1. Grundlagen technischer Art


1.1. Allgemeines:

1.1.1 Organisatorisches:
  • Zeit: Di 16:00 - 18:30 Uhr

  • Scheinvoraussetzungen:
  • Zur Aufarbeitung des Lernstoffes:
  • Ansprechpartner:

  • 1.1.2 Seminarüberblick:
  • I Semiotische Grundlagen

  • II Systemlinguistik:
  • III. Pragmatik (Anm.2):
  • Anmerkungen
    Anm. 1: Die Abfolge der Segmente einer Äußerung ist von Fall zu Fall ihrerseits bedeutungstragend. Bsp: 201 vs. 102
    Anm. 2: Dementielle Patienten weisen gerade in diesem Bereich Probleme auf. Sprichwörter wie "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm" können nicht paraphrasiert werden, weil diesen Patienten zwar ein Verstehen der wörtlichen Bedeutung der einzelnen Wörter möglich ist, sie aber nicht zu einer Übertragung auf menschliche Lebensverhältnisse (das wäre ein Gegenstand der Pragmatik) fähig sind.

    1.2. Was ist Neurolinguistik?

    Die Neurolinguistik ist kein Teilbereich der Linguistik, der sich in das obige Schema einordnen ließe. Vielmehr ist sie eine biologisch-medizinisch orientierte Form, Sprachwissenschaft zu betreiben; d.h. sie bedient sich nicht nur der Kenntnisse der Sprachwissenschaft, sondern verbindet diese mit einem Wissen über medizinisch-biologische Zusammenhänge, um Defizite in der Sprachverarbeitung zu erklären und klinisch zu behandeln. Sie ist somit eine sehr stark praxisorientierte Art, Linguistik zu betreiben.
    Die Neurolinguistik versucht, sprachliche Phänomene mit Hilfe von neuronalen Netzen zu erklären. Diese neuronalen Netze bestehen aus Nervenzellen, die alle nach dem gleichen Prinzip funktionieren und miteinander vernetzt sind. Dieses Modell des neuronalen Netzes entstammt der Biologie bzw. der Biophysik und baut auf der Entdeckung auf, dass bestimmte (sprachliche) Funktionsschwierigkeiten sich durch Läsionen und Abbauphänomene des Gehirns erklären lassen.
    Eine Modellierung solcher Dysfunktionen, oder überhaupt des Funktionieren des Gehirns, ist schwierig; auf jeden Fall wissen wir, daß das Gehirn nicht wie ein Computer funktioniert. Während der Computer eindeutig zwischen "Hardware" und "Software" trennen kann (und somit eine weitgehende Unabhängigkeit zwischen diesen beiden Komponenten besteht), verändert sich im menschlichen Gehirn im Rahmen JEDER Form von Aktivierung (z.B. durch Lernprozesse) auch die "Hardware". Dies gilt natürlich auch umgekehrt: Durch eine Veränderung der Grundstrukturen im Gehirn wird auch das nun ausgeführte "Programm" verändert.
    Beruflich bietet sich mit der Zusatzqualifikation "Neurolinguist" die Möglichkeit, als Sprachtherapeut zu arbeiten. Besonders wichtig für die spätere berufliche Laufbahn sind ein oder mehre Praktika als parallele Form der Qualifikation, die in einer Klinik, einer Praxis oder einer Arbeitsgruppe im Neurolab absolviert werden können. Zur Qualifikation als Neurolinguist sind mindestens ein dreimonatiges Praktikum oder drei einmonatige Praktika Vorraussetzung.


    2. Die Semiotik (Zeichenlehre)


    2.1. Grundlagen

    Die allgemeine Zeichenlehre wird als Semiotik bezeichnet. Die Sprachwissenschaft ist ein Teil der allgemeinen Zeichenlehre. Sie befasst sich ganz konkret mit den sprachlichen Zeichen.
    Die älteste Definition des Zeichenbegriffes geht zurück auf Aristoteles: "Aliquid stat pro aliquod" ("Etwas steht für etwas anderes"). Ein Zeichen ist danach also ein Wirklichkeitsausschnitt (eine Lautkette, ein graphisches Gebilde,...), der für einen anderen Wirklichkeitsausschnitt (einen Gegenstand, ein Gefühl, ein Abstraktum,...) steht. Dieser Zusammenhang zwischen Zeichen und dem Bezeichneten entsteht nur durch die Interpretation eines semiotischen Subjektes, d.h. eines Menschen der z.B. einem bestimmten Ausschnitt der Realität ein Zeichen zuordnet. Außerdem ist die Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Wirklichkeitsausschnitt, auf den es verweist, einseitig oder "gerichtet". Dies bedeutet ganz konkret, dass zum Beispiel die Bewegung von Blättern für den Wind stehen kann, nicht aber umgekehrt der Wind für eine Bewegung der Blätter (denn das ist höchstens eine Teilfolge des Windes). Was das sprachliche Zeichen angeht, so kann die Laut- bzw. Buchstabenkette STUHL einen realen Stuhl repräsentieren, aber das reale Gebilde aus Holz, Metall usw. mit vier Beinen, einer Sitzfläche und einer Lehne kann natürlich nicht für die Laut-/Schriftform stehen. Der reale Stuhl ist das Bezeichnete, die Laut-/Buchstabenfolge STUHL das Bezeichnende, das Zeichen.

    2.2. Index-Ikon-Symbol

    Der amerikanische Philosoph und Semiotiker Charles Sanders Peirce ist der Begründer der Semiotik als eigener wissenschaftlicher Disziplin. Eine seiner Erkenntnisse war, dass nicht alle Zeichen in gleicher Beziehung zum Bezeichneten stehen. Er unterscheidet deshalb drei verschieden Typen von Zeichen:
    2.2.1. Indexikalische Zeichen (Pl. Indices)
    Ein indexikalisches Zeichen ist eine kausale Folge dessen, was es bezeichnet. In diesem Sinne könnte man auch sagen: Es ist ein Teil des Bezeichneten. Beispiele hierfür sind z. B. Rauch als Zeichen für Feuer (das Feuer ist die Ursache des Rauches), die heiße Stirn als Zeichen für Fieber / Krankheit (auch hier besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Fieber und der heißen Stirn), gelbes Laub als Zeichen des Herbstes – etc.
    2.2.2. Ikon
    Ein ikonographisches Zeichen / Ikon ist ein (stilisiertes) Abbild dessen, wofür es steht; es hat Abbildfunktion. Ein solches Abbild enthält gegebenenfalls nur noch einen stark reduzierten Teil der Informationen des Bezeichneten; da es aber auf einer strukturellen Ähnlichkeit zu diesem Bezeichneten basiert, ist es dennoch erkennbar. Das gilt z. B. für viele Verkehrsschilder: Auf dem "Achtung, unbeschrankter Bahnübergang ! " - Schild ist ein altmodischer Zug auf Gleisen abgebildet; auf dem Schild, das Rad- oder Fußwege als solche ausweist, sind Fahrrad und Fußgänger abgebildet. Auf einem Restaurantschild ist normalerweise ein Messer wiedergegeben, das mit einer Gabel gekreuzt ist.
    Wir werden weiter unten sehen, daß es in der Schriftsprache Schriftzeichen gibt, die nichts mit unserem Alphabet und dessen Buchstaben zu tun haben; ich meine Bildschriftzeichen, die ebenfalls ikonographische Zeichen sind.
    Hier ein historisches Beispiel für solche Schriftzeichen, - die untenstehende Graphik bildet die Bronzeschrift aus dem chinesischen Mittelalter ab. Jedes Zeichen ist eine stilisierte Abbildung dessen, was es darstellt:

    wpeB.jpg (43959 Byte)

    2.2.3. Symbol
    Das Symbol lässt sich nur negativ beschreiben und kann somit als eine "Papierkorbkategorie" bezeichnet werden. Es hat weder eine Abbildfunktion, noch besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Bezeichneten und dem Zeichen. Ein Symbol ist ein rein willkürliches (arbiträres) Zeichen, das in der Regel mit dem Wirklichkeitsausschnitt, den es abbildet, nichts gemeinsam hat. Beispiele hierfür sind das "Vorfahrtstraße"-Schild oder das "Allgemeine Gefahrenstelle"-Schild: Es gibt keine irgendwie in der realen Erscheinungsform des bezeichneten Sachverhalts liegende Ursache, warum gerade dieses Zeichen und nicht irgendein anderes für die bezeichnete Sache steht; und es gibt in der Regel auch keinerlei Abbildbeziehung (Ausnahmen bei sprachlichen Zeichen später).
    Bei Symbolen ist die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem konventionell festgelegt. - Die Symbole bilden die größte und wichtigste Gruppe von Zeichen. Zu ihnen gehören alle sprachlichen Zeichen (auch die gleich unten als Ausnahmen definierten Fälle).
    Eine gewisse Ausnahme wären etwa abbildende Bildschriftzeichen, wie sie z.B. die ägyptischen Hiroglyphen ganz am Anfang oder die chinesischen Bildschriftzeichen waren bzw. sind. Einige Sprachwissenschaftler verweisen auch auf die sog. Onomatopoetika, das sind lautmalende Wörter ("Kikerikie", "Ding-Dong", "Wau Wau" etc.). Diese Ausdrücke haben (in Resten) noch abbildende Aspekte. Daß dennoch auch sie ein gutes Stück weit willkürlich sind (und die Abbildqualität nur noch in Resten vorhanden ist), fällt spätestens dann auf, wenn man bedenkt, daß es zwar in den verschiedensten Nationalsprachen lautmalende Ausdrücke für die oben genannten Beispiele gibt, diese aber von Sprache zu Sprache verschieden sind ("Kikerikie" "heißt" auf Englisch z. B. "Cocadodledoo" etc.). Ein weiteres Beispiel für sprachliche Ausdrücke mit einem Rest von ikonoscher Qualität ist der deutsche Plural. In Wörtern wie Haus/Häuser ist die Form des Plurals länger als die des Präsens, und drückt somit indirekt aus, dass es sich hier um "mehr" handelt. Das ist in anderen Pluralformen wie Bruder/Brüder jedoch nicht der Fall. - In Kreolsprachen findet oft eine Doppelung des Wortes im Singular statt, um den Plural auszudrücken.
    Es gibt in der modernen Linguistik eine Richtung, die Natürlichkeitstheorie, die solche ‚motivierten‘ Aspekte sprachlicher Zeichen (Abbildqualitäten) zum Gegenstand macht. Solche (im angedeuteten Sinne ‚motivierten‘) sprachlichen Zeichen sind zumindest rezeptiv leichter zu verarbeiten; sie sind – so die Natürlichkeitstheorie – ‚natürlicher‘ als nicht-motivierte bzw. –motivierbare sprachliche Zeichen.

    Exkurs: Kausalität ist nicht an Motivationen, Zielvorstellungen usw., kurz an die Intentionen eines handelnden Subjekts gebunden. Ein Schlüssel, den wir von einer höheren Position als Bodenniveau loslassen, wird zwangsläufig auf den Boden fallen. Aufgrund der Schwerkraft kann er nicht anders. - Nur die Ursache von Sachverhalten kann mit einer "Warum"-Frage erfragt werden. Bsp. Der Schlüssel ist auf den Boden gefallen. WARUM? Weil ich ihn losgelassen habe, weil er der Schwerkraft unterworfen ist. Sobald ein handelndes Subjekt involviert ist und eigene Entscheidungen fällt, kann eine Erklärung nur die Antwort auf eine "Wozu"-Frage sein. Bsp. Ein Mann rennt in Richtung Haltestelle. WOZU? Um die Straßenbahn noch zu erreichen. Er hätte genauso die Wahl gehabt, früher loszugehen - oder aber langsam zu schlendern und auf die nächste Verbindung zu warten. – Zeichen (auch ein Index) bekommen ihre Zeichenqualität immer nur von einem semiotischen (nämlich Zeichen-verstehenden) Subjekt; trotz der Kausalität (Index) oder Abbildqualität (Ikon) braucht es zusätzlich das interpretierende, verstehende Subjekt. Bei Symbolen (im Sinne der Semiotik) – und so auch bei einem symbolisch verwendeten Index oder Ikon - gilt zusätzlich, daß hier ein Zeichen als Zeichen intendiert ist. Entsprechend kann ich Symbole bzw. den Gebrauch von Symbolen nicht kausal, sondern nur intentional erklären.

    Exkurs 2: Bei den Indianern wurden Rauchzeichen zum Weiterleiten von Nachrichten verwendet. In diesem Falle war der Rauch nicht nur einfach ein Index für Feuer, sondern zugleich wurde er symbolisch – und damit intentional orientiert – eingesetzt.

