bestehen aus jeweils verschiedenen Lauten, haben aber alle die gleiche Bedeutung: Plural!)
Nochmals zurück zu den Morphemen:
Jedes Wort besteht also aus einem oder mehreren Morphemen:
"Auto|s" besteht aus zwei Morphemen: 1. Auto-: "motorgetriebenes, vierrädriges Fahrzeug"
2. s: "Plural; mehr als eines"
"Boot|e" besteht auch aus zwei Morphemen: 1. Boot-: "kleines Wasserfahrzeug" o. ä.
2. e: "Plural; mehr als eines"
"lach|-|st" besteht aus drei Morphemen: 1. lach-: "Lautäußerung, die Heiterkeit ausdrückt"o.ä.
2. -( -, sog. Nullmorphem: "Tempus: Präsens"
3. st: "Numerus: 2. Pers. Singular"
"lach|t|est" besteht auch aus drei Morphemen: 1. lach-: wie oben
2. t-: "Tempus: Präteritum"
3. est: "Numerus: 2. Pers. Singular"
5.2.9 Kombinatorische und frei wählbare Allomorphe
Wie es bei den Phonemen die kombinatorischen Allophone gibt (s. o.), so gibt es entsprechend bei den Morphemen die kombinatorischen Allomorphe.
Beispiele hierfür sind die beiden Allomorphe s ("Auto/s") und e ("Boot/e") des Plural-Morphems sowie die beiden Allomorphe st ("lach/st") und est ("lach/t/est") des 2.Pers.Sing.-Morphems aus dem obigen Beispiel: Auch wenn sie jeweils das selbe bedeuten, kann ich sie selbstverständlich nicht beliebig verwenden; welches ich verwenden muß, hängt wiederum davon ab, in welcher Umgebung es steht, konkret: welchem lexikalischen Morphem (s. u.) es die Bedeutung "Plural" anfügen soll "Autoe" ist eindeutig falsch, auch wenn e im Prinzip das selbe bedeutet wie s.
Ob ich als 2.Pers.Sing.-Morphem st oder est verwende, hängt mit der lautlichen Umgebung zusammen: "normalerweise" verwende ich st; wenn aber dieses apiko-alveolare Lautcluster auf ein Morphem folgen würde, dessen Schlußlaut am selben Artikulationsort gebildet wird (wie z. B. das Präteritum-Morphem t), der Sonoritätsunterschied und damit die Deutlichkeit also zu klein würde, dann muß ich statt dessen est wählen.
Auch die kombinatorischen Allomorphe sind also komplementär verteilt: "Wo das eine stehen muß, darf das andere nicht stehen" und umgekehrt: ich sage weder "lach|t|st" noch "lach|( |est" (außer wenn ich mich betont "geschwollen" ausdrücken will...).
Es gibt auch einige frei wählbare Allomorphe. "Tür" und "Türe" wären Beispiele hierfür: Ganz egal wo, wie, in welchem Zusammenhang es ist völlig egal, welches von den beiden ich wähle, sie sind immer beide möglich und richtig, und es bleibt meinem Geschmack überlassen, wofür ich mich entscheide.
5.2.10 Grammatische und lexikalische Morpheme
Die Morpheme lassen sich unterteilen nach den sog. lexikalischen und den grammatischen Morphemen.
Die lexikalischen Morpheme beziehen sich auf die Dinge der Umwelt (i.w.S.), sie sind gewissermaßen die Namen der Gegenstände (sehr salopp ausgedrückt...!). Das sind also die Morpheme wie Türe-, Boot-, lach-, ängst- (von "ängst|lich", "ängst|igen"...) kauf-, schnell- ...
Diese Klasse von Morphemen ist offen, d. h. sie ist im Prinzip jederzeit und beliebig erweiterbar, und sie wird auch ständig erweitert: lexikalische Morpheme wie "e-mail-", "blade-" gab es bis vor einigen Jahren noch nicht...
Die grammatischen Morpheme beziehen sich auf die grammatische Funktion eines Dings (i. w. S.) in einem Satz: Sie drücken aus, ob das Ding als Substantiv, Objekt oder Verb gebraucht wird, im Singular oder Plural, in welcher Zeit etc. Beispiele hierfür sind die verschiedenen Affixe (Suffix, Präfix, Infix), wie wir sie oben bereits kennengelernt haben: -e, -s ... für Plural, -t- für Präteritum, -st, -est für 2.Pers.Sing..., aber auch Artikel u. ä., wie z. B. "der", "ein", "des" etc..
Für die Allomorphe der grammatischen Morpheme gibt es zwei Typen von Verteilung:
1. nach grammatischen Kriterien - klar: je nachdem, an welcher Stelle im Satz, in Verbindung mit welchem lexikalischen Morphem, in welcher/m Funktion, Tempus, Numerus, Kasus... das Morphem steht.
2. nach phonetischen Kriterien - je nachdem, welcher Laut vorangeht, welches Allomorph also "bequemer" zu realisieren ist bzw. am besten verstehbar ist.
5.2.11 double articulation (André Martinet)
Die Wörter der Sprache (sowohl ihre Laut- als auch ihre Schriftform) lassen sich also in zwei Schritten "auseinandernehmen":
Der Franzose André Martinet prägte hierfür den Begriff der double articulation, zu deutsch: Zweifache Gegliedertheit.
Im Falle der Lautsprache gilt dies für alle Sprachen der Welt! D. h. alle Sprachen der Welt haben in ihrem jeweiligen Lautsystem jeweils ungefähr 30 Phoneme (Min. knapp unter 20, max. knapp über 40, wenn ich mich recht erinnere), aus denen setzen sie die Morpheme zusammen und aus diesen wiederum die Wörter.
Im Falle der Schriftsprache gilt dies aber nur für die sog. Alphabetschriftsysteme,
die jeweils (ungefähr...) pro Phonem ein Schriftzeichen haben, aus diesen die Morpheme
und daraus wiederum die Wörter zusammensetzten:
bedeutungsunterscheidend | bedeutungstragend |
~ 30 Phoneme; dem entsprechen ~ 30 Grapheme (Buchstaben) in den Alphabetschriftsystemen |
~ 10.000 Morpheme; dem entsprechen ~ 10.000 Grapheme in den Bildschriftsystemen. |
Die Alphabetschriftsysteme sind also offensichtlich sehr viel ökonomischer als die Bildschriftssteme man muß eben nur einen Bruchteil der Zeichenmenge lernen, die ein Bildschrifsystem beinhaltet, nämlich ca. 30. Dementsprechend braucht man (d. h. ein Kind) ca. 1,2 Jahre um eine Alphabetschrift zu erlernen; um eine Bilderschrift auch nur einigermaßen zu beherrschen, braucht man viele, viele Jahre (~ ungefähr bis zum Abitur, um eine Tageszeitung lesen zu können), letztlich lernt man ein Leben lang.
Unsere Alphabetschrift geht ursprünglich auf die Phönikier zurück; die Römer
übernahmen deren Schriftsystem und änderten es bis (annähernd) zur heutigen Form ab.
5.2.12 Anhang: Die paradigmatische und die syntagmatische Ebene
(Wurde im Seminar nur kurz im Zusammenhang mit den Minimalpaaren (s. o.) angerissen.)
Die syntagmatische Ebene ist die ("horizontale") Eben der sequenziellen
Abfolge einzelner Elemente (Phoneme, Morpheme) in einem Syntagma (= einer Folge solcher
Elemente); die paradigmatische Ebene ist die ("vertikale") Ebene, auf der
einzelne Elemente innerhalb eines Syntagmas gegen andere Elemente ausgetauscht werden
können:
6. Block
Martinet? "Erfinder" der Double Articulation, d. h. der Doppelten Gegliedertheit der Sprachen und der Alphabetischen Schriftsysteme.
Double Articulation? Die Elemente der Sprache lassen sich in zwei Einheiten untergliedern: in Morpheme und Phoneme.
Na und? Das ist sehr ökonomisch! Auf diese Weise lassen sich durch wenige Phonem (und v. a. durch wenig Grapheme!) viele, viele Bedeutungen verschlüsseln.
Schriftsysteme? Alphabetische Schriftsysteme vs. Bildschriftsysteme: Ein alphabetisches Schriftsystem umfaßt nur ca. 30 Zeichen, nämlich ungefähr pro Phonem eines; ein Bildschriftsystem aber ca. 10.000, nämlich ein Zeichen für jedes Morphem!
Gliederung? Auf beiden Ebenen (der phonologischen und der morphologischen) läuft sie total parallel zuerst:
Segmentierung in Phone bzw. Morphe, dann:
Klassifizierung in Phoneme / Allophone bzw. Morpheme / Allomorphe.
Minimalpaar? Wenn sich im Substitutionstest keine Minimalpaar finden läßt, handelt es sich um Allophone eines Phonems.
Komplementäre Verteilung? = Verteilung nach festen Regeln! Die Verteilung erfolgt aufgrund der Sprachökonomie: Es ist einfacher, nacheinander zwei Laute zu artikulieren, deren Artikulationsorte nahe beieinander liegende als welche, deren Artikulationsorte weit entfernten sind.
Verteilung nach welchem Prinzip? Kombinatorische Allophone sind nach lautlichen / artikulatorischen (s. o. die Allophone des /x/-Phonems) Kriterien verteilt.
Pluralmorphem? Enthält im Deutschen neuen verschiedene Allomorphe!!! (Ökonomie?!)
Verteilungsregeln der Morpheme? Nach zwei Prinzipien:
1. nach dem grammatischen Kontext (z. B. lang- vs. läng-: läng- steht nur in den
Steigerungsformen);
2. nach Artikulatorischen Kriterien: -st und est sind beides Allomorphe des
Zweite-Person-Singular-Morphems wann welches davon steht, hängt davon ab, welcher
Laut diesem Allomorph vorangeht: Ist dies ein Konsonant mit gleichem Artikulationsort wie
[s], [t] so folgt est, sonst st.
6.2.1 Vertiefung Morphologie
... und was ist mit Wörtern wie
(gut) besser (am) besten?
Wieviele Morpheme haben die nun? Nur eines? Oder zwei?
Antwort: Zwei Morpheme!: Bess/er
Und wie verhalten sich dann gut und bess- zueinander?
Ganz klar: Sie sind Allomorphe eines Morphems!
Daraus ergeben sich die zwei Fragen nach der Verteilung:
ntwort: gut/er als Steigerungsform?!?!? Wohl kaum! Also: Natürlich
komplementär!!!
Antwort: nach grammatischen Regeln! bes(s)- steht nur bei den Steigerungsformen.
Alles klar! Oder? Hmmm...
Wenn man aber die beiden Reihen
gut besser am besten
schön schöner am schönsten
miteinander vergleicht, d. h. v. a. ihre Superlativformen, läge eigentlich die Schlußfolgerung nahe, daß sten das Superlativ-Morphem ist! Dann bleibt für das lexikalische Morphem aber nur noch be- statt bes-?!
Antwort: Genau! Wenn man so will. D. h. die Frag, wo denn das -s- nun hingehört, ist nicht klar entscheidbar: Sowohl die Segmentierung in be/sten als auch die in bes/ten ist denkbar.
D. h. ich muß immer ein Morphem um ein Allomorph erweitern:
Entweder das /gut/-Morphem, das bislang die Allomorphe /gut/, /bess-/, /bes-/ enthält um /be-/ oder das Superlativmorphem, das bislang nur /-sten/ enthält um das Allomorph /-ten/ - an irgendeiner Stelle im System wirds also ein bisserl komplizierter wo, das kann ich mir aussuchen...
6.2.1.2 Suppletivwesen
Darunter versteht man die Kombination ursprünglich verschiedener Wörter zu
(semantischen) Einheiten, um so alle Allomorphe durchlaufen zu können. Ein gutes Beispiel
ist hierfür das Hilfsverb "sein": Hier gibt es heute die Allomorphe /sein/,
/bi-/, /ist/, ... /war-/ etc. Diese verschiedenen Allomorphe gehen auf drei ursprünglich
völlig verschiedenen Wörter zurück, nämlich "sin", "wessan" und
"ben".
Eine Äußerung besteht also offenbar aus der Abfolge von kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, d. h. aus der Summe der einzelnen Bedeutungen dieser Einheiten. Oder?
Das hieße also: A + B + ... = X
Morphem a Morphem b Morphem ... Bedeutung von Satz x
Hm. Und bekanntlich gilt ja A + B = B + A.
Also: zwei/hundert = hundert/zwei.... und Bier/faß = Faß/bier...?
Wohl doch nicht so ganz. Offensichtlich wird die Bedeutung der Morphemsequenz doch noch durch etwas anderes bestimmt als nur die Bedeutung der einzelnen Morpheme /zwei/ und /hundert/ bzw. /bier/ und /faß/ - nämlich durch die Art und Weise, in der diese aufeinander folgen.
Im Falle der Zahlwörter gilt offenbar:
6.2.3 Nichtsegmentale Ausdrucksweise
Offenbar gibt es also Bedeutungselemente, die nicht durch die bekannte segmentale Ausdrucksweise codiert werden, dies ist dann eine nichtsegmentale Ausdrucksweise! D. h. diese Bedeutungselemente kann ich nicht durch Segmentierung in Morpheme isolieren; sie werden nur durch die Art, wie die Morpheme miteinander kombiniert sind, vermittelt.
Demnach bedeutet die Sequenz
Klaus kommt nicht unbedingt das gleiche wie
kommt Klaus ?
Wir suchen nun also nach den Regeln, wie die einzelnen Elemente in einem Satz kombiniert werden müssen, damit der Satz korrekt ist bzw. eine ganz bestimmte Bedeutung hat.
Bleiben wir zunächst bei den Aussagesätzen.
Der Satz Klaus kommt. legt die Vermutung nahe, daß in einem Aussagesatz das finite Verb immer an zweiter Stelle steht. Aber wie sieht das dann z. B. aus bei dem Satz Der Mann kommt.? Da steht das finite Verb an dritter Stelle! Also steht es immer am Schluß? Aber was ist dann mit Heute kommt meine Tochter.? Also:
Klaus kommt.
Der Mann kommt.
Heute kommt meine Tochter.
- auf den ersten Blick ist hier kein rechtes Prinzip zu erkennen. Aber irgendwie lassen sich die Sätze sozusagen "intuitiv" in einzelne Teile gliedern, etwa so:
Klaus kommt.
Der Mann kommt.
Heute kommt meine Tochter.
Hier fällt auf, daß das finite Verb ("kommt") immer als zweiter Teil in der
Sequenz steht (während es bei einem Fragesatz an erster Stelle stehen würde). Jetzt
sollte man nur noch von dieser "intuitiven" Eben weg kommen und ein Prinzip
finden, nach dem hier einzelne Wörter in zusammenhängende Teile zusammengefaßt
wurden... Und dazu begibt man sich mal wieder auf die paradigmatische Ebene und
bedient sich des Substitutionstests, fragt sich also, wodurch denn die einzelnen
Teile ersetzbar wären.
In unserem Beispiel widerspricht ja nur der zweite Satz, Der Mann kommt. der Theorie von der Zweitplatzierung des finiten Verbs. Es gilt also, mittels Substitutionstest ein einzelnes Morphem zu finden, das den Teil Der Mann ersetzen könnte, ohne daß der Satz ungrammatisch wird.
Gibt´s sowas?
Na klar: Der Mann ist ohne weiteres ersetzbar durch Er und damit würde auch dieser Satz perfekt ins Schema passen.
Nach diesem Prinzip lassen sich wahre "Bandwürmer" zu einem einzigen Teil zusammenfassen:
Der alte Mann, der lange nichts von seinen Kindern aus Frankreich gehört hatte, // ging nach Hause.
Auch bei diesem "Monsturm" läßt sich der gesamte, aus immerhin dreizehn Wörtern bestehende erste Teil (bis zum Zeichen // ) durch ein schlichtes Er ersetzen das finite Verb ging steht damit wieder an zweiter Stelle.
Die syntagmatische Anordnung der Teile eines Satzes trägt also etwas zur Bedeutung bei! Das heißt, diese Anordnung hat im besten de Saussurschen Sinne Zeichencharakter.
Und mit dieser Anordnung der Satzteile bzw. den Regeln, nach denen solche Sequenzen aufgebaut werden, beschäftigt sich die Syntax.
Nochmals zurück zum obigen "Monstersatz":
Nicht nur der erste Teil vor // ist auf der paradigmatischen Ebene durch ein einziges Morphem ersetzbar dies gilt auch für den zweite Teil hinter //: Der kann z. B. durch "schläft" ersetzt werden. Also besteht dieser elendslange Satz offenbar letztlich nur aus zwei Teilen.
6.2.5 Kommutationstest oder Permutationstest
Die einzelnen Teile eines Satzes lassen sich nicht nur auf der paradigmatischen Ebene durch den Substitutionstest ersetzen; man kann sie auch auf der syntagmatischen Ebene durch den sog. Kommutationstest oder Permutationstets, zu deutsch also ein Umstellungstest, verschieben. D. h. die mutmaßlichen Teile des Satzes werden in ihrer syntagmatischen Reihenfolge variiert solange dabei weiterhin grammatikalisch korrekte Sätze entstehen, ist damit der Beweis erbracht, daß es sich bei den umgestellten Teilen offensichtlich tatsächlich um zusammenhängende Einheiten handelt.
Bsp.:
Der jüngere Mann // schenkt // ihr // rote Rosen.
// bedeutet die "mutmaßlichen" Grenzen der einzelnen Teile. Und tatsächlich:
Rote Rosen // schenkt // ihr // der jüngere Mann.