    2.3. Sprachliche Zeichen als Symbole / Zur Konventionalität sprachlicher Zeichen

    Sprachliche Zeichen sind unbeschadet gewisser ikonischer Qualitäten generell zunächst einmal Symbole (siehe dazu schon oben).
    Wie wir gesehen haben sind Symbole (und symbolisch gebrauchte Indizes und Ikone) konventionell (siehe auch dazu schon weiter oben). Wie aber entstehen solche Konventionen, die z. B. festlegen, daß in einer bestimmten Sprache eine bestimmte Sache durch eine bestimmte Lautkette gekennzeichnet ist? Natürlich nicht durch irgendwelche förmlichen Absprachen, bei denen sich die Sprachbenutzer am runden Tisch auf einen Ausdruck einigen. Lewis hat sich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt. Er geht davon aus, daß Konventionen durch sich wechselseitig bestätigende Erwartungen und darauf aufbauende Handlungen entstehen.
    In einer Kommunikationssituation verwendet beispielsweise einer der Partner ein dem Anderen unbekanntes Wort. Aus dem Satzzusammenhang kann sich der Andere die Bedeutung jedoch erschließen. Tritt die Verbindung zwischen diesem Zeichen und seiner Bedeutung nun mehrfach auf, so wird der Hörer oder Leser erwarten, daß das immer der Fall ist und über kurz oder lang diesen Begriff ebenfalls verwenden, um jenen Sachverhalt auszudrücken.

    2.4. Das sprachliche Zeichen und seine Funktionen (Bühler)

    >Sprachliche Zeichen haben nun nicht nur – wie das die vorangegangenen Ausführungen nahelegen könnten, die eine Funktion, Welt und Wirklichkeitsausschnitte zu bezeichnen. Sondern wir müssen mit mehreren unterschiedlichen Funktionen rechnen, die in verschiedener Gewichtung grundsätzlich gesehen zugleich relevant sind. Dabei ist die Leistung und Funktion eines sprachlichen Zeichens abhängig von der Gesprächsituation, in der es geäußert wird, sowie dem sozialen Rollenspiel, welches dieser Situation zugrunde liegt.
    Ein zentrales Modell, dass sich mit den Funktionen von Sprache befaßt, ist das Organon-Modell (Organon griech. = Werkzeug) von Karl Bühler. Sprache ist danach ein Hilfsmittel, mit dem wir etwas erreichen wollen. Zu einer Kommunikationssituation gehören nach Bühler drei bzw. vier Hauptelemente: ein Sprecher (Sender), ein Hörer (Empfänger) und schließlich die Außenwelt (Referent), auf die sich der Sprecher bezieht.



    Nehmen wir als Beispiel die Aussage: "Es wird Winter." Abhängig von der Aussageabsicht des Sprechers kann er sich auf sich selbst beziehen und das Gefühl eines inneren Unbehagens ausdrücken. Das Zeichen ist – so gesehen - emotiv oder expressiv. Möchte der Sprecher dem Zuhörer etwas über einen Gegenstand oder Zustand mitteilen, so verwendet er das sprachliche Zeichen als referentiell. Das würde in diesem Beispiel bedeuten, dass er sich ausschließlich auf den alljährlichen Wechsel der Jahreszeiten bezieht. Eine letzte Möglichkeit wäre es, diese Aussage als Apell an den Empfänger zu interpretieren, nun endlich die Heizung einzuschalten.
    Andere Sprachwissenschaftler haben dem sprachlichen Zeichen weitere Funktionen zugeordnet. So wird später noch von Roman Jakobson die Rede sein.
    Zu beachten ist bei diesem Modell auch, dass die Zeichenfunktion und die Lautform nicht deckungsgleich sind. Der Bereich in dem der Kreis über das Dreieck hinaus ragt, stellt die sogenannte "abstraktive Relevanz" dar. Im Alltag produzieren wir viel redundante und unnötige Informationen, die herausgefiltert werden können, so dass nur die Aspekte des Zeichens übrig bleiben, die für die Informationsvermittlung wesentlich sind.
    Der Bereich in dem das Dreieck über den Kreis hinausragt, steht für die "aperzeptive Ergänzung", auf die wir in so gut wie jeder Kommunikationssituation angewiesen sind. Relativ mühelos ergänzen wir unbewusst all das, was an der wirklich gehörten Äußerung nicht vollständig war. Dies funktioniert aber gewöhnlich nur in der Muttersprache; das Fehlen dieser Fähigkeit macht das Sprachverständnis im Ausland oft recht mühsam.

    2.5. Erweiterung des Bühler-Modells durch Jakobson

    2.5.1.  Metasprachliche, phatische und ästhetische Funktion
    Roman Jakobson war ein russischer Sprachwissenschaftler, der unter Anderem auch das Bühler´sche Organon-Modell ergänzte. Er erkannte, dass in der Kommunikationssituation noch drei weitere Funktionen von Sprache zum tragen kommen. So enthält sein Kommunikationsmodell 6 Funktionen: Die ersten drei Funktionen (apellative, emotive, referentielle) wurden von Bühler übernommen; drei weitere, die metasprachliche, die phatische und die ästhetische Funktion hat er ergänzt.
    Eine metasprachliche Äußerung bezieht sich auf die Sprache selbst, den Code. Typische Beispiele für solche metasprachliche Äußerungen wären: "Was hast du denn mit ... gemeint?"; "Das ist doch kein Stuhl! Das ist ein Hocker!"
    Steht bei der Kommunikation die Kontaktaufnahme mit dem Gegenüber im Vordergrund, so spricht man von einer phatischen Äußerung. Das wohl eindrücklichste Beispiel für phatische Äußerungen sind Situationen wenn Mütter mit ihrem Säugling sprechen. Das Kind versteht nicht was die Mutter sagt, fühlt sich jedoch durch die Zuwendung der Mutter bestätigt. Ein ähnliches Phänomen findet auch auf Parties statt, wenn pure Floskeln ausgetauscht werden um einen Kontakt mit dem Gegenüber herzustellen.


    Wird vor allem auf die Form der Sprache Wert gelegt, so tritt ihr ästhetischer Funktion in den Vordergrund. Dabei hat nicht nur die schöne Literatur das Privileg gepachtet, sich der Sprache künstlerisch zu bemächtigen. Auch in der Werbung finden wir eine bewußte Instrumentalisierung von Sprache. In Werbeslogans werden bewußt Erwartungen des Rezipienten enttäuscht und alltägliche Konventionen gebrochen. So werden die gelieferten Informationen aus dem automatischen Verarbeitungsprozess herausgerissen und bewußt verarbeitet. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Gebrauch von Sprache ist der Slogan: Katzen würden Wiskas kaufen". Zum einen wird sich der Einprägsamkeit von Alliterationen bedient, zum anderen werden wir aber auch mit der Idee vertraut gemacht, dass Katzen, wenn sie es denn könnten, ein bestimmtes Katzenfutter kaufen würden. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als zu sagen: "Herrchen/Frauchen kauft euren Katzen Wiskas"- was ja eigentlich gemeint ist.

    2.5.2. Die sechs Funktionen Jakobsons im Überblick

    Das Jakobson´sche Kommunikationsmodell. (Pelz, 1996, S. 33)

    Grundsätzlich läßt sich noch bei beiden bekannten Funktionsmodellen von Sprache (Bühler/ Jakobson) die Erkenntnis hervorheben, dass sprachliche Äußerungen in den wenigsten Fällen nur eine Funktion erfüllen. Vielmehr sind prinzipiell alle Funktionen in einer sprachlichen Äußerung vorhanden - jedoch mit unterschiedlichster Gewichtung.
    Alfred Lorenzer, ein Psychoanalytiker, hat erkannt, dass es sich bei einer Aussage nie nur um reine Darstellung von Bedeutung handelt, sondern stets auch immer die Emotionalität des Sprechers und ein Appell an den Hörer miteinbezogen werden muss - ein abweichendes Verhalten ist krankhaft!


    2.6. Von Peirce zu de Saussure: Das zweiseitige Modell sprachlicher Zeichen

    2.6.1. de Saussure als (erster) Kognitivist
    Ferdinand De Saussure ist einer der zentralen Figuren in der heute betriebenen Sprachwissenschaft. Dabei hat er nie selbst ein Buch veröffentlicht: De Saussure lehrte zu Beginn des letzten Jahrhunderts an der Universität in Genf und das berühmte Werk "Cours de linguistique générale" entstand durch Mitschriften seiner Studenten, die diese zusammenfaßten und posthum veröffentlichten. De Saussure ist der Begründer der synchronen und der kognitiven Sprachwissenschaft.
    Vor De Saussure war vor allem die historische Entwicklung von Sprache erforscht worden (diachronische Sprachwissenschaft). De Saussure hingegen widmet sich der Erforschung von Sprache als System. Er plädierte dafür, sich auf die Erforschung von Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt zu widmen um ihr, zu diesem Zeitpunkt immanentes, System zu erkennen (synchrone Sprachwissenschaft).
    De Saussure ist in sofern der erste Kognitivist, als dass er sich bei seinem Zeichenbegriff nicht mehr, wie noch Peirce, damit begnügte, Sprache auf die Benennung der Realität zu reduzieren. Für De Saussure existierten die sprachlichen Zeichen nur im Kopf.
    2.6.2. Das zweiseitige Zeichen: Image und concept
    Dieses nach De Saussure nur im Kopf existierende Zeichen ist zweiseitig (diadisch): Es setzt sich aus dem image und dem concept zusammen.
    Beim image handelt es sich um eine Art abstraktes, mentales Muster oder Schema das es uns erlaubt, unendlich viele verschiedene Ausformungen der sensorischen Realität: eines Schriftzuges, einer Lautform, usw., als identische Wortform zu erkennen. Wir sind in der Lage, die verschiedensten Schriftzüge als gleichwertig einzustufen: Stuhl, stuhl, STUHL, Stuhl , ja sogar einen teilweise verwischten Schriftzug können wir noch entziffern. Jedoch nicht nur das: Wir können auch mit Sicherheit sagen, daß die Schriftzüge Stoll, Strahl, Pool, *Y~:~~\:. ... nicht das gleiche Ding bezeichnen können wie die äußerlich so verschiedenen Varianten der Wortform Stuhl . Dieser im Kopf befindliche Maßstab zur Identifizierung eines passenden Schriftzuges nennt de Saussure das image graphique. Ähnliches gilt für die akustische Wahrnehmung: Wenn verschiedene Personen das Wort "Stuhl" aussprechen, ja sogar jedesmal wenn ein und die selbe Person es ausspricht, klingt das etwas anders. Trotzdem können wir die Lautsequenz jedesmal einwandfrei identifizieren- selbst dann noch, wenn der andere undeutlich spricht oder durch Lärm im Hintergrund teilweise übertönt wird. Auch hier liegt also offenbar im Kopf ein Muster vor, mit Hilfe dessen die konkrete, physikalisch-materielle Lautkette analysiert und identifiziert wird: das image acoustique oder image phonigue. Dieses image ist also die eine Seite des de Saussure´schen Zeichens. Es ist auf die sprachliche Realität (das Bezeichnende) ausgerichtet.
    Auf der anderen Seite besitzen wir aber auch eine abstrakte mentale Merkmalsmatrix, das concept, welches es uns erlaubt, Gegenstände/die Welt (das Bezeichnete) zu klassifizieren: Wir sind in der Lage jeden x-beliebigen Stuhl als genau dieses Möbelstück zu erkennen - egal, ob er aus Holz, Metall oder einem anderen Material ist, ob seine Lehne abgerundet oder eckig ist, ob er braun, weiß, rot oder bunt ist, ob er vier Beine hat oder auf fünf Rollen fährt, usw.. All diese verschiedenen Stühle sind mindestens so verschieden wie die oben beschriebenen Schriftzüge. Trotzdem können wir sie eindeutig identifizieren und von einem Tisch, Bett, Schlüsselbund, usw. mühelos unterscheiden.
    2.6.3. Reziproke Evokation
    Image oder concept alleine sind jedoch an sich noch kein sprachliches Zeichen. Erst durch ihre Verschaltung gewinnen sie Bedeutung und werden so zum sprachlichen Zeichen. Diese Verschaltung wird als reziproke Evokation bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein automatisches sich–gegenseitig-hervorufen. Ich kann nicht den Schriftzug ,,Stuhl" lesen, ohne sofort außer dem image graphique auch das concept des Stuhls parat zu haben, und anders herum. Die Verschaltung von concept und image ist nur intersubjektiv erklärbar: unbewußt spielen sich die Sprecher einer Gemeinschaft auf eine gemeinsame sprachliche Strukturierung der Realität ein (Konvention).