Schenkt // der jüngere Mann // ihr // rote Rosen?
Schenkt // ihr // der jüngere Mann // rote Rosen?
(Ich habe gesehen, daß) der jüngere Mann // ihr // rote Rosen // schenkt.
sind allesamt ebenfalls grammatikalisch korrekte Sätze. Dagegen wäre etwa
* jüngere Der Mann // ihr // schenkte // Rosen rote.
gänzlich ungrammatisch die Umstellung erfolgte hier auch innerhalb der "gemutmaßten" Satzteile. Der Kommutationstest war also erfolgreich.
Es hängen also einzelne Wörter in einem Satz, nämlich die der einzelnen Teile, fester / enger miteinander zusammen als andere diese besonders eng zusammenhängenden Wörter können nicht einfach getrennt / umgestellt werden, sonst wird der Satz ungrammatisch : Der Satzteil Der jüngere Mann ist ein Beispiel dafür.
Diese Zusammenhänge werden in den sog. Stammbäumen dargestellt:
In dieser Darstellung unterscheidet man zwischen Knoten und Kanten: Knoten sind da, wo verschiedene Linien zusammentreffen, Kanten verlaufen entlang der einzelnen Linien.
Ein solcher Stammbaum bildet Teil-Ganzes-Beziehungen ab, nämlich die Beziehung der einzelnen Satzteile zum ganzen Satz, bzw. die der einzelnen Wörter / Morpheme zum jeweils übergeordneten Teil.
Es handelt sich nicht um eine Element-Klasse-Beziehung! (Bsp. Ein einzelner Stuhl ist ein Teil des Ganzen "Menge aller Stühle" dies ist also eine Teil-Ganzes-Beziehung. Aber die Stühle sind ein Element der Klasse "Mobiliar" also eine Element-Klasse-Beziehung.)
6.2.7 Konstituenten-Struktur-Grammatik und IC-Analyse
Die Syntax, als die Lehre von der syntagmatischen Abfolge der Teile eines Satzes, gehört offensichtlich in den Bereich, den man in der Schule pauschal als "Grammatik" bezeichnet. Aber diese spezielle Vorgehensweise, die Aufschlüsselung und Darstellung eines Satzes in solchen Stammbäumen, sind doch wohl etwas ganz anderes als die gute alte Schulgrammatik. Wie soll man also diese spezielle Art von Grammatik nennen?
Da sie sich mit der Untergliederung des Satzganzen in seine Teile, seine Konstituenten (von engl.: constituents) sowie der Beziehung dieser Teile zueinander, kurz: der Struktur (engl.: structure) des Satzes beschäftigt, nennt man sie Konstituenten-Struktur-Grammatik. Es werden also wie gesagt Teil-Ganzes-Beziehungen dargestellt.
Das Vorgehen, einen Satz in solch einem Stammbaum darzustellen, nennt man IC-Analyse (v. engl.: "immediate-constituentsanalyse"), da sie den Satz in seine unmittelbaren Teile (seine immediat constituents), nämlich die oben beschriebenen Satzteile zerlegt, diese Satzteile wiederum in ihre unmittelbaren Teile, z. B. Wörter oder zumindest noch kleiner Teile, die Wörter wieder in die unmittelbaren Konstituenten, die Morpheme etc., also die jeweils übergeordnete Ebene immer in die nächstkleinere Einheit.
Die einzelnen Teile, die im obigen konkreten Satzbeispiel jeweils eben konkrete
Satzteile waren, müssen natürlich in einer Konstituenten-Struktur-Grammatik auch
allgemein und abstrakt, eben als Sturktur dargestellt und benannt werden. Dies zeigt die
folgende verallgemeinerte Form des obigen Beispiels:
6.2.8 Teil-Ganzes-Beziehung Teil-Teil-Beziehung
Die Beziehung zwischen den jeweils untergeordneten Teilen und dem übergeordneten Satz(teil) ist also wie oben dargestellt eine Teil-Ganzes-Beziehung. Dann müßte es doch aber auch Teil-Teil-Beziehungen geben?
Klar gibt´s die! Es gibt sogar drei verschiedene:
Es besteht also offenbar noch eine besondere, eine Teil-Teil-Beziehung zwischen rote und Rosen: Rote ist von Rosen abhängig, Rosen jedoch nicht von rote. Rote setzt Rosen voraus, aber nicht umgekehrt. Es besteht also eine Einseitigkeit in dieser Beziehung. Man nennt diese Art von Teil-Teil-Beziehung Dependenzbeziehung: Man sagt, es bestehe eine Dependenzbeziehung zwischen rote und Rosen.
6.2.9 Valenz-Dependenz-Grammatik
Wie wir nun gesehen haben, gibt es gibt es offensichtlich nicht nur "die Grammatik", wie uns die Schulbücher glauben machen wollen, sondern es gibt viele verschiedenen Grammatiken, d. h. viele verschiedenen grammatischen Ansätze mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Ein weiterer solcher Ansatz ist die Valenz-Dependez-Grammatik. Diese Grammatik hat ihren Namen, weil sie die Sätze vom Verb ausgehend, in Abhängigkeit (Dependenz) von der Wertigkeit (Valenz) des finiten Verbs, beschreibt.
Was meint die Rede von der Wertigkeit des Verbs? Ganz einfach: Ein finites Verb "verlangt" immer eine bestimmte Anzahl weiterer Satzteile, d. h. Subjekt und Objekt(en), damit ein vollständiger Satz dabei herauskommt; im Deutschen gibt es ein-, zwei- und dreiwertige Verben:
Die Aufgliederung des Satzes erfolgt also in ähnlicher Weise wie bei der Konstituenten-Strukturgrammatik, nur ist die hierarchische Struktur hier anders konzipiert: An der Spitze steht sozusagen das Verb, von diesem hängen die übrigen Satzteile ab; es gibt in der Valenz-Dependenz-Grammatik also nicht die verschiedenen Ebenen der IC-Analyse, sondern die Satzteile Subjekt und Objekt(e) sind in der Hierarchie gleichgestellt und vom Verb abhängig. Die Valenz-Dependez-Grammatik beschäftigt sich aber nur mit den obligatorischen Satzteilen (s.o.)! D. h. nicht obligatorische Teile werden hier nicht weiter untersucht.
Die Dependenzbeziehung zwischen dem finiten Verb und den weiteren Satzteilen ist jedoch
etwas anders geartet als diejenige zwischen rote und Rosen (s. o. 6.2.8 3.):
Genaugenommen handelt es sich hier um eine Interdependenzbeziehung, also eine
wechselseitige Abhängigkeit! Denn nicht nur Subjekt und Objekt(e) hängen vom Verb ab,
sondern natürlich auch das Verb in gewisser Weise von Subjekt und Objekt(en)
alleine bildet das Verb eben keine "stabile Verbindung", d. h. keinen
vollständigen Satz der deutschen Sprache.
Valenz? Beschreibt eine Teil-Teil-Beziehung zwischen Satzteilen. Wir interessieren uns hier nahezu ausschließlich für die Valenz der finiten Verben; es gibt aber auch eine Valenz von Adjektiven oder (selten) Nomen.
Fragen der Valenz? 1. Frage nach dem Wieviel? Also nach der Wertigkeit (= Bindefähigkeit) des Verbs. 2. Frage nach dem Welche? Also welche Elemente bindet dieses Verb an sich? Diese Frage ist nicht immer ganz leicht und oft nur intuitiv zu beantworten!
Adjektive? Können auch durch Valenz beschrieben werden. Bsp.: "schuldig". Ist dreiwertig! 1. Nominalgruppe Nominativ (z. B. "Der Mann", "Der ehemalige Firmenchef", ...), 2. Verbalgruppe (z. B. "ist", "bekennt sich", ...), Nominalgruppe Genitiv od. Präpositionalgruppe (z. B. "des Mordes an seiner Frau.", "am Konkurs des namhaften Konzerns.", ...).
7.2 Neuer Stoff
7.2.1 Vertiefung Valenzgrammatik
Für eine komplette Valenzbeschreibung werden zunächst immer drei Fragen gestellt:
Beispiele: "wohnen"
(Ich // wohne // hier., Meine Tante // wohnt // in Freiburg., ...)
7.2.2 Aktanten und Zirkumstanten (Tesnier)
Diese beiden Aktanten sind also unmittelbar an das Verb gebunden; das Verb hat dafür Bindungsstellen...
Wie sieht das aus bei einem Satz wie Ich // wohne // hier // schon lange., d. h. genauer: mit einem Element wie ... schon lange.? Das ist ja nun offensichtlich nicht "unmittelbar" an das Verb gebunden; man kann es aber hinzufügen, "wenn man möchte"...
Solche nicht unmittelbar zum Verb gehörenden, eben nur "möglichen" Elemente nennt man Circumstanten (od. Zirkumstanten). Diese Begriffe gehen auf den Franzosen Tesnier zurück.
7.2.3 fakultative und obligatorische Aktanten
Also könnte man einfach sagen, Aktanten seien die Teile, die unbedingt ergänzt werden müssen und Zirkumstanten diejenigen, die eben nicht unbedingt nötig sind, um einen grammatikalisch korrekten Satz zu erhalten? Leider nein... so einfach iss´es nicht!
Man muß vielmehr die Aktanten noch unterteilen in die sog. obligatorischen
Aktanten, eben die (zur Bildung eines akzeptablen Satzes) zwingend notwendigen, und
die fakultativen Aktanten; das sind solche Elemente, die zwar auch "irgendwie
unmittelbar" an das Verb gebunden sind, aber eben doch u. U. auch wegbleiben könne,
ohne den Satz völlig zu "verstümmeln".
Beispiel: "beißen"
(A1 Der Hund // beißt //A2 den kleinen Jungen.)
Noch ein Beispiel: "stehlen"
(A1 Der Dieb // stiehlt //A2 der alten Frau //A3 ihre Perlenkette)
Und noch eins: "spenden"
(A1 Ich // spende //A2 tausend Mark //A3 an Brot für die Welt.,
A1 Familie Müller // spendt //A3 dem Roten Kreuz //A2 drei Wolldecken., ...)
Es ist unmittelbar einleuchtend, daß der erste Aktant obligatorisch ist: Einen Spender brauchen wir, den kann ich nicht weglassen, sonst wird der Satz falsch. Die beiden anderen sind fakultativ - einer kann immer weg bleiben.
Was wäre denn dann aber (Achtung: "Bananenschale"!) mit dem Satz Ich spende Blut. (offensichtlich zweiwertig...)?! Oder mit dem Verb glauben und Sätzen wie
Ist das nun zwei- oder dreiwertig?!
Betrachten wir zunächst einmal jeden Satz einzeln:
1.I zweiwertig, beide Aktanten obligatorisch
1.II 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ
2. Aktant: Präpositionalgruppe
1.III 1. Aktant: menschlich
2. Aktant: Abstraktum (Ideologie, höheres Wesen ...)
2.I zweiwertig, beide Aktanten obligatorisch
2.II 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ
2. Aktant: Relativsatz
2.III 1. Aktant: menschlich
2. Aktant: Sachverhalt
3.I dreiwertig, 1. + 2. Aktant obligatorisch, 3. Aktant fakultativ
3.II 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ
2. Aktant: Nominalphrase Dativ
3. Aktant: Relativsatz
3.III 1. Aktant: menschlich
2. Aktant: menschlich
3. Aktant: Sachverhalt
Ja was denn nu´?!
Ganz einfach: Das gleiche Verb kann verschiedene Funktionen / Bedeutungen, verschiedenen Lesarten haben! Und jede muß ich eben einzeln beschreiben. D. h. ich muß meinen Fragenkatalog um die Frage nach der Lesart erweitern:
Und schon ist alles kein Problem mehr! Von spenden gibt´s eben zwei Lesarten und von glauben sogar derer drei (ja ja, mit dem Glauben ist das halt so eine Sache da kann man nie genau sagen, was das ist...).
Weitere Beispiele für Verben mit mehreren Lesarten wären schreiben oder kochen:
Schreiben kann die Lesart "von Beruf Schriftsteller sein" haben dann ist es einwertig:
A1 Ich //schreibe. A1 ist natürlich obligatorisch (Nominalphrase Nominativ)
Es kann die Lesart haben "schriftstellernd in diesem oder jenem Ressort tätig sein" dann ist es zweiwertig:
A1 Ich // schreibe //A2 Gedichte In diesem Sinne sind A1 und A2 hier obligatorisch.
Es kann die Lesart haben "für jemdn. eine Nachricht verfassen" dann ist es sogar dreiwertig:
A1 Ich // schreibe //A2 ihm //A3 einen Brief.
A1 Der Student // schreibt //A2 eine Hausarbeit //A3 für den Professor. (...oder hast Du tatsächlich schon mal was für Dich selbst geschrieben?!) Hier ist wieder nur A1 (Nominalphrase Nominativ, menschlich) obligatorisch, A2 (Nominalphrase Dativ, direkt / indirekt menschlich) und A3 (Nominalphrase Akkusativ, Nachricht i. w. S.) sind fakultativ, wobei das gleiche gilt wie im Beispiel spenden oben: Einer der beiden fakultativen Aktanten A2 und A3 muß folgen; ich kann sowohl sagen Ich schreibe ihm dann ist der Brief automatisch mit gemeint; oder ich kann sagen Ich schreibe einen Brief daß der dann auch einen Empfänger hat liegt in der Natur der Sache und kann deshalb wegbleiben; ich kann aber nicht sagen Ich schreibe. In dieser dritten Lesart des Verbs schreiben wäre der Satz unvollständig; oder ich würde "unversehens in die erste Lesart hineinschlittern", die ich aber gar nicht meine.
Bei kochen liegt der Fall ähnlich: Hier gibt zwei (oder drei?) Lesarten:
A1 Das Wasser // kocht! Gießt Du mal den Tee auf?
2. kochen i. S. v. "eine Mahlzeit zubereiten":
A1 Die Mutter // kocht //A2 das Mittagessen ( - so gehört sich das!)
Und? Was machst Du grad? - A1 Ich koch´ // A2 (grad) was!
3., eventuell: kochen i. S. v. "sehr verärgert sein":
A1 Ich // koche (A2 vor Wut?)! Hier wurde im Seminar keine eindeutige
Unterscheidung getroffen, ob das eine eigene Lesart ist oder unter eine andere subsumiert
werden kann.
Ich würde für letzteres, und zwar für die Subsumierung unter die erste Lesart plädieren denn ich hebe mit dem Ausdruck "Ich koche!!!" metaphorisch (und dieser Metaphorik bin ich mir durchaus bewußt, das war der Streitpunkt im Seminar) auf die inhaltlichen Qualitäten der ersten Lesart ab: Ich meine nicht, daß ich mich selbst gerade zubereite (das wäre die zweite Lesart), sondern daß ich den mentalen Siedepunkt erreicht habe und ich gleich vor Wut "überschäume" (noch ´ne Metapher!), d. h. die angestaute Energie unkontrolliert aus mir herausbricht wie die überschäumende Milch aus dem Topf das "vor Wut" wäre dann kein Aktant, sondern eben nur Circumstant, der eben die metaphorische Qualität explizit macht.
7.2.5 Sonderfall "Zwangsplural"
Wie steht´s mit Verben wie zusammenstoßen? Sowohl der Satz A1 Wir // sind zusammengestoßen als auch der Satz A1 Ich // bin //A2 mit ihm // zusammengestoßen ist korrekt. Der erste Satz würde nahelegen, daß dieses Verb offenbar nur einen obligatorischen Aktanten A1 hat. Andererseit kann aber natürlich beim zweiten Satz A2 nicht wegbleiben. Ich bin zusammengestoßen ist einfach kein akzeptabler deutscher Satz. Und zwei verschiedenen Lesarten sind´s auch nicht das Verb hat beide Male exakt die gleiche Bedeutung!
Was nun?
Der Haken ist: Es gibt bestimmte Verben, die ihrem semantischen Wesen nach nur im Plural existieren könne, Verben, zu denen zwei Handelnde gehören ohne daß man sagen könnte (wie bei Ich glaube dir, daß... , Ich schenke dir ... , Ich spende dir ... ), der eine sei der Aktive, der Täter (der Glaubende, der Schenkende, der Spendende...), der andere der Passive, mit dem etwas getan wird (der dem geglaubt wird, der der beschenkt wird, der dem gespendet wird...): Ein solches Verb ist zusammenstoßen da kann man eben nicht sagen der eine sei der Aktive, der "Zusammenstoßende" und der andere der Passive, der "Zusammengestoßene"; zu einem Zusammenstoß gehören eben zwei. Weitere Beispiele hierfür wären streiten, kämpfen etc.
Solche Verben sind also einwertig, sie erfordern nur einen Aktanten, da aber eben in zwei Nominalphrasen auseinanderfallen kann.
Und noch ´ne "Bananenschale": Was ist mit Wörtern wie regnen, schneien... und Sätzen wie Es regnet, Es schneit...?
Ganz klar: Diese Verben sind einwertig! Oder?
Hm. Wenn man sich die obigen Beispiele so anschaut, so fällt auf, daß man die einzelnen Aktanten auf der paradigmatischen Ebene durch nahezu unendlich viele andere Aktanten der selben (morphosyntaktischen und inhaltlichen) Art ersetzten konnte (der gute alte Substitutionstest). Das ist offenbar ein Merkmal eines Aktanten: Er ist Teil einer großen Menge gleichartiger Aktanten.