    (1)
    die schriftsprachliche / lautsprachliche Realität
    (ein konkreter Schriftzug, eine reale Lautsequenz)
    (2)
    image
    acoustique/phonique bzw. graphique
    (3)
    concept
    (4)
    Die Objektrealität
    (ein realer Stuhl)



    Es gibt nur ein 'concept'-System, aber (mindestens) zwei 'image'-Systeme (bei einem schriftkundigen Menschen; wenn man zwischen Produktion (etwa von Schrift) und Rezeption noch unterscheidet, dann gibt es bei einem schriftkundigen Menschen sogar vier image pro concept. Wenn jemand zusätzlich noch die Blindenschrift beherrscht, gibt es auch noch ein ,,taktiles image".
    Nach der Unitarismus-Vorstellung sind diese images mit denselben Konzepten verbunden, die wir auch jenseits von Sprache z.B. im Rahmen einer Identifikation unserer Umwelt verwenden.

    3. Exkurs: Neurolinguistische (und neurobiologische) Querverbindungen

    Wie funktioniert das aber (auf die akustische Wahrnehmung bezogen!) konkret, d.h. ,,biologisch"?

    3.1. Hören  und (nach)sprechen

    Übertragungsformen des Schalles (vgl. Silbernagl 1991, S.319)


    1. Die Luftdruckschwankungen ("Schallwellen") gelangen durch den Gehörgang an das Trommelfell.

    2. Die Bewegung des Trommelfells (mechanische Schwingungen) setzt im Mittelohr die Gehörknöchelchen (Hammer, Amboß, Steigbügel) in Bewegung (mechanische Übertragung). Da diese Knöchelchen wie eine Hebelkonstruktion funktionieren, wird der Druck hier noch verstärkt.

    3. Die Bewegung der Gehörknöchelchen versetzt eine weitere Membran, das ovale Fenster, welche das Innenohr abschließt, in Schwingung. Diese Schwingung überträgt sich auf die Innenohrflüssigkeit.

    4. Das Innenohr besteht aus drei spiralförmig ineinander gerollten Schläuchen (ebenfalls Membranen) und wird deswegen auch als Gehörschnecke (Cochlea) bezeichnet. Durch die Schwingung des ovalen Fensters wird die Innenohrflüssigkeit komprimiert und dekomprimiert. Es läuft eine sogenannte "Wanderwelle" durch die Cochlea. Im mittleren Schlauch, der Scala Media, sitzen feine Sinneshärchen, die nach dem "Seegrasprinzip" durch die Bewegung der Flüssigkeit ebenfalls bewegt werden (mechanische Auslenkung). Da diese Schläuch inonenhaltige Flüssigkeit enthalten und ein Spannungsverhältnis mit den Haarzellen besteht, laufen in der Cochlea bio-chemische Prozesse ab. Elektrische Impulse entstehen.

    5. Am unteren Ende der Sinneshärchen sind Nervenfasern "angeschlossen"; das Abknicken der Sinneshärchen führt zu der Öffnung von Ionen-Kanälen. Elektrische Impulse laufen über die Nervenfasern - über die verschiedenen Schaltstationen der Hörbahn und den Hirnstamm - zum Gehirn, hier zum

    6. ... primären Hörzentrum. Hier werden die eingehenden akustischen Muster ihrer auditiven Form nach erkannt.

    7. In den sekundären auditiven Gebieten (auditive Assoziationsgebiete) erfolgt eine Mustererkennung durch Abgleich und schließlich die Interpretation der Bedeutung dieser Muster.

    8. Beim Nachsprechen werden die auditiven Informationen an die sekundäre motorische Hirnrinde weitergeleitet. Für die Produktion von Sprache betrifft das die Broca-Region.

    9. Von der Broca-Region werden nun Impulse an die primär motorischen Gebiete gesendet. - In der Broca-Region sind nicht nur einzelne Teilbewegungen der Artikulatorik, sondern ganzheitlich komplexe Bewegungsfolgen gewissermaßen gespeichert.

    10. Diese Bewegungsfolgen werden dann den artikulatorische Organen "befohlen". Die beim nicht-Sprechen regelmäßig ausgestoßene Luft wird abgelenkt.

    11. Es entstehen regelmäßige und unregelmäßige Luftdruckschwankungen.

    Exkurs: Ganz so leicht läuft dieser Prozeß in einer Fremdsprache jedoch nicht ab. Wir müssen erst einmal lernen, die distinktiven (bedeutungsunterscheidenden) Laute der Fremdsprache zu hören bzw. als solche zu erkennen. Langsam müssen wir ein neues image aufbauen und musterhaft abspeichern. Gleichzeitig müssen wir lernen, unsere Muskulatur in einer ungewohnten Reihenfolge zu bewegen, um die neue Sprache auch zu sprechen.

    3.2. Zur funktionalen Architektur des Gehirns

    Das menschliche Gehirn besteht aus zwei Hälften, die durch das corpus callosum miteinander verbunden sind. Während sich manche Aufgaben primär unilateral (mit einer Hirnhälfte) bewältigen lassen (wie zum Beispiel die Sprache in der Regel mit der linken Hirnhälfte oder die visuell-räumliche Erkennung von Objekten mit der rechten Gehirnhälfte), ist für das Lesen ein Zusammenwirken beider Gehirnhälften von Nöten. Koodinationsstörungen können die Ursache für Lese- und Rechtschreibestörungen sein.
    Die sensorische und motorische Peripherie ist mit dem Gehirn kreuzverschaltet; d.h. die rechte Gehirnhälfte ist primär für die Bewegung zum Beispiel des linken Fußes verantwortlich. Bei den meisten Menschen ist die linke Hälfte (die sogenannte linke Hemisphere) des Großhirns (Cortex) sprachdominant. Hier befinden sich die – mehr oder weniger klar umgrenzten – sensorischen (vereinfacht: "für das Sprachverstehen zuständigen") und motorischen (vereinfacht: "für die Sprachproduktion zuständigen") Sprachregionen.
    Sicherlich nicht zufällig befindet sich die Region, die für die Sprechmotorik zuständig ist, in der selben Hemisphäre wie die Region, welche für die Feinmotorik der Hände und Füße zuständig ist - ist doch die artikulatorische Motorik die bei weitem komplizierteste motorische Leistung, die Menschen vollbringen.
    Außer dem "Corpus Callosum" oder "Balken", der linke und rechte Hirnhälfte miteinander verbindet, besteht auch noch eine Verbindung zwischen den sensorischen Sprachregionen (die etwa für die Verarbeitung beim Hören und Lesen zuständig sind) und den motorischen Sprachregionen (die u.a. für die motorisch-artikulatorische Steuerung beim Sprechen zuständig sind). Diese Verbindung (der "fasciculus arcuatus") befähigt uns, direkt nachzusprechen und dabei auch sinnlose Lautketten, die man gar nicht 'verstehen' kann, nachzusprechen.
    Die für die Sprache relevanten Bereiche des Gehirns und deren Funktionen lassen sich der folgenden Grafik entnehmen:

    4. Lautlehre



    4.1. Hintergründe


    4.1.1. Zur Erinnerung
    Frage: "Wie kommt es zum Schallereignis? Was verursacht das Erklingen eines Lautes?" Antwort: Geordnete Bewegungsabläufe des artikulatorischen Apparates:


    sekundär motorischer Cortex
    hier sind die hochkomplexen Impulsmuster für die Artikulation der einzelnen Laute gespeichert

    ¯

    primär motorischer Cortex
    ... über Nervenfasern werden elektrische Signale an die Muskeln geschickt

    ¯

    Bewegungsverläufe des artikulatorischen Apparates d. h. Bewegungen der Muskeln, die sich "vergiftungsbedingt" kontrahieren: die elektrischen Signale der Nerven verursachen die Ausschüttung chemischer Botenstoffe an die Muskelfasern

    ¯

    Schallereignisse
    (= Luftdruckschwankungen)

    4.1.2. Lautspracherwerb
    Das kleine Kind brabbelt fortwährend Laute vor sich hin, zunächst völlig willkürlich und buchstäblich alles, was der Artikulationsapparat hergibt – also alles irgend mögliche! D. h. konkret: Alle Laute, die der menschliche Lautapparat hervorzubringen vermag, werden vom Kleinkind zu Beginn des Spracherwerbs irgendwann auch tatsächlich "ausprobiert", auch Laute, die in der Muttersprache gar nicht vorkommen. Diese willkürlichen Bewegungen (Motorik) werden zwangsläufig durch verschiedene Sensorzellen (Sensorik) wahrgenommen.
  • durch intramuskuläre Sensorzellen (also im jeweiligen Muskel gelegen)
  • durch extramuskuläre Sensorzellen (also an der Oberfläche des Muskels liegend)
  • und natürlich akustisch, d. h. Wahrnehmung des außerkörperliche Geschehens durch das Ohr (kurz: Außenkörper)
  • Die motorischen Aktivitäten werden also auf verschiedenen Wegen an das sensorische Zentrum rückgemeldet. Das wiederholte Wahrnehmen des gleichen Lautes hinterlässt hier jedesmal Spuren, die allmählich Muster bilden. Das Kind entwickelt so nach und nach spezifische sensorische und - gekoppelt damit - motorische Muster für buchstäblich alle möglichen Laute (senso-motorische Muster). Erst wenn eine gewisse Differenziertheit der senso-motorischen Muster erreicht ist, beginnt das Kind, von anderen Lauteindrücken als den selbst produzierten – also der von den Eltern produzierten Sprache – zu profitieren: Es erkennt diese anderen Sprachlaute nun mittels der senso-motorischen Muster, die es ausgebildet hat (und das heißt immer auch, daß das Kind in der Lage ist, solche Laute motorisch-produktiv nachzumachen) Durch die elterlliche (oder sonstige) Umgebungssprache werden spezifische senso-motorische Muster verstärkt. Das Kind produziert ab jetzt auch selbst nur noch die Laute der Muttersprache, also die die es hört. Jetzt erst beginnt der eigentliche Lautspacherwerb; und er vollzieht sich rasend schnell bzw. ist binnen weniger Monate abgeschlossen. Das ist nur möglich, weil es sich ja letztlich nicht um einen Lernprozeß sondern um einen Selektions- und   "Verlernprozeß" handelt: Das Kind verlernt ab jetzt nur noch all die Laute (senso-motorische Muster), die es für "seine" Sprache nicht braucht. Mit ca. sieben bis acht Jahren sind die nicht benötigten Muster gelöscht; bis dahin ist ein Kind z. B. relativ problemlos in der Lage, eine zweite oder auch dritte Sprache parallel (zusätzlich)  zu erlernen. Das Kind erlernt von den Lauten der Muttersprache zunächst diejenigen, die am deutlichsten zueinander in Opposition stehen, d. h. den deutlichsten Gegensatz im äußerlichen Erscheinungsbild darstellen: "Mund auf" vs. "Mund zu" – "a" vs. "m" oder "p". Dies gilt überall auf der Welt. (Das weitverbreitete "Mama!" entspringt also nicht der übergroßen Liebe des Kindes zu seiner Mutter sondern den Notwendigkeiten des Spracherwerbs.) Noam Chomsky vermutet hinter dem gesamten Spracherwerb ausschließlich Reifungsprozesse (nativistische Theorie): Die Sprache ist im Prinzip komplett angelegt und reift allmählich. Für den Erwerb der Sprachlaute mag das weitgehend zutreffen, Chomsky weitet diese Theorie jedoch auf die gesamte Sprache, also z. B. auch auf die Grammatik aus.


    4.2. Phonetik


    4.2.1. Unterteilungen
    Die Phonetik ist die Lehre von den Sprechlauten. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Phonetik:
  • auditive Phonetik: "Wie funktioniert die Lautwahrnehmung?" – Relevant z. B. bei der Problematik der Mensch-Maschine-Interaktion, also z. B. der direkten Verarbeitung gesprochener menschlicher Sprache durch den Computer, sowie in der klinischen Linguistik, etwa für die Entwicklung der Cochlea-Implantate usw.
  • akustische Phonetik: "Wie funktioniert die Schallübertragung?"
  • artikulatorische Phonetik: "Wie funktioniert die Hervorbringung von Sprachlauten?" –  Diese letztere ist es auch, die uns im Folgenden nahezu ausschließlich beschäftigen wird.