Im Fall der Verben regnen, schneien usw. trifft das aber nicht zu! Da gibt´s zum Es keine Alternative. Es ist quasi eine "Pseudo-Nominalphrase", ein ganz bestimmtes Morphem, das fest an das Verb gebunden ist; es bindet nicht an eine vom Verb eröffnete Bindestelle. Deshalb nennt man solche Verben nullwertig. Dazu gehören alle Witterungsverben.
7.2.7 Die Valenzen der deutschen Verben.
Bisher hatten wir gesagt, es gebe im Deutschen ein-, zwei- und dreiwertige Verben. Jetzt müssen wir also noch die nullwertigen hinzunehmen.
Ja und was ist denn dann mit einem Satz wie A1 Er // legte //A2 ihr //A3 die Hand //A4 auf die Schulter.?!?! Da ist legen doch vierwertig!!! Oder? (Achtung: Schon wieder ´ne Bananenschale!)
Nein, isser nicht! Der ist nur unnötig kompliziert konstruiert: Man kann die Konstruktion vereinfachen zu A1 Er // legte //A2 die Hand //A3 auf ihre Schulter. Das ist exakt die gleiche Aussage, nur die Konstruktion wurde verändert.
Es bleibt also dabei: Im Deutschen gibt es null-, ein-, zwei- und dreiwertige Verben.
7.2.8 Semantische Rollen (Fillmore)
Die bisherige Betrachtung, d. h. v. a. die inhaltliche Beschreibung der einzelnen Aktanten eines Satzes hat einen Schwachpunkt: Sie beschreibt die Aktanten nach inhaltlichen Merkmalen, die für die Bedeutung der Aussage oft nebensächlich sind. Wir erinnern uns das war das Beispiel mit dem Richter: Bei dem Satz A1 Der Dieb // stiehlt //A2 der alten Frau //A3 ihre Perlenkette (s.o.) ist es doch letztlich egal, daß der Dieb und die alte Frau beide menschlich sind; das ist zwar wahr, aber nicht im Mittelpunkt des Interesses. Wichtig ist die Frage, wer der Täter und wer das Opfer ist wer also bestraft werden soll.
Die Beschreibung der Aktanten nach solchen Kriterien wurde von Fillmore propagiert. Er prägte für diese Ebene der syntaktischen Beschreibung der Satzteile den Begriff der Semantischen Rollen. So hat z. B. im obigen Beispiel der Dieb die semantische Rolle "Agens" und die alte Frau hat die semantische Rolle "Patiens".
Diese semantischen Rollen sind universell (od. universalistisch), d. h. in allen Sprachen der Welt in dieser Form zu finden. Es gibt ca. sieben bis neun verschiedenen semantische Rollen; mit diesen lassen sich alle Sätze aller Sprachen syntaktisch beschreiben. Beispiele:
Das Geschehen wird bei Fillmore also wie eine Bühnenszene beschrieben. Man spricht deshalb auch von der Semantischen Szene; der Satz wird beschrieben als ein Gefüge von semantischen Rollen.
7.2.8.1 Exkurs: Genus verbi und semantische Rollen.
Im Deutschen gibt es drei sog. Genus verbi, nämlich 1. Aktiv, 2. werden-Passiv, 3. bekommen-Passiv.
Das Genus verbi eines Satzes wirkt sich auch auf die semantischen Rollen aus: Der Agens kann z. B. in den Passivsätzen ausgeblendet werden (Der alten Frau wurde ihre Perlenkette gestohlen.)
Die verschiedenen Generei verbi geben also die Möglichkeit, ein und die selbe
semantische Rollenstruktur in verschiedener Weise zu realisieren.
Diathese ist also die Abbildung von etwas aus Ebene A (die universell für alle Sprachen ist) in Ebene B (die für die verschiedenen Nationalsprachen jeweils individuell ist)!!!
So sind z. B. bestimmte Reflexiv-Konstruktionen ("Das Buch liest sich gut.") und modale Infinitive ("Das Buch ist gut zu lesen.") für das Deutsche individuell.
7.2.10 ...und was bewirkt sie?
Wozu gibt es nun aber die verschiedenen Möglichkeiten, ein und die selbe semantische Rollenstruktur auf verschiedenen Weise auszudrücken? Dies ist ein in allen Sprachen zu beobachtendes Phänomen - das ist ein Indiz dafür, daß es mehr ist als nur eine "Laune" der einzelnen Sprachen; dafür gibt es offenbar einen guten Grund...
7.2.10.1 Exkurs: Das Stern-Strich-Experiment
Ein Bild dieser Art
*
beschreiben die meisten Menschen mit einem Satz wie "Der Stern steht über dem Strich." - nur wenige würden sagen "Der Strich liegt unter dem Stern."
D. h. die meisten Menschen machen hier den Stern zum Subjekt des Satzes. Woran orientiert man sich aber bei diesem Vorgang (= bei dieser Diathese)? Was macht man gemeinhin zum Subjekt?
Dafür gibt es wiederum allgemeingültige, universelle Gesetzmäßigkeiten:
- Menschen sind in ihrer Wahrnehmung an der Schwerkraft orientiert, d. h. sie ordnen "von oben nach unten" an. Deshalb ist in solchen Bildern das oben stehende Element meistens das Subjekt.
- Menschen neigen dazu, die punktuelle Figur Stern in den Vordergrund zu stellen und den Strich als Hintergrund und Horizont dafür zu betrachten. Deshalb ist der Stern Subjekt.
Kognitionswissenschaftlich ausgedrückt: Der höchstpräferierte Gegenstand,
der mit dem höchsten Salience-Wert wird zum Subjekt! Also bedeutet
z. B. der Wechsel von Aktiv nach Passiv einen Wechsel in der Präverenzordnung,
einen Wechsel der kognitiven Prävalenz / Salienc.
(... war ich nicht anwesend; es folgt also nur eine kurze Erklärung des Modells; für Details wie die exakte Einordnung der Diathese in diese Modell bitte bei Herrn Schecker rückfragen oder auf den eigenen Kopf vertrauen.)
9. Block
Sinngemäß:
Da die Referate gewissermaßen "Zusatzstoff" sind und nicht unmittelbar in den Bereich einer Einführung in die Linguistik gehören, gehe ich auf sie nicht ausführlich ein, sondern skizziere teilweise nur kurz die Thematik.
Frage: Wie sinnvoll ist die Beschäftigung mit dem Genitiv / die Beschreibung der verschiedenen Funktionen des Genitivs so, wie sie die gängige Schulgrammatik vornimmt?
Die Schulgrammatik beschränkt sich gewöhnlich darauf, die verschiedenen Formen des Genitivs zu unterscheiden und zu definieren, also z. B. Genitivus possesivus, Genitivus
Auf diese Weise läßt sich eine Liste von 14 und mehr verschiedenen Genitiven erstellen es fragt sich nur, wozu das gut sein soll. Solche Listen haben rein katalogisierende Funktion, sie nützen weder einem Native speaker noch einem/r AusländerIn, der/die die deutsche Sprache erlernen will.
Schizophrenie zeigt sich auch auf der sprachlichen Ebene, durch sog. assoziative Entgleisungen. Was meint das?
Es ist völlig normal, daß wir bei allem was wir hören oder sagen zunächst "unterschwellig", "unbewußt" verschiedene Assoziationen aufbauen, von denen die meisten eben bis auf diejenige, die im laufenden Gesprächskontext gerade tatsächlich relevant sind kurz darauf wieder "deaktiviert" werden (d. h. die unterschwellige Aktivierung der Neuronen, die für die Darstellung dieser im Moment unbrauchbaren Assoziationen zuständig sind, wird rasch wieder bis zum Ruhepotential abgebaut).
Beispiel: Wenn ich mich gerade mit einer Freundin über die Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes, die am kommenden Samstag, 15.01., stattfinden wird, und ein passendes Geschenk unterhalte, fällt mir vielleicht im Zusammenhang mit diesem Gespräch ein natürlich ohne daß ich das ausspreche daß ja auch Erbonkel Fritz bald Geburtstag hat und ich mir tunlichst ein Geschenk überlegen sollte, wenn ich ihn bei Laune halten will; daß ich mit diesem Freund vor kurzem in einem tollen Film war; daß ich im vergangenen Jahr an diesem Datum eine Reise begonnen habe;
Weiteres Beispiel: Wenn ich einen Satz wie "Er wollte die Birne herausschrauben." höre, weiß ich erst nach dem letzten Wort, welche Birne der Leuchtkörper oder die Frucht? gemeint ist. Bis zu diesem Zeitpunkt sind beide möglichen Varianten unterschwellig aktiv. Erst wenn die anfängliche Ambiguität vereindeutigt wurde (in diesem Fall durch das Verb), wird die unpassende Variante ausgeblendet (d. h. die Teilaktivierung klingt ab, s.o.) und die in diesem Fall gültige voll aktiviert.
Solche unterschwelligen Assoziationen bleiben meistens unbewußt sie bestehen aber in jedem Fall und bei allem was wir hören und sagen in irgendeiner Form.
Außerdem strömen ständig verschiedenste Sinneseindrücke aus der Umwelt auf uns ein: Hintergrundgeräusche wie Straßenlärm, Wind, Gespräche vor der Tür..., visuelle Eindrücke wie die Bewegung der Blätter eines Busches im Wind, Fußgänger auf der anderen Straßenseite usw. auch solche Dinge bewirken zunächst immer eine gewisse unterschwellige Aktivierung, sie werden aber normalerweise sehr rasch ausgeblendet, ohne bis in unser Bewußtsein vorzudringen.
Für gesunde Menschen ist das alles also kein Problem: Die unterschwellige Aktivierung der nicht benötigten Bedeutung und sonstigen Sinneseindrücke wird innerhalb weniger Millisekunden abgebaut, wie sich in Primingexperimenten zeigen läßt. Gedächtnisinhalte wie diese Assoziationen zum Thema Geburtstag / Freund / 15. Januar... werden ebenfalls wieder deaktiviert und haben keinen "Zugang" zum aktuell laufenden Gespräch. Geräusche und visuelle Eindrücke nehmen wir gar nicht bewußt war.
Hierfür sind diverse Selektionsmechanismen verantwortlich, die im gesunden Gehirn ständig ablaufen. Sie ermöglichen die Konzentration auf ein bestimmtes Thema und schützen uns vor Überforderung durch zu viele Sinneseindrücke (denn ein Zuviel an Wahrnehmung wirkt sich als Streß mit all seinen Symptomen aus).
Diese Mechanismen funktionieren bei Schizophrenen nicht mehr / nur noch unzureichend. D.h. sie werden durch all diese Assoziationen und fortwährenden Sinnesreizungen förmlich überschwemmt und überfordert. Sie können deshalb in einem Gespräch nicht mehr selektiv vorgehen, schweifen somit sehr schnell vom vorliegenden Thema ab und produzieren scheinbar völlig unpassende und zusammenhangslose Äußerungen (man erinnere sich an die Nacherzählung der Fabel mit dem Esel, in der dann plötzlich die Pamir auftaucht ). Die Patienten wissen bald auch nicht mehr, was der Gesprächspartner tatsächlich gesagt hat und was seine eigenen Gedanken und Assoziationen dazu waren. Das kann dazu führen, daß er etwas, was er selbst gedacht hat, seinem Gesprächspartner als Äußerung unterstellt oder daß er seine eigenen Gedanken für die Stimmen unsichtbarer Personen hält. Der überschießende Reizeinstrom führt ebenfalls zu ständigen Mißdeutungen der Situation an sich unwesentliche, zufällig auftretende Details werden als relevant / bedrohlich / rätselhaft mißdeutet; auf diese Weise kann es z. B. zu Wahnvorstellungen und Verfolgungsängsten kommen.
Funktion des Lexikon? Das Lexikon bei Levelt ist zweiseitig: Es enthält
1. semantische Inhalte i. w. S. (lemmas) und
2. Ausdrucksseiten (forms). Zunächst erfolgt (bei der Sprachproduktion?) der Zugriff auf die Inhalte.
10.2.1 Die Inhaltsseite des Leveltschen Lexikon (lemmas)
Was ist nun mit "semantischen Inhalten i. w. S." (s. o.) gemeint?
Die lemmas des Levelt-Modells enthalten zum einen so etwas wie das de Saussursche concept, also ein Wissen / eine Vorstellung der Dinge der realen Welt, auf welche sie sich beziehen; zum anderen enthalten sie aber zusätzlich noch einige weitere grammatische Informationen: z. B. das grammatische Geschlecht des Wortes, seine Wertigkeit (vgl. Valenzgrammatik), die Wortart (Nomen / Adjektiv / Verb...) etc.
Wenn man also bei der Sprachproduktion auf einen solchen Inhalt zugreift, aktiviert man immer neben der Bedeutung auch einige grammatische Informationen, die die weitere Bearbeitung, d.h. die Einbindung in einen Satz maßgeblich mitbestimmen (bzw. die nähere Form dieses Satzes bestimmen).
Bsp.: das Verb "stehlen"
Wenn ich dieses Wort aus meinem leveltschen Lexikon abrufe, um einen entsprechenden Sachverhalt darzustellen, aktiviere ich nicht nur die Vorstellung von einer bestimmten Handlung "einen Gegenstand dem rechtmäßigen Besitzer wider dessen Willen zu Zwecke der dauerhaften Aneignung wegnehmen" o. ä., sondern auch die Information, daß es sich bei diesem Wort um ein Verb handelt und daß diese Verb dreiwertig ist, also drei offene Bindungsstellen mit sich bringt. Mit der Aktivierung dieses Wortes habe ich mich also quasi schon "verpflichtet", noch (mindestens) eine geeignete Nominalgruppe Nominativ (z. B. "Der Dieb"), eine Nominalgruppe Dativ (z. B. "der alten Frau") sowie eine Nominalgruppe Akkusativ (z. B. "die Perlenkette") hinzuzufügen.
Durch die Abwahl eines solchen lemmas wähle ich also automatisch eine bestimmte syntaktische Struktur mit - man spricht in diesem Zusammenhang deshalb auch von lexikalisch basierter Syntax oder lexikalisch basierter Grammatik.
Außerdem enthält diese Inhaltsseite auch noch "Adressen", d. h. Informationen darüber, wo die zugehörige Wortform zu finden ist; sonst müßte man ja jedesmal bei der Suche nach der zugehörigen Wortform (denn die konkrete Form gehört ja nicht zum "lemma", das ist dann die "form"!) das ganze Formenregister durchsuchen, was viel zu viel Zeit in Anspruch nähme.
Zusammenfassend: Das leveltsche Inhaltslexikon enthält also drei verschiedene Informationstypen:
1. das concept ("Bedeutung"...)
2. grammatische Informationen (z. B. Wortart, grammatisches Geschlecht, Valenz...)
3. Adressen. ("Speicherplatz" der einzelnen Wortformen)
Natürlich genügt es nicht, nur eine strukturelle Verknüpfung zwischen den lemmas und den form mittels der Adressen zu haben: Was hilft es, daß man bei der Sprachproduktion die forms theoretisch schnell finden kann, wenn man zunächst einmal Ewigkeiten braucht, um überhaupt den geeigneten inhaltlichen Eintrag (wir erinnern uns: "Zunächst erfolgt der Zugriff auf die Inhalte", s. o.) zu finden?!
Dieses Lexikon hat also auch eine inhaltliche Struktur, semantisch verwandte Bereiche sind irgendwie miteinander verknüpft. Alle diese semantisch assoziierten Inhalte werden automatisch ebenfalls "unterschwellig aktiviert", wenn ein bestimmter Inhalt abgerufen wird; sie stehen dann schnell zur Verfügung. Die älteste Theorie, die eine solche inhaltliche Struktur beschreibt, ist die
Beispiel Wortfeld "Verwandtschaftsbeziehungen"
- Die in < > stehenden Items (Generation, Verwandtschaftsgrad, Geschlecht) (und auch diverse allen Begriffen dieses Wortfelds gemeinsame Items wie "konkret", "belebt", "menschlich", s. u.) sind semantische Merkmale der Begriffe, sog. Seme.
- Die Seme einer Ebene stehen zueinander in Opposition (also: <direkte
Verwandtschaft> steht in Opposition zu <indirekte Verwandtschaft> / <-2
Generation> steht in Opposition zu <-1 Generation> steht in Opposition zu
<gleiche Generation> steht in... / <a > steht in Opposition zu <` >)
Weiteres Wortfeld-Beispiel:
legen | liegen |
stellen | stehen |
- Wenn man die beiden Wortfelder miteinander vergleicht, fällt auf, daß die Wörter
eines Wortfeldes immer zu einer Wortart gehören, also entweder Nomen oder Verb
oder...
Jeder einzelne Eintrag in einem Wortfeld ist also durch eine Liste verschiedener Merkmale (Seme) genau determiniert. Hierbei unterscheidet man:
distinguishers, das sind die Merkmale, die die einzelnen Begriffe eines Wortfelds voneinander abgrenzen; für das Beispiel Bruder also <direkte Verwandtschaft>, <`>, <gleiche Generation>.
klassematische Merkmale, das sind allen Begriffen dieses Wortfelds gemeinsame Merkmale; für das Beispiel Bruder (wie auch für alle anderen Begriffe aus dem Wortfeld Verwandtschaftsbeziehungen also "konkret", "belebt", "menschlich" s. o.).
Eine solche Sem-Liste, die einen bestimmten Begriff determiniert, nennt man ein Semem.
Ein Semem ist also eine
spezifische Art der Bedeutungsbeschreibung
unter Rückgriff auf ein Wortfeld!!!
... und zwar eine sog.
10.2.3 intensionale Bedeutungsbeschreibung
Das ist:
- eine systeminterne Beschreibung
- nach dem "Verhält-sich-zu...-Prinzip".