  • 4.2.2. Die Konsonanten der deutschen Sprache
    Bei der Beschreibung der artikulatorischen Bewegungen unterscheiden wir einerseits zwischen dem spezifischen Ort im Mund-Rachen-Bereich, an dem eine bestimmte Lautbildung erfolgt, und andererseits der Art und Weise der Lautbildung (das meint die beteiligten artikulatorischen Teilbewegungen und ihr Zusammenspiel bei der Artikulation eines Lautes. Was den Artikulationsort angeht, so unterscheiden wir für das Standarddeutsche
    bilabial: 'mit beiden Lippen'; Lippenlaut (im Deutschen nur durch Lippenschluß, als Plosiv oder Nasal (das meint die Art der Artikulation - vgl. dazu gleich folgend; einen Lippen-Reibelaut (Frikativ) gibt es nicht!)

    labiodental: der Laut wird mit der (Unter-)lippe und den (oberen) Schneidezähnen gebildet (im Standarddeutschen nur Engelaute bzw. Frikative)

    alveolar: Verschluß bzw. Enge/Frikativ wird mit der Zungenspitze (= apex, deshalb eigentlich ein apiko-alveolarer Laut) an den Zahnfleischtaschen (an den 'Alveolen') oben gebildet. - In Sprachen wie dem Englischen werden die entsprechenden Laute standardmäßig wohl an der Rückseite der oberen Schneidezähne (Zähne = dentes) gebildet, - wir sprechen dann auch von apiko-dentalen Lauten.

    präpalatal: der Laut wird (mit dem Zungenrücken) am vorderen Teil d. harten Gaumens (= palatum) gebildet

    mediopalatal: Lautbildung mit dem Zungenrücken am mittleren Teil des harten Gaumen.

    velar:  der Laut wird am weichen Gaumen gebildet (velum = das [Gaumen-]Segel)

    glottal: der Laut (z.B. das [ h ] in "Uhu" oder der sog. Stimmlippen-Verschluß) wird mit Hilfe der Stimmlippen im Kehlkopf gebildet (Stimmlippen - Stimmritze - Glottis); dazu unten noch einige erweiternde Hinweise.
    Der folgende Querschnitt durch den Artikulationsapparat verdeutlicht nochmals die Lage der einzelnen Artikulationsorte. Zunächst ein allgemeiner Überblick über die Sprechwerkzeuge (Lunge/Zwerchfell, Luftröhre mit den Stimmlippen [unten ist der betreffende Bereich hellgrün wiedergegeben], Mundhöhle/Gaumen/Zunge, Nasenhöhle):


    Die obige Graphik wie die drei unten noch folgenden Graphiken sind dem Phonetik-Kapitel der "interaktiven Einführung in die Linguistik" im Hueber-Verlag entnommen (die ich über die Phonetik hinaus allerdings nicht empfehlen kann).

    Die folgende Graphiken zeigt einen Querschnitt durch den Mund-Rachen-Bereich; der hintere Teil des dunkelgrün wiedergegebenen Gaumens ist der sog. weiche Gaumen bzw. das Gaumensegel, das hier den Weg der Atemluft nicht nur durch den Mund - also oral - sondern auch durch den Nasenraum - also nasal - freigibt:


    In der nun folgenden (prinzipiell gleich aufgebauten) Graphik ist das Gaumensegel, das Velum, rot wiedergegeben und versperrt den Weg der Atemluft durch den Nasenraum; das ist z.B. die Stellung des Gaumensegels bei sämtlichen Verschlußlauten:


    Die letzte Graphik dieser Reihe enthält die für das Deutsche wichtigen Artikulationsorte, wobei leider nicht unterschieden wird zwischen präpalatal und mediopalatal; umgekehrt spielt der post-alveolare Bereich, der uvulare Bereich (der letzte Rest des Gaumensegels, das sog. Zäpfchen) und der pharyngale Bereich für die deutsche Standardsprache keine Rolle:


    Artikulationsart:

    Verschlußlaut auch: Plosiv, Explosiv. Der Laut entsteht, indem bestimmte Sprechwerkzeuge (Lippen, Zungenspitze-Alveolen, Zungenrücken-Gaumen...) einen Verschluß bilden, d. h. sie stoppen den Luftstrom komplett und hindern ihn am Austreten (im übrigen muß dazu auch das sog. Gaumensegel bzw. das Velum gehoben und so der Durchgang durch die Nase geschlossen werden - ich komme darauf zurück). Bei kontinuierlich herausgepreßter Luft steigt der Luftdruck hinter dem Verschluß, steigt immer weiter an; kurz bevor der Verschluß durch den zu hohen Luftdruck "gesprengt" würde, wird er willentlich geöffnet, und die angestaute Luft strömt "explosionsartig" aus.

    Reibelaut auch: Engelaut, Frikativ. Der Laut entsteht, indem bestimmte Sprechwerkzeuge (wieder etwa Zunge-Alveolen oder Zungenrücken-Gaumen) einen engen Spalt bilden, der den Luftstrom beim Austreten behindert: In der Verengung wird (durch die Verengung bei gleichbleibendem Quantum ausströmender Luft) die Strömungsgeschwindigkeit der austretenden Luft erhöht und es kommt zu mehr oder weniger starken Verwirbelungen der Luft, die entsprechend mehr oder weniger deutlich als sog. "Geräusche" zu hören sind ("Geräusche" für unregelmäßige Luftdruckschwankungen oder Schallwellen im Unterschied zu Tönen als regelmäßigen Luftdruckschwankungen oder Schallwellen).

    Affrikate sozusagen "zerstörte Verschlußlaute". Der Laut entsteht, indem wie bei den Plosiven ein Verschluß gebildet wird, der dann durch den steigenden Luftstrom gesprengt wird, so daß zunächst ein ganzer Schwall, dann ein kontinuierlicher Strom von Luft ausströmt. Vermutlich sind die Affrikaten tatsächlich aus zunächst nicht willentlich geöffneten Plosiven entstanden, wurden dann aber in das Lautinventar der deutschen Sprache übernommen (müßte ein gutes Beispiel für die Entstehung von Konventionen sein...)

    Nasal Der Laut entsteht, indem oral ein Verschluß gebildet wird; doch wird nasal kein Verschluß gebildet; das Gaumensegel bleibt gesenkt; die Luft kann (ausschließlich) durch den Nasenraum entweichen. - Man vergleiche hierzu auch nochmals die Verschlußlauten. - Wie das gemacht wird, Heben oder Senken des Gaumensegels? Nun, das kann man durchaus willentlich als einzelne artikulatorische Teilbewegung durchführen; wenn man während des Sprechens durchgängig das Gaumensegel gehoben hat und so den Durchgang  durch den Nasenraum durchgängig geschlossen hält, dann ergibt das den sog. "Schnupfenton".

    fortis die Luft strömt mit großem Druck aus

    lenis die Luft strömt mit geringem Druck aus

    stimmhaft Stimmlippen liegen eng aneinander an, so daß sie durch die ausströmende Atemluft in Schwingung versetzt werden. Dieses Vibrieren erzeugt den Ton.

    stimmlos Stimmlippen geöffnet, die Atemluft strömt ungehindert durch den Kehlkopf (wobei allerdings grundsätzlich gewisse Verwirbelungen und damit "Geräusche" entstehen)

    Noch ein Wort zu den sog. Stimmlippen: Es handelt sich um zwei im Kehlkopf gelegene bzw. aufgespannte Hautlappen, die willentlich geöffnet oder geschlossen werden können und so die Laute stimmlos bzw. stimmhaft werden lassen. - Es soll zunächst der Aufbau des Kehlkopfs und der darin aufgespannten oder aufspannbaren Hautlappen bzw. Stimmlippen/Stimmbänder skizziert werden (auch die folgenden vier Graphiken sind dem Phonetik-Kapitel der "interaktiven Einführung in die Linguistik" im Hueber-Verlag entnommen):


    Die Darstellung bietet einen Blick von hinten auf die Luftröhre und dann den Kehlkopf; hier geht es um die beiden Stimmbänder oder Stimmlippen (die beiden Ausdrücke meinen dasselbe), die vorne (im Bild hinten) gewissermaßen in der Mitte an einem Knorpel (Ringknorpel) festgemacht sind und hinten (im Bild vorne) auseinandergehalten oder zusammengeführt werden können.


    Diese Darstellung, die den Kehlkopf von vorne zeigt, zeigt gut die Lage des Ringknorpels. - Die hinteren Enden der Stimmlippen oder Stimmbänder sind an den sog. Stellknorpeln festgemacht, die ich mithilfe seitlich verlaufender Muskeln auseinanderziehen oder aber zusammenziehen kann (dann schließe ich die Stimmlippen, und gegebenenfalls bedeutet das, daß kein Luft mehr durch die Luftröhre nach oben entweichen kann.


    Die Darstellung unten zeigt skizzenartig den Zustand, der eintritt, wenn ich die beiden Stimmlippen oder Stimmbänder mithilfe der Stellknorpel zusammenziehe und damit gewissermaßen die Luftröhre verschlließe:


    Stimmhaftigkeit bzw. das Flattern der Stimmbänder entsteht nun dadurch, daß sich hinter den geschlossenen Stimmlippen der Luftdruck der ausströmenden Atemluft solange erhöht, bis dadurch die Stimmbänder auseinandergedrückt werden - um aufgrund ihrer Eigenspannung danach wieder zusammen zu kommen. - Wiederholt sich das, dann entsteht so etwas wie ein Flattern der Stimmbänder, - hinter bzw. oberhalb der Stimmbänder kommt es zu einem regelmäßigen Wechsel des Luftdrucks (= Schallwellen.

    Der folgende Überblick faßt die verschiedenen Möglichkeiten zusammen, die Stimmlippen einzustellen und damit die Lautbildung mithilfe der Stimmlippen zu beeinflussen:

    (a) Die Stimmlippen sind weit geöffnet bzw. entspannt (Ruhestellung). Die Atemluft kann ungehindert passieren. Dennoch entstehen leichte Verwirbelungen der ausströmenden Atemluft, die bei hinreichend viel ausströmender Atemluft hörbar sind und den konsonantischen Laut [ h ] wie in "Uhu" ergeben.

    (b) Hier ist der Durchgang zwischen den beiden Stimmlippen verkleinert. Bei gleichbleibendem Quantum an ausströmender Atemluft wird auf diese Weise die Strömungsgeschwindigkeit erhöht, - die Verwirbelungen werden deutlich stärker und sind besser hörbar. - Spreche ich mit so eingestellten Stimmlippen, dann ist das auch als "Bühnenflüstern" bekannt: Ich flüstere, bin aber auch in einem großen Schauspielhaus immer noch auch in der letzten Reihe zu hören.

    (c) Hier liegen nun die Stimmlippen leicht aneinander und werden so gehalten (also nicht bewegt). Da der Durchgang jetzt verschlossen ist, entsteht vor den geschlossenen Stimmlippen (darunter) Überdruck, der schließlich die Stimmlippen auseinanderdrückt und entweicht. Die Stimmlippen schließen sich danach auf Grund der Eigenspannung des Gewebes wieder, und das gleiche Schaupsiel wiederholt sich, - wir sprechen davon, daß die Stimmlippen flattern (= Stimmhaftigkeit) und bezeichnen diese Einstellung als "Stimmton(einstellung)".

    (d) Hier werden nun die Stimmlippen mit Kraft gegeneinandergehalten. Auch hier entsteht daraufhin unterhalb der Stimmlippen Überdruck, und zwar recht hoher Überdruck, gut vergleichbar der Situation, wenn ich beide Lippen zusammenpresse und einen bilabialen Verschluß bilde. Und genau wie bei einem solchen bilabialen Verschluß öffne ich auch hier die beiden Stimmlippen, kurz bevor mir der Überdruck der sich anstauenden Atemluft den Stimmlippen-Verschluß zerstört. - Wir sprechen vom Stimmlippen-Verschluß, wie er vorliegt z.B. in "den Bau erkennen" (in Opposition zu "den Bauer kennen").