Heißt konkret:
- Systemintern ist eine derartige Beschreibung, weil sie sich vollzieht mit Blick auf und in Abgrenzung zu den anderen Begriffen dieses Systems / Wortfeldes. Gut strukturalistisch: "Jedes einzelne Element eines Wortfeldsystems ist - mal wieder - das, was alle anderen Elemente dieses Wortfelds nicht sind!" (...womit wir wieder bei de Saussure wären...).
- "Verhält-sich-zu...-Prinzip": "Bruder verhält sich zu Schwester wie Vater zu Mutter wie Opa zu Oma..."
Am Beispiel des Währungssystems:
Eine intensionale Beschreibung wäre eine Beschreibung der Art: "1 Pf. ist der hundertste Teil von 1 DM; 2 Pf. sind der fünfte Teil von 10 Pf.; 10 DM sind der zehnte Teil von 100 DM..." etc.pp.: Der Wert der einzelnen Münzen und Scheine wird hier ausschließlich in Abhängigkeit / in Relation zu den anderen Münzen und Scheinen des Währungssystems beschrieben; de Saussure spricht hier regelrecht von der valeur eines Begriffs.
Dinge wie "Kaufkraft", d. h. Dinge, die außerhalb des umgrenzten Systems liegen, bleiben bei einer derartigen Beschreibung außenvor - weil sie nämlich intensional ist.
Für alle die´s immer noch nicht gemerkt haben: die intensionale
Bedeutungsbeschreibung gehört in den Bereich des Strukturalismus!!! Sie umfaßt
das, was de Saussures concept beinhaltet.
Wenn es aber eine solche intensionale, systeminterne, dem Strukturalismus zuzuordnende Bedeutungsbeschreibung gibt, dann gibt´s natürlich - in Abgrenzung dazu - auch noch eine andere Art der Bedeutungsbeschreibung, nämlich die
10.2.4 extensionale Bedeutungsbeschreibung
Erwartungsgemäß umfaßt eine solche extensionale Beschreibung auch Dinge, die über das geschlossene System hinausgehen. Für unser Beispiel des Währungssystems wäre das z. B. ein Beschreibung des Typs "Für ein Zweimarkstück bekomme ich im Laden schon ein halbes Pfund Butter." - denn die Butter gehört definitiv nicht mehr zum Währungssystem, sie wird hier aber dazu herangezogen, den Wert des Zweimarkstücks zu beschreiben. Eine solche Bedeutungsbeschreibung gehört in den Bereich der Pragmatik.
10.2.5 Das Kommunikationsmodell (Organon-Modell) von Bühler
Bühler berücksichtigte in seinem Kommunikationsmodell nicht nur die konkrete Bedeutung, die ein bestimmtes Zeichen innerhalb eines Sprachsystems hat, sondern er bezog auch den Sprecher, den Hörer und die komunikative Situation mit in sein Modell ein. Er spricht in diesem Zusammenhang von den verschiedenen Funktionen, die ein sprachliches Zeichen / eine Aussage haben kann:
Jakobson ergänzte noch folgende Funktionen:
11. Block
11.1 Wiederholung: Levelts Lexikon
Geschwindigkeit... ...der Sprachverarbeitung und produktion ist enorm! Nur denkbar durch vielfältige Formen der inhaltlichen Strukturierung der Sprache; eine davon ist die Strukturierung in
Wortfelder: Diese zeichnen sich dadurch aus, daß in einem bestimmten Wortfeld immer nur eine Wortart enthalten ist. Die Strukturierung erfolgt dadurch, daß eine Opposition zwischen den Merkmalen besteht.
Seme: Einzelne Merkmale, die den verschiedenen Elementen des Wortfelds zueigen sind
Opposition Seme eines bestimmten Typs, die einem bestimmten Element eines Wortfelds zueigen sind, schließen für dieses Element alle anderen Seme des gleichen Typs aus. Bsp.: Wenn das Element "Bruder" aus dem Wortfeld "Verwandtschaftsbeziehungen" durch das Sem "gleiche Generation" des Typs "Generationenrelation" gekennzeichnet ist, dann können andere Seme des gleichen Typs, z. B. "eine Generation darunter", "zwei Generationen darüber", ... nicht gleichzeitig eine Eigenschaft des spezifischen Wortfeldelements sein: Diese Seme stehen sämtlich zueinander in Opposition.
Analogie meint die Verhält-sich-zu- ... -wie- ... Beziehungen: "Opa" verhält sich zu "Oma" wie "Vater" zu "Mutter" zwischen den Wortpaaren Opa-Oma und Vater-Mutter besteht eine Analogie.
Semem : Liste von Merkmalen, die einen bestimmten Eintrag (ein bestimmtes Element) eines Wortfeldes beschreibt.
valeur: die de-Saussur´sche Bezeichnung für ein Semem; der "Wert" eines bestimmten Wortes, d. h. (gewagt formuliert): Die Summe charakteristischen Merkmale, die das concept diese Wortes ausmachen. Es handelt sich hierbei um eine intentionale Bedeutungsbeschreibung.
11.2 Neuer Stoff / Vertiefung
11.2.1 Extensionale vs. intensionale Bedeutungsbeschreibung
Eine intensionale Bedeutungsbeschreibung beschränkt sich auf die Abgrenzung eines Wortes von allen anderen Elementen des gleichen Wortfeldes (das war die Sache mit den Währungseinheiten: 1DM ist 1/5 von 5 DM und 10x soviel wie 10 Pf etc.) sowie auf die "sachliche" Beschreibung der Bedeutung, d. h. auf die Auflistung typischer Merkmale.
Eine extensionale Beschreibung umfaßt dagegen alles, was ich potentiell mit einem Wort bezeichnen (!!!) kann.
11.2.2 Metasprachliche Ebene Objektsprachliche Ebene
Wir erinnern uns an die Grafik
______ Metasprachliche Ebene ___________
"wahr", "schön", "Theorie"
______ Objektsprachliche Ebene __________
"Baum", "Stuhl", "Schnee"
______ Ebene der realen Objekte __________ ...
Baum, Stuhl, Schnee
- und was hat das nu´ mit extensionaler und intensionaler Bedeutungsbeschreibung zu tun?!
Wir erinnern uns gleich noch mal: Wir haben ehedem schon festgestellt, daß zur metasprachlichen Ebene Wörter wie z. B. "wahr" gehören diese sind "metasprachlich", weil sie sich ihrerseits auf andere Wörter / Aussagen (auf der objektsprachlichen Ebene) beziehen.
Die Verwendung eines Wortes wie "wahr" setzt aber auch eine Wirklichkeit voraus, in der dieses Ding, auf den sich das Wort bezieht real eben wahr - ist; und das wiederum setzt voraus, daß es auch die Möglichkeit oder: eine denkbare andere Wirklichkeit (!) gibt, in der das selbe Ding eben unwahr ist d. h.: Die Verwendung eines Ausdrucks wie "wahr" setzt bereits voraus, daß es für den/die Sprechende/n mehrere denkbare Wirklichkeiten gibt
Und damit sind wir schon bei einer Weiterentwicklung der extensionalenBedeutungsbeschreibung; dazu aber später.
Zurück zur klassischen extensionalen Bedeutungsbeschreibung, die auch
"wahrheitswertfunktionale Bedeutungsbeschreibung" genannt wird:
Die extensionale Bedeutungsbeschreibung beschreibt nämlich,
wie die Welt wäre, wenn die Aussage wahr wäre:
"Die Aussage `Der Schnee ist weiß´ ist wahr genau dann, wenn der Schnee weiß
ist."
Alles klar?! Vermutlich nicht... also: Beispiel!
"Der Schnee ist weiß."
Intensional gedacht wird hier ein (sehr zentrales) Merkmal der Bedeutung von Schnee beschrieben; wohlgemerkt: weiß ist ein semantisches Merkmal des Konzepts Schnee nicht des realen Schnees, der im Winter liegt; der mag u. U. auch weiß sein, das steht hier aber nicht zur Debatte. Entsprechend ist dieses semantische Merkmal des Konzepts auch unveränderlich, egal, was in der Realität möglicherweise vorfällt und den referierten realen Gegenstand dahingehend verändert, daß er diesem Konzept nicht mehr entspricht...
Was aber, wenn "es nicht einfach schneit", sondern geäußert wird: (A): "Möglicherweise wird es schneien."? Oder "Wie das aussieht, muß es gleich schneien."?
Der Sprecher unterstellt hier eine Vielzahl möglicher Welten; unter anderem gibt es eine mögliche Welt, in der (A) der Fall ist dies ist (wie der Sprecher weiß) nicht unbedingt die reale Welt (aber im vorliegenden Fall (A) vermutlich die, die der Sprecher für die wahrscheinlichste hält)! Um das zu erfassen, benötigt man die extensionale Bedeutungsbeschreibung.
11.2.3 Mögliche-Welten-Semantik
Weil bei dieser Art von Semantik, die extensionale Bedeutungsbeschreibungen hervorbringt, (solange wir von Bedeutungsbeschreibungen reden, befinden wir uns immer zumindest auch auf dem Gebiet der Semantik!) mit verschiedenen Möglichkeiten bzw. Modellen der Wirklichkeit gearbeitet wird, nennt man sie auch Modelltheoretische Semantik oder Mögliche-Welten-Semantik.
11.2.3.1 Möglichkeit - Notwendigkeit
Die Mögliche-Welten-Semantik unterscheidet:
11.2.3.2 Mögliche-Welten-Semantik und Weltwissen
Zu einer Mögliche-Welten-Semantik gehört trotz vielfältiger denkbarer Möglichkeiten daß die Elemente des Weltwissens Geltung behalten: Man bezieht sich also immer auf das, was nach unserem Wissen darüber, wie die Welt aufgebaut ist, möglich erscheint.
Bsp.: "Wenn der Stein in diesem Ring grün wäre, dann könnte er ein Smaragd sein."
Heißt: Dieser nicht-grüne Stein ist offensichtlich zumindest in der realen Welt kein Smaragd, es ist aber eine Welt denkbar, in der er ein Smaragd wäre, und wenn dies der Fall wäre, dann wäre er auf jeden Fall grün: Wir beharren also auf unserm Weltwissen, das uns sagt, das Smaragde immer grün sind.
11.2.3.3 Konjunktiv, Modaladverbien etc.
Noch´n Beispiel: "Wenn Peter heute Morgen um 8:15 den Zug am Gare de l´ Est gekriegt hätte, dann wäre er heute Abend um kurz nach sechs in Freiburg am Bahnhof." Auch dieser Satz ist wie schon die letzten beiden Beispiele - nur richtig beschreibbar, wenn man die Mögliche-Welten-Semantik anwendet.
Das Konzept einer Mögliche-Welten-Semantik ist also notwendig für die Beschreibung von Sprach-Modi wie Konjunktiv, Modaladverbien; eine solche extensionale Bedeutungsbeschreibung geht über einen normalen Aussagesatz hinaus und berücksichtigt mehrere Möglichkeiten.
11.2.4 "Bedeuten" vs. "meinen"
"Der Teufel soll dich holen!"
"So eine dumme Kuh!"
A zu B, der drei Stunden später als vereinbart kommt:
"Du warst mir wirklich einen große Hilfe!"
An solchen drastischen Beispielen wird sehr schnell klar, daß ein himmelweiter Unterschied zwischen der Bedeutung einer Aussage und dem, was damit gemeint ist, bestehen kann:
Die Bedeutung von "Teufel" ist ungefähr: "Herr der Finsternis, Höllenfürst, der gefallene Engel Luzifer "; die Bedeutung von "Kuh": "Paarhufiges, größeres Säugetier, typisches Nutztier, gibt Milch etc. pp". "Große Hilfe" bedeutet, daß der Angesprochene wesentlich zum Erreichten beigetragen hat Das ist mit Sicherheit nicht das, was der Sprecher sagen wollte bzw. was für ihn bei seiner Äußerung im Mittelpunkt stand
Wenn man eine solche Äußerung wie die obigen tut, ist diese konkrete Bedeutung der Wörter eher nebensächlich (wohlgemerkt: nicht gleichgültig man denke an das "doofe Sofa"; einzelne Aspekte der ursprünglichen Bedeutung spielen am Rande schon noch eine Rolle.) oder (im Falle der Ironie) relevant allenfalls insofern, als das genaue Gegenteil dessen, was das Gesagte bedeutet, gemeint war: Man meint natürlich nicht, daß der andere ein "größeres, paarhufiges, milchgebendes Nutztier" sei - sondern man will ihn beschimpfen; man meint nicht, daß der andere tatsächlich eine wertvolle Unterstützung war sondern eben das Gegenteil.
Kurz: Ausdrücke haben eine bestimmte Bedeutung aber was gemeint ist wenn ein Sprecher sie anwendet, kann u. U. etwas ganz anderes sein.
Wenn man von meinen und bedeuten redet, bewegt man sich zwischen Pragmatik
und Semantik:
"Was macht ein Sprecher mit ?" - "wozu?" èPragmatik
"Was mein er, wenn / indem er sagt ?"
à Beschreibung dessen, was ich mit einem Ausdruck mache,
/ meine, was ich "sprechhandle".
êé
"Ausdrücke haben eine Bedeutung" èSemantik
à Beschreibung der Bedeutung
Es besteht also offenbar eine Interrelation zwischen der Bedeutung einerseits und dem,
was man damit meint andererseits.
Beispiel: "Es zieht!"
Bedeutung: Wenn man nur die Bedeutung beschreibt, kann man darüber nicht mehr sagen, als daß hier eine Aussage über bestimmte Luftverhältnisse in einem Raum getroffen wir, etwa daß die Luft aufgrund eines offenstehenden Fensters in Bewegung ist Auf das Organon-Modell (s.o.) übertragen: Die Bedeutungsbeschreibung befaßt sich also offenbar nur mit der referentiellen Funktion der Sprache.
Es ist aber wohl klar, daß diese (sicherlich zutreffende) Bedeutung in 99% der Fälle, da diese Äußerung getätigt (!!!) wird, nicht das eigentlich für den Sprecher Wesentliche erfaßt
Gemeint ist: Der Sprecher will mit solchen Äußerungen normalerweise sein Mißbehagen über diesen Sachverhalt ausdrücken (nota bene!) (Organon-Modell: Emotive bzw. expressive Funktion), und er will vermutlich den Adressaten seiner Aussage dazu veranlassen, hier Abhilfe zu schaffen indem er z. B. das Fenster schließt (Organon-Modell: AppellativeFunktion).
Die Wörter äußerung tätigen, ausdrücken und veranlassen weisen schon auf den
Handlungsaspekt einer solchen Aussage hin. Dies fällt also in den Bereich der Pragmatik:
Die Pragmatik betrachtet Sprache grundsätzlich als Handlung "Sprechen ist
Handeln!"
Wenn ich also beschreibe, was ein Sprecher mit Ausdrücken einer Sprache macht, dann beschreibe ich grundsätzlich Handlungen. Hier muß die Intention enthalten sein, der der Sprecher folgt!
Muster der Handlungsbeschreibung:
Frage: - "Wozu?"
Antwort: - "um zu " Intention, Zielsetzung...: "Um zu beschimpfen / ein Stück Wirk- lichkeit wiederzugeben / "
Merke:
Ausdrücke haben also eine Bedeutung aber: Ausdrücke bezeichnen nichts!!! Es ist der Sprecher, der die Dinge bezeichnet! (Sprechen ist Handeln, und handeln kann nur eine Person.). Die Fragestellung der Pragmatik ist immer auch, mit welcher Intention oder zu welchem Zweck der Sprecher dies tut.
11.2.6 Exkurs: Prototypensemantik
(siehe Handout!)
Anmerkungen:
12. Block
12.1 Wiederholung:
Gab´s heut nicht, bzw. wurde durch ein umfassendes Protokoll geleistet, welches die gesamte vergangene Stunde zusammenfaßte.
12.2.1 Semanalyse und intensionale Bedeutungsbeschreibung
Die Semanalyse spielt sich auf der objektsprachlichen Ebene ab! Die Dinge der Metasprachlichen Ebene lassen sich nicht mehr / nur mangelhaft durch die Auflistung von Semen beschreiben. Die Semanalyse gehört in den Bereich der intensionalen Bedeutungsbeschreibung!
Die extensionale Bedeutungsbeschreibung geht über diese und über die Semantik hinaus und berührt bereits den Bereich der Pragmatik.
12.2.2 Die Modalitäten der Mehrere-Möglichkeiten-Semantik
Man muß drei Modalitäten unterscheiden:
12.2.3 Pragmatik und Kontext
Die Pragmatik, die sich ja eben auch bzw. v. a. für den / die SprecherIn interessiert und untersucht, was er oder sie mit seiner Aussage intendiert / bezweckt, kann auch den Kontext mit einbeziehen, in dem eine Aussage getroffen wird.
Die Berücksichtigung des Kontexts schränkt dann natürlich auch die Möglichkeiten dafür ein, was mit einer Aussage gemeint war: "Wenn das hier aus Gold wäre, wäre es ganz schön wertvoll." ohne Kontext betrachtet müssen hier immer mehrere Möglichkeiten angenommen werden (z. B. "Gold" ist der Fall vs. "Gold" ist nicht der Fall...); mit Blick auf den Kontext z. B. der Sprecher hebt während des Sprechens seine ersichtlich aus Leder gefertigte Brieftasche hoch werden die aktuell nicht zutreffenden Möglichkeiten aber ausgeblendet.
Dieses Script wurde von Silke Maisch verfasst und von Kai Martin Wiegandt
bearbeitet. Korrekturvorschläge sind willkommen unter kai_wiegandt@hotmail.com