    Im folgenden sollen die Möglichkeiten der Lautbildung, die bisher erörtert wurden, also die Möglichkeiten der Ausbildung eines Konsonanten, nochmals im Überblick zusammengefaßt werden (wobei wir uns auf die zentralen Lautgruppen - vor allem auf Verschlußlaute und Frikative - begrenzen). Dabei werden zugleich die verschiedenen Lautbildungen mithlfe eines Spezialalphabets, des API (Association Phonétique Internationale), wiedergegeben. - Daß es sich bei den entsprechenden Alphabetzeichen nicht um das normale Alphabet handelt, sieht man schon allein daran, daß die entsprechenden API-Zeichen in der Regel in eckigen Klammern wiedergegeben werden:


    in den eckigen Klammern [] : Lautschriftzeichen API (Association Phonétique Internationale)

    Einige abschließende Anmerkungen zum obigen Überblick:
  • 1. Grundsätzlich sind lenis-Frikative immer stimmhaft und fortis-Frikative immer stimmlos. - Fortis-Laute können ganz generell nicht stimmhaft sein, weil ein entsprechend erhöhter Luftdruck die Stimmlippen nicht mehr regelmäßig schwingen lassen würde.
  • 2. Anlautend sind im Deutschen die lenis-Verschlüsse stimmlos (Bsp. Bad). Diese stimmlosen Laute werden mit einem Kringel, der unter ihnen plaziert ist, gekennzeichnet (Bsp. "Bad", "Dorf", "ganz").   Im Französischen sind solche lenis-Verschlußlaute zu Wortbeginn stimmhaft (Bsp.   bain). Im Kontakt mit stimmhaften Lauten werden diese lenis-Laute jedoch auch im Deutschen stimmhaft gesprochen..
  • 3. Aspirierte Konsonanten werden durch ein hochgestelltes h gekennzeichnet. Daß ein Konsonant aspiriert wird, heißt, daß die Luft bis zum folgenden Laut (so bei Vokalen) oder im Auslaut eines Wortes oder einer Silbe eine gewisse Zeit ungehindert entweichen kann. - In betonten Silben ist die Aspiration gesteigert (Bsp. "Tante").


  • Im obigen Schema fehlt das "L". Dieser Laut nimmt im deutschen Lautsystem eine Sonderstellung ein. Artikulatgionsart: "Lateral" oder "Liquid"; d.h., daß er am ehesten einem Reibelaut vergleichbar ist – wobei die Zungenspitze hochgezogen wird und die Luft links und rechts an der Zunge vorbei strömt.
    Ein verwirrendes Phänomen ist der Buchstabe "h", welcher in Wörtern wie „Haus“ ausgesprochen  und somit in der Lautschrift mit [ h ] dargestellt wird. Es kann sich aber auch um ein sogenanntes „Dehnungs-h“ handeln, welches anzeigt, dass ein Vokal lang ausgesprochen werden soll, so zum Beispiel in "lehren". Einen h-Laut hört man hier nicht; vielmehr besagt das "h" lediglich, daß das vorangehende "e" gesprochen-sprachlich ein Langvokal ist.

    Hier einige Beispiele für die Wiedergabe gesprochen-sprachlicher Wörter mithilfe des Zeichensatzes des API (zu den API-Zeichen für Vokale siehe weiter unten):

    "Papa"  >>>                        

    "Garage" >>>                     

    "Rachengold" >>>              

    "die wärmsten Socken" >>>

    "Junge" >>>                      

     

    4.2.3. Die Vokale des Deutschen
    Wie oben schon erwähnt, wird bei Konsonanten der Luftstrom als Folge einer Hindernisbildung abgebremst. Die entstehenden Konsonanten können stimmhaft (die Stimmlippen schwingen mit) oder stimmlos sein (die Luft passiert die geöffneten Stimmlippen unbeeinträchtigt). Konsonanten - auch die stimmhaften Konsonanten - sind Geräusche, das heißt, akustisch handelt es sich um unregelmäßige Luftdruckschwankungen bzw. Schallwellen.
    Bei der Bildung von Vokalen gibt es diese Unterscheidung zwischen stimmlos und stimmhaft nicht; Vokale sind immer stimmhaft.
    Und: Bei Vokalen werden keine Hindernisse in die ausströmende Atemluft gebaut; es kommt nicht zu irgendwelchen Verwirbelungen bzw. Geräuschbildungen. - Im Einzelnen heißt das: Ganz gleich, welchen Vokal wir produzieren, die Stimmlippen werden stets in Schwingungen versetzt; und der Mund-Rachen-Raum wird jetzt nur dazu genutzt, einen je spezifischen Resonanzraum für die durch die Stimmlippen verursachten regelmäßigen Luftdruckschwankungen zu bilden. Das Verfahren ist prinzipiell vergleichbar etwa einer Gitarre oder einer Geige oder Mandoline; stets sind es die Schwingungen der aufgesprannten Seiten, die nun allerdings durch den jeweiligen Resonanzraum des Instruments spezifisch "gefärbt" oder "verfärbt" werden. - Nochmals: Die durch den Resosanzraum hindurch strömende Atemluft erfährt - anders als bei den Konsonanten - keinerlei Abbremsung durch ein Hindernis.
    Die Vokale der deutschen Sprache werden nach drei Parametern definiert, nach dem Ort, an dem die für die Ausformung des Vokals bedeutende Veränderung des Resonanzraumes (mit Hilfe der Zunge) vonstatten geht (medio-palatal = vorne vs. velar = hinten), nach dem Öffnungsgrad des Mundes (Stellung des Unterkiefers in Bezug auf den Oberkiefer: offen vs. geschlossen) und nach der Lippenstellung (mit vs. ohne Lippenrundung).
    Der folgende Überblick soll einen Eindruck von den Möglichkeiten vermitteln, wobei wir uns auch hier auf einen zentralen Bereich beschränken; der Einfachheit halber verzichte ich hier darauf, die entsprechenden API-Zeichen in eckigen Klammern wiederzugeben:


    Der Ausdruck "gespreizt" meint im Standarddeutschen eine entspannte Lippenstellung, die Ruhestellung der Lippen; dagegen steht das "Ansatzrohr", daß ich mit den Lippen etwa bei den 'o-Lauten' oder den 'u-Lauten' bilde (= "gerundet"). - In der obigen Wiedergabe sind alle "gerundeten" Laute auf der hinteren Ebene plaziert, - gleichsam als ob ich sie - wie meine Lippen - von mir wegschieben würde.



    In der folgenden Darstellung werden die verschiedenen Möglichkeiten der Vokalbildung an einzelnen Beispielen dokumentiert:


    4.2.4.Sprechgeschwindigkeit, Betonung/Akzent, Verschleifungen/Assimilationen
    Zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang noch die sog. Diphthonge, die allerdings nicht - wie der Name nahelegt - Doppelvokale sind, sondern Gleitvokale. Ein Gleitvokal kommt zustande, indem ich bei einer ersten Vokalposition - z.B. dem [ a ] - starte und in eine bestimmte Richtung - z.B. in Richtung auf das [ i ] (bzw. das [ i: ] ) oder das [ e ] (bzw. das [ e: ] ) - gleite, und das genau so weit, wie mir mein Sprechtempo Zeit gibt. Mit anderen Worten werde ich bei schnellem Sprechtempo nur z.B. bis [ e ] kommen, sodaß der unbestimmte Artikel in der folgenden Nominalgruppe nun lautet [ ae n ], nicht aber [ ai n ]. - Der Luftstrom setzt während der Gleitbewegung nicht aus.



    Im Französischen gibt es außerdem noch sogenannte Halbvokale. Auch das sind Gleitlaute; die Gleitbewegung beginnt hier aber bei einer konsonantischen Position, nämlich entweder beim [ p ] oder beim [ k ], und setzt sich dann fort beim [ p ] über das [ i ] in Richtung [ e ], beim [ k ] über das [ u ] in Richtung [ a ].

    Überhaupt spielt das Sprechtempo eine zentrale Rolle. Im Deutschen kommt hier die für das Deutsche typische Unterscheidung von dauerhaft betonten und dauerhaft unbetonten Silben hinzu: In den dauerhaft unbetonten Silben - so die Endsilben - kommt es zu Verschleifungen und einem Abbau der lautlichen Präzision - insbesondere der vokalischen 'Substanz'; Endpunkt sind (das gibt es nur in den unbetonten Silben) gewissermaßen Vokalreste, "Schwa-Laute", von denen das Deutsche zwei kennt, einen eher ' a-artigen', einen zweiten eher ' e-artig'. Die folgende Darstellung situiert diese reduzierten zwei Laute bzw. Schwa's, wobei ich hier der Einfachheit halber den ' Vokalraum' auf eine einzige Ebene verkürzt habe:




    Vielfach ist es im übrigen nicht bei einer Reduktion der Vokale der unbetonten Silben auf einen Schwa-Laut geblieben, sondern der Vokal - und damit die ganze Silbe - ist insgesamt ausgefallen. Dieser Prozeß läßt sich gerade bei schneller Sprechweise auch heute noch beobachten (dazu gleich mehr).
    In den romanischen Sprachen hängt es vom lautlichen Kontext ab, in dem eine bestimmte Silbe auftritt, ob diese Silbe betont wird. Mit anderen Worten kann sie mal betont, mal unbetont sein. Das war bis zur frühalthochdeutschen Zeit auch die Regel im Deutschen, das sich dann jedoch im wesentlichen für die ersten Silben der Wörter als dauerhaft, d.h. immer betonten Silben entschloß. Man kann daraus so manches Mal sogar ableiten, wann ein Kompositum wohl entstanden ist. So gibt es zu dem Verb 'laubjan' die Kompositumbildung (heute:) "erlauben": Ersichtlich ist diese Bildung erst nach Festlegung der Betonung entstanden, denn sonst müßte dieses Präfixverb auf der ersten Silbe betont werden. Umgekehrt ist der aus 'laubjan' abgeleitete "Urlaub" bereits vor der Festlegung der Betonung auf die erste Silbe entstanden, denn sonst müßte dieses Wort auf der zweiten Silbe betont sein.

    Das Verschleifen unbetonter Silben insbesondere bei hohem Sprechtempo und der daraus gegebenenfalls resultierende Ausfall des Vokals und der Silbe insgesamt führt zu teilweise kuriosen Aussprache-Phänomenen; man vergleiche den folgenden Überblick, bei dem von oben nach unten die Sprechgeschwindigkeit zunimmt, sodaß - beginnend mit "Leben (und leben lassen)" - schließlich "Lehm (und Lehm lassen/werfen)" herauskommt:


    In Zeile 2 bedeutet der Kringel unter dem [ n ], daß bei Ausfall des Restvokals bzw. Schwa-Lautes der Endsilbe der Nasal eine Spur stärker stimmhaft gesprochen wird.

    Und der Pfeil in Zeile 3 soll deutlich machen, daß hier nicht einmal mehr die Lippen auseinander genommen werden, - das [ n ] hat sich unter dem Einfluß des vorausgehenden [ b ] an dieses [ b ] artikulatorisch angenähert und ist zu einem [ m ] geworden (wir spechen hier auch von Assimilation, genauer von progressiver Assimilation, weil es ja das vorausgegangene [ b ] war, das den nachfolgenden Nasal beeinflußt hat.

    Und dann schließlich in Zeile 4: Hier heben wir nicht einmal mehr das Gaumensegel, sodaß es gar nicht mehr zu einem vollen Verschluß kommt (die Luft strömt weiterhin durch die Nase aus), sondern sogleich zu unserem bilabialen Nasal, dem [ m ] .
    4.2.5. Roman Jakobson und der kindliche Lautspracherwerb
    Der bereits weiter oben angesprochene Roman Jakobson war ein russischer Sprach- und Literaturwissenschaftler, der zunächst in Moskau tätig war. In den 20er Jahren zog er nach Prag (Prager Schule/Prager Strukturalismus). Als die Nazis die Tschechoslowakei annektierten, floh er nach Paris und schließlich nach Amerika. In den 50er Jahren kehrte er nach Paris zurück.
    In seinem Werk „Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze“ (1969) widmet sich Roman Jakobson primär dem kindlichen Lautspracherwerb mit dem Ziel,   allgemeine Bauprinzipien der Kindersprache aufzudecken, die sich vielleicht auch auf die Entwicklung der Volkssprachen anwenden ließen.
    Wenn wir den kindlichen Spracherwerb beobachten, so treffen wir in der Frühphase ein erstaunliches Phänomen an: In den ersten Monaten während der sogenannten „Lallphase“ produzieren Kinder sämtliche existierenden Laute, d.h. sämtliche Laute, die überhaupt mit ihren Sprechwerkzeugen produziert werden können. Plötzlich, beim Übergang zur ersten Sprachstufe, scheinen sie dann beinahe ihr ganzes Lautvermögen zu verlieren. Auf monatelange Probiererei scheint kurzfristig erstaunliche Stille zu folgen. Diese Tatsache läßt sich insofern erklären, als dass die Laute nun nicht mehr einfach produziert werden, sondern die Laute und Lautfolgen werden jetzt (zunehmend) systematisch verwendet, sie werden jetzt auch auf bestimmte Bedeutungen bezogen.
    Jakobson interessierte sich primär für diese Phase, in der Kinder beginnen, ein Lautsystem aufzubauen, und ging davon aus, dass es allgemeine Prinzipien gibt, nach denen sich das Lautsystem aller Kinder, egal welcher Sprachgemeinschaft sie angehören, organisiert.
    Er ging davon aus, dass die relative Chronologie (Reihenfolge) der nun stattfindenden systematischen Lautunterscheidungen in allen Sprachen gleich ist, auch wenn die absolute Chronologie (Zeitdauer) der einzelnen Schritte individuellen Schwankungen unterworfen ist. Dieser relative Chronologie begründet sich aus mehreren Überlegungen heraus.
    Es geht in dieser nicht mehr um Einzellaute, sondern nach Jakobson um Lautoppositionen (zu theoretischen Hintergründen vgl. die folgenden Abschnitte über Phonologie). In Opposition gestellt werden dabei die Laute, die sich am besten unterscheiden lassen Kinder orientieren sich also an maximalen Differenzen, und zwar an solchen, die sie sehen, hören und gegebenenfalls auch fühlen können.
    So lernen Kinder generell zunächst einmal einen breiten Vokal [ a ] (der Mund ist offen), den sie mit den ersten bilabialen Konsonanten [ m ] und [ p ] (der Mund ist geschlossen) kontrastierend verbinden ("Mama" oder  "Papa"). Von nun an beginnt der kontinuierliche Ausbau des Vokalismus/Konsonantismus.
    Was den Konsonantismus angeht so ist der erste Gegensatz, den Kinder machen, derjenige  zwischen einem oralen und einem nasalen (= [m ] ) Konsonanten. Schon bald wird der Konsonantismus durch eine weitere Unterscheidung ergänzt: Die beiden Labial-Laute ( [ p ] , [ m ] )  werden nun in Gegensatz zu den  Dental-Lauten [ t ]  und [ n ]  gesetzt. Diese vier Phoneme bilden den minimalen Konsonantismus.
    Der erste vokalische Gegensatz entsteht durch die Gegenüberstellung von [ a ] (breiter Vokal) und [ i ] (enger Vokal) in Äußerungen des Kleinkindes wie „Pipi“ oder „Papa“. In der weiteren Entwicklung wird das Kind eine neue Unterscheidung treffen, und zwar entweder, indem es den velaren Vokal [ u ] (vgl. Gesetz der maximalen Differenzen!) in sein System mit einbezieht oder sich des Vokales [ e ] bemächtigt, der genau in der Mitte zwischen den bekannten Lauten [ a ] und [ i ] liegt - es versucht, die Lautverteilungen auf gleichen Abstand zu bringen, was letztendlich auch zu einem maximalen Unterschied der Laute innerhalb dieses Systems führt. - Dieses System aus drei vokalischen Grundlauten bezeichnet man als minimalen Vokalismus.


    Diese Entwicklung ist allen Sprachen der Welt gemeinsam. Aber auch im weiteren lautlichen Aufbau, also den Erwerbungen, die das Minimum überschreiten, gehorcht die zeitliche Reihenfolge der neuen Erwerbungen allgemeinen Gesetzen, ganz unabhängig davon, um welche Sprache es sich dabei handelt. Zu Beginn stehen maximale Oppositionen, die sich progressiv ausdifferenzieren. Diese Tatsache ist vor allem final zu erklären. Durch eine größtmögliche Opposition zwischen allen Lauten wird nämlich eine maximale Verständlichkeit erreicht. Auch bei Erwachsenen werden somit neu erlernte Laute (zum Beispiel aus einer Fremdsprache) equidistant zwischen ihnen bekannten Phonemen angeordnet.


    Wenn das Kind sein Lautsystem konstruiert, erlernt es relevante Lautunterscheidungen; d.h. es erlernt diejenigen Lautunterscheidungen oder Lautoppositionen, die mit einer Bedeutungsunterscheidung korrelieren.

    Ende des korrigierten ersten Teils

    Von der Phonetik zur Phonologie...

     

     Bisher hatten wir uns im Rahmen der Phonetik mit der materiellen Seite der Laute (also deren Produktion, Verbreitung im Raum und Perzeption) befasst. Schon bei dem Exkurs über den Lautspracherwerb bei Jakobson wird jedoch klar, dass diese Laute auch aus einer funktionalen Perspektive betrachtet werden müssen: Laute werden produziert um Bedeutung zu vermitteln ! Mit der Frage wie mit Hilfe von Lauten Bedeutung vermittelt wird befasst sich die Phonologie.

    Erinnern wir uns: Auch wenn ein Kind in der Lallphase spontan eine Vielzahl von Lauten produziert, so wird mit Hilfe dieser Laute noch keine Bedeutung vermittelt. Lautketten gewinnen erst an Bedeutung, wenn die verwendeten Laute in Opposition zu anderen Lauten des selben Sprachsystems stehen.  Eine solche Opposition erkennt man, wenn durch das Austauschen zweier Laute eine andere Bedeutung entsteht. Konkret gesagt: Es muss eine Opposition zwischem dem Laut k und dem Laut t bestehen, denn wenn ich bei dem Wort „Katze“ den Laut k durch den Laut t ersetze (Tatze) entsteht eine vollkommen andere Bedeutung. Genau dieser Sachverhalt wird in der Phonologie mit Hilfe entsprechender Fachtermini erklärt:

    Ein Phon ist also ein nicht weiter klassifizierter Laut, eine Lautbildung, die noch nicht nach Funktionalität unterschieden ist. Von Phonen spricht man so lange es nur um die Segmentierung einer Lautkette geht. Es werden rein materiell unterschiedliche Laute voneinander getrennt.

    Ein Phonem hingegen ist ein klassifizierter Laut, d. h. es wurde mit Hilfe eines Minimalpaares (wie zum Beispiel Katze-Tatze) festgestellt, daß in einer Kette von Lauten (...einem Wort...) ein Bedeutungsunterschied entsteht, wenn man diesen einen Laut durch einen anderen ersetzt. Hier handelt es sich um eine funktionale Betrachtung von Sprache (Frage: Tritt eine Bedeutungsänderung ein, wenn ich in einem Wort an einer Stelle einen Laut durch einen anderen ersetze?). So gesehen ist ein Phonem die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer  Sprache.

    Nicht alle sich unterscheidenden Laute sind jedoch bedeutungsunterscheidend. Das wäre auch nicht praktikabel, denn jeder Sprecher produziert einen bestimmten Laut etwas anders als ein anderer- ja, sogar wenn ein und derselbe Sprecher denselben Laut produziert, klingt das nicht haargenau identisch. Ein Phonem ist also ein abstraktes Konstrukt, dass eine gewisse Varianz zuläßt- solange nicht eine Grenze überschritten ist, die zu einer Bedeutungsänderung führt. Bei diesen Varianten eines Phonems spricht man von Allophonen.

    Allophone lassen sich in kombinatorische und frei wählbare Varianten unterscheiden.

    Bei kombinatorischen Allophonen wird die Ausformung der Variante durch eine Regel bestimmt. Das heißt: in einem bestimmten lautlichen Kontext muss immer eine bestimmte Variante gewählt werden. So gibt es offenbar für (manche) Allophone – wie z. B. aspirieretes vs. nicht aspiriertes /k/ - feststehende Regeln, wann sie verwendet werden: das eine vor Vokalen, das andere vor Konsonanten. D. h. wo das eine Allophon steht, darf korrekterweise das andere nicht stehen und umgekehrt – das nennt man komplementäre Distribution oder komplementäre Verteilung.

    Es gibt aber auch Allophone, für die es keine Regeln gibt, wann welches Allophon steht. Ein Beispiel hierfür wären die Allophone des /r /-Phonems: Ob ich "Recht", "Rübe", "Rhabarber" etc. mit frikatives Rachen-R, [r ] (rollendes Zäpfchen-R) oder [R ] (Zungenspitzen-R) spreche ist völlig egal und folgt auch keiner Ausspracheregel (es verrät allenfalls etwas über die Herkunft des Sprechers – Zungenspitzen-R wird v. a. im bayerischen Dialektraum gesprochen). Solche Allophone nennt man frei wählbare Allophone.

     

    ...und Morphologie

    Die Begriffe der Phonologie finden ihre direkte Entsprechung in der Morphologie:

    Dem Phon entspricht das Morph,

    " Phonem " Morphem,

    " Allophon " Allomorph.

    So wie sich die Phonologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der einzelnen Sprachlaute (Phoneme) beschäftigt, so beschäftigt sich die Morphologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der nächstgrößeren Einheit, den Morphemen.

    Demnach ist ein Morph eine noch nicht weiter klassifizierte Lautfolge.

    Ein Morphem ist eine nach ihrer funktionalen Bedeutung klassifizierte bedeutungstragende Lautfolge, ein (Bestandteil eines) Wort(es), das genau einen Inhalt, eine Bedeutung transportiert. Es kann keine weitere Segmentierung stattfinden, ohne dass die Bedeutung zerstört wird. Ein Morphem ist also die kleinste bedeutungstragende Einheit einer Sprache und somit nach dem DeSaussur´schen Modell das kleinste sprachliche Zeichen.

    Jedes Wort besteht also aus einem oder mehreren Morphemen:

     

    "Auto|s" besteht aus zwei Morphemen:

    1.      Auto-: "motorgetriebenes, vierrädriges Fahrzeug"

    2.      2. –s: "Plural; mehr als eines"

     

    "Boot|e" besteht auch aus zwei Morphemen:  

    1. Boot-: "kleines Wasserfahrzeug" o. ä.

    2. –e: "Plural; mehr als eines"

     

    "lach|-|st" besteht aus drei Morphemen:

    1. lach-: "Lautäußerung, die Heiterkeit ausdrückt"o.ä.

    2. – ø-: sog. Nullmorphem: "Tempus: Präsens"

    3. –st: "Numerus: 2. Pers. Singular"

    "lach|t|est" besteht auch aus drei Morphemen: 1. lach-: wie oben

    2. –t-: "Tempus: Präteritum"

    3. –est: "Numerus: 2. Pers. Singular"

    Bei Allomorphen handelt es sich um phänomenologisch verschiedene Lautfolgen (also aus jeweils anderen Lauten bestehend), die aber die gleiche Funktion, also die gleiche Bedeutung haben, und deshalb zu ein und dem selben Morphem gehören. So sind alle Morpheme, die die Bedeutung "Plural" transportieren ( Kind-er, Katz-en, Auto -s, Hai -e) Allomorphe des Plural-Morphems.

    Wie es bei den Phonemen die kombinatorischen Allophone gibt, so gibt es entsprechend bei den Morphemen die kombinatorischen Allomorphe. Diese Variationen sind durch den lautlichen oder grammatischen Kontext determiniert. Beispiele hierfür sind die beiden Allomorphe –s ("Auto/s") und –e ("Boot/e") des Plural-Morphems sowie die beiden Allomorphe –st ("lach/st") und –est ("lach/t/est") des 2.Pers.Sing.-Morphems aus dem obigen Beispiel: Auch wenn sie jeweils das selbe bedeuten, kann ich sie selbstverständlich nicht beliebig verwenden; welches ich verwenden muß, hängt wiederum davon ab, in welcher Umgebung es steht, konkret: welchem lexikalischen Morphem (s. u.) es die Bedeutung "Plural" anfügen soll – "Autoe" ist eindeutig falsch, auch wenn –e im Prinzip das selbe bedeutet wie –s. Ob ich als 2.Pers.Sing.-Morphem –st oder –est verwende, hängt mit der lautlichen Umgebung zusammen: "normalerweise" verwende ich –st; wenn aber dieses apiko-alveolare Lautcluster auf ein Morphem folgen würde, dessen Schlußlaut am selben Artikulationsort gebildet wird (wie z. B. das Präteritum-Morphem –t) und eine gewisse Unterscheidungsdeutlichkeit nicht mehr gegeben wäre, dann muß ich statt dessen –est wählen.

    Auch die kombinatorischen Allomorphe sind also komplementär verteilt: "Wo das eine stehen muß, darf das andere nicht stehen" und umgekehrt: ich sage weder "lach|t|st" noch "lach|( |est" (außer wenn ich mich betont "geschwollen" ausdrücken will...).

    Es gibt auch (wenn auch nur sehr, sehr wenige) frei wählbare Allomorphe. "Tür" und "Türe" wären Beispiele hierfür: Ganz egal wo, wie, in welchem Zusammenhang – die Varianten sind immer beide möglich und richtig, und es bleibt meinem Geschmack überlassen, wofür ich mich entscheide.

    Während Allomorphe sich dadurch auszeichnen, dass unterschiedliche Lautseiten den gleichen Inhalt repräsentieren, gibt es auch das entgegengesetzte Phänomen. Homonyme Morphe lauten gleich, erfüllen aber unterschiedliche Funktionen. Ein Beispiel hierfür wäre die Endung –en, die zum einen den Plural bei bestimmten Substantiven ausdrücken kann (Frau-Frauen), zum anderen aber auch im Verb als Endung des Infinitifs (gehen) und der 3. Person Plural (wir gehen) auftreten kann. Grade bei grammatischen Morphemen (s.u.) sind diese Doppeldeutigkeiten recht häufig.

    Auch bei den Morphemen gibt es Sonderfälle:

    Unikale Morpheme sind Morpheme, die im Wortschatz nur in einer einzigen Kombination auftreten und somit außerhalb dieser Kombination keine Bedeutung haben. Beliebte Beispiele sind die Him- und die Brom-beere.

    Gerade im Französischen gibt es auch noch diskontinuierliche Morpheme und Amalgame/Portemanteau-Morpheme. Bei diskontinuierlichen Morphemen ist bei einer Inhaltsseite die zugehörige Ausdrucksseite in zwei Teile auseinandergezogen – wie bei den Verneinungspartikeln ne...pas, ne...plus, usw. Im Gegensatz dazu sind bei einem Amalgam zwei Inhaltsseiten in eine Ausdrucksseite zusammengeschmolzen. Aus der Verbindung zwischen Genitiv „de“ und dem bestimmten Artikel (maskulinum, Singular) „le“ wird die Form „du“.

     Die Funktion welche ein Morphem im Satz erfüllt, läßt sich nach zwei Kriterien definieren:

    -         grammatisch vs. lexikalisch

    -         frei vs. gebunden

    Lexikalischen Morpheme sind  Morpheme die ein Concept benennen; also Ausdrücke mit eigener Sinnbedeutung. Vereinfachend gesagt beziehen sich auf die Dinge der Umwelt;  sie sind gewissermaßen die Namen der Gegenstände.  Lexikalische Morpheme sind Morpheme wie Türe-, Boot-, lach-, ängst- (von "ängst|lich", "ängst|igen"...) kauf-, schnell- ... Die Klasse der lexikalischen Morpheme ist offen, d. h. sie ist im Prinzip jederzeit und beliebig erweiterbar. So sind in den letzten Jahren lexikalische Morpheme wie "e-mail-", "blade-" , usw. entstanden.

    Bei grammatischen Morpheme handelt es sich um um allgemeine, häufige Einheiten, die syntaktischen Beziehungen zwischen lexikalischen Morphemen regeln. Die meisten grammatischen Morpheme drücken bestimmte grammatische Relationen wie Tempus, Numerus und Genus bei den Verben oder Kasus bei den Substantiva aus in Form von Affixen aus (Präfix, Infix, Suffix). Beispiele hierfür sind Affixe wie: -e, -s, ... für Plural, -t- für Präteritum, -st, -est für 2.Person Singular,... Aber auch Artikel (wie z. B. "der", "ein", "des“ ) und teilweise auch Pronomina werden den grammatischen Morphemen zugeordnet. Die grammatischen Morpheme sind eine zumindest recht eng geschlossene Klasse; das heißt, dass nur sehr selten ein neues grammatisches Morphem zu den schon existierenden hinzukommt.

    Die Zuordnung als lexikalisches oder grammatisches Morphem ist in einigen Fällen umstritten, da es viele Grenzfälle gibt. Zum Beispiel kann „wir“ sowohl als lexikalisches (Beispiel: Wer ist da? Wir!) als auch als grammatisches Morphem (Wir gehen) eingestuft werden. 

    Die Unterscheidung zwischen freien und gebundenen Morphemen ist weniger umstritten. Ein freies Morphem ist ein Morphem wie „Tisch“ oder „Bein“, das alleine stehen kann. Gebundene Morpheme können hingegen nicht alleine stehen und sind davon abhängig mit einem freien Morphem verbunden zu sein. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Him-beere.

     

    Die zweifache Gegliedertheit der Sprache nach A. Martinet

    André Martinet, ein Strukturalist der Pariser Schule, erkannte eine herausragende Eigenschaft der natürlichen Sprachen - nämlich ihre zweifache Gegliedertheit („double articulation“):  Sie sind erstaunlich ökonomisch, weil sie sich auf zwei Ebenen organisieren. Dies gilt jedoch nur für Sprachen, die sich einer Buchstabenschrift bedienen! In diesen sogenannten Alphabethschriften wird ein Phonem meist auch durch einen Buchstaben, ein Graphem, repräsentiert.

    Auf der kleinsten Ebene, der der Phoneme, bestehen diese Sprachen aus Einheiten, die selbst keine Bedeutung haben, aber bedeutungsunterscheidend sind. Das aus diesen kleinsten Einheiten bestehende Phoneminventar, welches alle in einer Sprache produzierten Phoneme beinhaltet, ist extrem begrenzt und besteht aus 25-35 Elementen.

    Durch Kombination dieser kleinsten Einheiten entstehen nächstgrößere Einheiten: die Morpheme. Durch unterschiedliche Kombination der Phoneme entstehen schier unendlich viele Morpheme, und somit auch Wörter. Begrenzt ist diese scheinbare Unendlichkeit nur durch Silbenbildungsregeln, die bestimmte Phonemkombinationen unterbinden. Im Durchschnitt beherrschen wir ca. 10.000 Morpheme (die sich aus nicht mehr als 25-35 Phonemen aufbauen!).

    Ein vollkommen anderes Bild ergibt sich bei den Bildschriftsystemen (logographische Systeme). Im Chinesischen zum Beispiel wird jedes Morphem durch ein entsprechendes Bildschriftzeichen dargestellt. Einige Zeichen sind ikonisch (abbildend), teilweise werden sie  auch nach dem Kompositionsprinzip gebildet: So bedeutet ein Schriftzeichen, welches einen Baum darstellt „Baum“. Besteht das Schriftzeichen jedoch aus mehreren Bäumen, so handelt es sich logischerweise um das Zeichen für „Wald“. Trotzdem, wenn man sich vor Augen führt, dass – um 10.000 Morpheme zu beherrschen- 10.000 Bildschriftzeichen erlernt werden müssen, so ist es offensichtlicht, dass Buchstabensysteme um einiges ökonomischer sind – also einen viel geringeren Lernaufwand mit sich ziehen. Diese Tatsache zeigt sich zum Beispiel daran, dass ein deutsches Kind gerade einmal 1-2 Jahre braucht um die Alphabethschrift zu erlernen. Ein chinesiches Kind hingegen braucht viele Jahre um mit der Bildschrift ausreichend vertraut zu sein. So ist ein chinesischer Schüler erst ungefähr zum Zeitraum des Abiturs dazu fähig eine Tageszeitung zu lesen. Der Lernprozess ist jedoch nie abgeschlossen.

     

    bedeutungsunterscheidend 

    Bedeutungstragend

    ~ 30 Phoneme;

    dem entsprechen

    ~ 30 Grapheme (Buchstaben) in den Alphabetschriftsystemen

    ~ 10.000 Morpheme;

    dem entsprechen

    ~ 10.000 Grapheme in den Bildschriftsystemen. 

     

    Unsere Alphabetschrift geht ursprünglich auf die Phönikier zurück; die Römer übernahmen deren Schriftsystem und änderten es bis (annähernd) zur heutigen Form ab.

    Syntax

    Wie wir eben gesehen haben, setzen sich Alphabetsprachen funktionell aus Graphemen und Morphemen zusammen. Morpheme sind dabei die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache. Liegt da nicht der Schluss nahe, dass die Bedeutung eines Satzes aus der Summe dieser Einheiten besteht?

    Das hieße also: A (Morphem a)  + B (Morphem b)  +  ...             = X (Bedeutung von Satz x)

    Somit wäre die Gesamtbedeutung eines Satzes gleich der Summe der Teilbedeutungen – und zwar unabhängig von deren Reihenfolge (denn A + B ist ja bekanntlicherweise das selbe wie B + A).                   

    Dies enspricht jedoch nicht der Realität :

    Wie liessen sich denn dann Audrücke wie « Kindergarten » erklären ? Ist ein Kindergarten ein Garten der aus Kindern besteht ? Es ist noch nicht einmal ein Garten, in den Kinder gehen, sondern eine Institution bei der man seine Kinder zu bestimmten Zeiten beaufsichtigen lassen kann. Hier handelt es sich also um eine Bedeutungsübertragung : Ein Kindergarten heisst vermutlich Kindergarten, weil a) viele Kinder dort hingebracht werden und diese Kinder dort (zumindest in den meisten Kindergärten) auch manchmal gemeinsam draußen (also in einer Art Garten) spielen können.

    Neben der Bedeutung, die die einzelnen Segmente einnehmen, trägt auch die Ordnung der Segmente zur Gesamtbedeutung bei. Als Suprasegmentalia bezeichnet man inhaltsentscheidungsrelevante Merkmale einer sprachlichen Äußerung, die nicht segmentierbar, nicht aus dem linearen Redefluss als Teile herauslösbar sind (wie das die Phoneme und Morpheme waren. Solche Suprasegementalia sind Intonation, Akzent und Reihenfolge.

    An der Intonation erkennen wir ob es sich bei dem Satz « Klaus kommt » um eine Aussage oder um eine Frage handelt.

    Die Aktzentuierung einer bestimmten Silbe unterscheidet zwischen Wörtern wie « umfahren » und « umfahren ».

    Was die Reihenfolge angeht so ist ein Faß/bier etwas vollkommen anderes als ein Bier/faß. Der Satz « Klaus kommt. » ist ein Aussagesatz, während « Kommt Klaus. » bei entsprechender Intonation eine Frage ist. Besonders eklatant zeigt sich die Bedeutung der Reihenfolge bei den Zahlwörtern (102 ± 201). Im Falle der Zahlwörter gilt offenbar: wenn das kleinere Zahlwort (z. B. /zwei/) vor dem größeren Zahlwort (z. B. /hundert/) steht, bedeutet dies "Multiplikation!" (201 = 2 x 100 + 1). Steht das größere Zahlwort vor dem kleineren Zahlwort steht, bedeutet das "Addition!" (102 = 100 + 2).

    Gerade diese Abfolgemuster sind häufig schwer erkenntlich. Auf den ersten Blick liesse es sich zum Beispiel vermuten, dass ein Aussagesatz in der 1. Subjekt und 2. Verb ausdrückt, wie in „Klaus sagt“. So einfach ist das jedoch nicht, denn was wird dann aus den Aussagesätzen: „Gestern kam Klaus zu mir“ (das Verb steht vor dem Subjekt). Und wie läßt es sich erklären, dass es Fragesätze mit derselben Struktur gibt (Bsp. „Doch kam er wirklich?“).

    Auf diese Fragen kann uns das nächste Kapitel Antworten liefern.

     

    Taxonomischer Strukturalismus und IC-Analyse

    Der Strukturalismus hat eine Methodik entwickelt, mit der solche Strukturen sichtbar und nachvollziehbar gemacht werden sollen. Der sogenannte taxonomische Strukturalismus hat seinen Ursprung in der Erforschung der nordamerikanischen Indianersprachen, die in den 1920er Jahren vor allem durch Bloomfield u.a. durchgeführt wurden. Man versuchte durch die Sammlung von sprachlichen Äußerungen (Corpus) und deren Analyse auf das System einer unbekannten Sprache zu schliessen, um dieses letztendlich objektiv beschreiben zu können (Deskriptivismus); das heißt ein Phonem- und Morpheminventar sowie die Verknüpfungsregeln der Elemente untereinander zu ermitteln.  Grundsätzlich bediente man sich der Hilfe eines „native Speaker“ (Muttersprachler) um festzustellen, ob und wie sich der Inhalt im Rahmen der folgenden Analyseschritte veränderte. Diese Methodik wird auch heute noch angewendet:

    Im ersten Schritt wird er sogenannte Selektionstest durchgeführt: Hier wird der Satz auf seine Minimalform, den Kernsatz reduziert. Das geschieht indem man versucht so viele Elemente  wie möglich wegzulassen -  und dass, ohne dass der Satz grammatisch falsch wird. Bei dem Satz „Der alte Mann lachte sich ins Fäustchen:“ können wir zum Beispiel „alte“ und „ins Fäustchen“ weglassen, ohne dass der Satz an Grammatikalität verliert. Schauen wir uns nun den Kernsatz „Der Mann lacht“ genauer an. Im vorhergehenden Abschnitt war die Frage aufgekommen, wie es sich denn nun ermitteln ließe, ob es sich bei einem bestimmten Satz um einen Frage- oder um einen Aussagesatz handelt. Reduziert man den entsprechenden Satz auf seinen Kernsatz (ohne die Reihenfolge der Elemente zu verändern), so läßt sich hier eine Antwort bieten: Steht das finite (konjugierte) Verb im Kernsatz an erster Stelle, so handelt es sich um einen Fragesatz (Lachte der Mann). Im Aussagesatz hingegen steht das konjugierte Verb an zweiter Stelle (Der Mann lachte).

    In einem zweiten Schritt wird der sogenannte Substitutions- bzw. Kommutationstest durchgeführt. Hier wird untersucht welche Elemente durch andere ersetzt werden können.

    Als Vorüberlegung für diesen Schritt werden wird zunächst einmal die Strukturierung eines Beispielsatzes wie « Der alte Mann lachte... » genauer betrachten. Er läßt sich nämlich auf zwei Ebenen untersuchen: der syntagmatischen und der paradigmatischen Ebene.

     

     

     

     

    Die syntagmatische Ordnung betrachtet das Hintereinander von Elementen. Zwischen den Elementen bestehen Abhängigkeitsbeziehungen, sogenannte syntagmatische Beziehungen. In diesem Fall dominiert zum Beispiel das Wort « Mann » als Subjekt des Satzes die restlichen Elemente. Mann  ist ein maskulines Substantiv im Nominativ Singular und zieht somit den Artikel « der » in seiner Form des Nomitiv Singular mit sich. Ähnliches gilt für das Verb : Im Deutschen besteht eine Kongruenz zwischen Subjekt und Verb. Das bedeutet, dass sich das Verb in Person, Numerus und Genus an das Subjekt anpassen muss (in diesem Falle 3. Person Singular Maskulinum).

    Paradigmatische Beziehungen hingegen, betrachten das Verhältnis der Austauschbarkeit. Ich kann auf der paradigmatischen Ebene Elemente gegen andere austauschen, ohne dass der Satz an Grammatikalität verliert. Statt « Der alte Mann lachte » könnte ich genauso einen Satz produzieren wie « Er lachte » oder « Der Nachbar lachte », solange ich nicht gegen syntagmatische Regeln der Kongruenz oder Rektion (zwischen Adjektiv und Nomen) verstoße.

    Durch Nutzung dieser paradigmatischen Ersetzungsmöglichkeiten kann ich einerseits die Existenz der schon im Selektionstest erkannten Strukturmuster (Verb an 2. Stelle = Aussagesatz) mit einer Vielzahl von Beispielen bestätigen. Andererseits kann ich durch Substitution herausfinden, welche Elemente an einer bestimmten Stelle des Satze eine ähnliche Aufgabe erfüllen können (Er = Der alte Mann).

    Der dritte Analyseschritt ist der sogenannte Permutationstest. Aus den vorliegenden Elementen eines Satzes werden möglichst viele grammatikalisch korrekte Sätze gebildet. In diesem Falle wäre das zum Beispiel :

    Der alte Mann lachte zu laut.

    Zu laut lachte sich der alte Mann.

    Lachte der alte Mann zu laut.

    Nicht grammatikalisch korrekt hingegen wären Satze wie :

    Zu der Mann alte lachte laut.

    Betrachten wir die grammatikalisch korrekten Sätze genauer, so stellen wir fest, dass bestimmte Segmente stets zusammen bleiben. Unser Blick zentriert sich nun primär auf diese Großgruppen, die dann in kleinere Segmente zerlegt werden können.

     

     

     

     

    Ein anderes Beispiel :

     

    Er / schenkt ihr rote Rosen.

    NP      VP

    Nom.    Prädikat des Satzes

     

    Bei den Begriffen Nominalphrase und Verbalphrase handelt es sich um relativierte Begriffe, die sich auf die funktionalen Beziehungen im Satz beziehen. Nominalphrasen können je nach Satzzusammenhang eine unterschiedliche Funktion haben. Die erste Nominalgruppe des Satzes jedoch, steht immer im Bezug zum Satz. Sie ist das Subjekt des Satzes.

     

    Er schenkt ihr rote Rosen.

     

    1.      Selektionstest : Er schenkt ihr rote Rosen.

    2.      Permutationstest :

     

     

     

     

    3.      Substitutionsprobe :

    Er      schenkt ihr rote Rosen.

    Du     schläfst.

     

    Der Gesammtsatz besteht also nur aus zwei « Suppentöpfen », nämlich einer Nominalphrase und einer Verbalphrase.

    Das entsprechende Baumdiagramm sieht also folgendermaßen aus :

     

     

     

    Die Stammbaumtheorie ist Teil der mathematischen Graphentheorie. Ausgangspunkt der gerichteten Kanten ist stets eine Quelle bzw. ein Knoten.

     

     

     

     

    Kanten reproduzieren ein logisches Verhältnis : sie sind Teil einer Ganzheit. Das kann man sich mit folgendem Schema klarmachen :

     

     

     

     

     

    Betrachtet man den Stammbaum von unten nach oben, so handelt es sich um Teilganzesbeziehungen, da die unteren Kanten stets ein Teil des oberen Knotens sind. Der untere Knoten ist jedoch wieder nur ein Teil des oberen Knotens...Die oberste Ganzheit ist der Satz insgesammt. Im Falle des letzten Beispiels ist die Verbalphrase unmittelbar zerlegbar in Verb und die beiden Nominalphrasen. Die zweite Nominalphrase ist wiederun unmittelbar unterteilbar in „rote“ und „Rosen“.

    Das angewendete Prinzip ist also folgendes: Man zerlegt die Ausgangseinheit in unmittelbare Teile, erfaßt aber dann die Teile als relative Ganzheit, die wiederum in relative Teile zerfällt. Man setzt diese Zerlegung solange fort bis man zu den elementaren Teilen, den Morphemen gelangt. Diese schrittweise Analyse einer Ganzheit in unmittelbare Konstituenten (immediate constituents) bezeichnen wir als IC-Analyse bzw. Konstituentenanalyse.

     

    Kurz zusammengefaßt gehen wir folgendermaßen vor :

    Zuerst wird eine Teil-Ganzes-Analyse durchgeführt ; d.h. wir zerlegen die Ganzheit – den Satz – in Teile. 

    Dann stellen wir uns die Frage ob es Teil-Teil-Beziehungen gibt. Ist das der Fall, so zerlegen wir die Teileinheiten in immer kleinere Einheiten, bis wir schließlich auf der Ebene der Morpheme angekommen sind.

    Zu beachten ist die Tatsache, dass innerhalbe einer Nominalgruppe eine morphologische Kongruenz gewahrt sein muss ; d.h. die Teile dieser Gruppe müssen übereinstimmen in Kasus, Numerus und Genus. Es bestehen also auch in der Nominalphrase Teil-Teil-Beziehungen. Ähnliches gilt zwischen der Subjekt-Nominalgruppe und dem konjugierten Verb: Auch zwischen ihnen besteht eine morphologische Kongruenz – und zwar in Person und Numerus.

    Zum Deletionstest läßt sich noch erwähnen, dass bestimmte Elemente von anderen abhängig (dependent) sind. Zum Beispiel war im vorherigen Beispiel „rote“ von „Rosen“ abhängig. Auch hier handelt es sich somit um Teil-Teil-Beziehungen. Läßt man „rote“ weg, so bleibt der Satzzusammenhang erhalten – „rote“ ist lediglich eine Ergänzung zu „Rosen“. Ließe man jedoch „Rosen“ weg, so würde dem Satz etwas fehlen. Die Bezeihung zwischen diesen Elementen ist also einseitig.

     

    Der Begriff der Dependenz ist besonders wichtig für eine Gruppe der Linguisten, auf die wir im nächsten Kapitel eingehen werden. Hier werden wir auch einen weiteren Typus von Teil-Teil-Beziehungen kennenlernen.

     

     

    Die Dependenzgrammatik nach Tesnière

     

     

     

     

    Die Dependenzgrammatiker gehen davon aus, dass Sätze hierarchische Gebilde sind. Die wichtigste, unabdingbare Konstituente ist dabei das Verb, weil es den Vorgang („procès“) ausdrückt. Von ihm hängen alle anderen Konstituenten mittelbar oder unmittelbar ab.

    Dies lässt sich an einer naturwissenschaftlichen Tatsache erläutern: Betrachten wir die chemische Formel für Wasser (H2O), so erkennen wir, dass sich ein Wassermolekül aus zwei Wasserstoffatomen (H) und einem Sauerstoffatom (O) zusammensetzt. Dies kommt zustande, weil Sauerstoff über zwei ungedeckte Bindungsstellen verfügt. Diese Leerstellen werden durch die zwei Wasserstoffatome gedeckt. Stabil ist die Verbindung Wasser nur, wenn eine solche Deckung an beiden Leerstellen des Sauerstoffatoms stattgefunden hat. Logischerweise stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welches Element des Moleküls bindet und welches gebunden ist. Im Falle von Wasser sieht die Bindungssituation folgendermaßen aus: H è O ç H

    Wenn wir zu dieser naturwissenschaftlichen Begebenheit Parallelen ziehen können wir den Satz „Klaus schlägt Peter“ auch folgendermaßen darstellen:

     

    Klaus è schlägt ç Peter

     

    Klaus und Peter wären also in diesem Falle die Elemente, die die Leerstellen des Verbes schlägt besetzen.

     

    Die Fähigkeit des Verbes andere Elemente zu binden wird als Valenz bezeichnet. Diese Valenz stellt eine weitere Teil-Teil-Beziehung dar, nämlich eine Beziehung zwischen dem Verb und den anderen Elementen des Satzes.

    Je nach ihrer Beschaffenheit können Verben unterschiedlich viele Elemente ( 0-3) binden. Bei dieser Eigenschaft spricht man von Wertigkeit. Das Verb „schlagen“ ist zum Beipiel im oberen Falle zweiwertig, weil es bei der Satzbildung zwei „Leerstellen“ um sich eröffnet. Und zwar eine für den Handelnden bzw. „Agens“ – das wäre hier Klaus- und dem Betroffenen bzw. Patiens – in diesem Falle Peter.

    Solche vom konjugierten Verb im Satz gebundenen Elemente werden als Aktanten bezeichnet. Es handelt sich bei um Lebewesen oder Dinge, die in irgendeiner Weise an der Handlung beteiligt sind und rein morphologisch durch –Substantive und ihre Vertreter (Pronomina) dargestellt werden. Tesnière bezeichnet die Nominativaktanten (Subjekt) als Erstaktanten, den Akkusativ als Zweitaktanten, den Dativ als Drittaktanten und den Genitiv als Viertaktanten. Von Aktanten und Zirkumstanten abhängig, also dem Verb indirekt subordiniert finden sich die Indices. Bei diesen Indices handelt es sich um die Artikel der substantivischen Aktanten und die adjektivischen Pronomina (Possessiv- und Demonstrativpronomina). Auch Adjektive sind dem Verb indirekt subordiniert und solchen Adverbien, dies sich nur auf sie (und nicht auf den ganzen Satz) beziehen untergeordnet.

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    Bei Ausdrücken wie “Es regnet“ wird das Verb als 0-wertig oder avalent bezeichnet.“Es“ ist kein Aktant, denn es kann kein Paradigma bilden. Wir können diesen feststehenden Ausdruck nicht im Rahmen des Substitutionstest verändern: „Sie“ oder „Das kleine Kind regnet“ gibt es nicht. Ganz anders sieht das bei dem einwertig gebrauchten Verb „schreien“ aus: „Es schreit“ kann ohne Probleme ersetzt werden durch „Das kleine Kind schreit.“

    Ähnlich wie in der Chemie, sind auch sprachlich nicht alle Verbindungen stabil. Betrachten wir die Valenz des Verbes   „jemandem etwas spenden“.  Entsprechend der Struktur des Verbes kann man sagen:“Ich spende dem Fußballverein 20 Fußbälle“. Es jedoch auch möglich auf einen Aktanten zu verzichten und Sätze zu produzieren wie: „Ich spende 200 DM“. Wir erkennen an diesem Beispiel, dass es Aktanten gibt, die immer stehen müssen (etwas spenden). Diese bezeichnet man als obligatorische Aktanten. Andere Aktanten müssen nicht zwangsläufig auftreten (jemandem etwas spenden), sie sind fakultativ.

     Ein Satz besteht jedoch nicht nur aus einem Verb und seinen Aktanten. Frei wählbare Elemente, die nicht vom Verb gebunden sind, die Zirkumstanten (Umstandsangaben), können ebenfalls hinzugestellt werden. Solche Zirkumstanten stehen in der Satzhierarchie auf der selben Stufe wie die Aktanten und werden morphologisch durch Adverbien und adverbiale Ausdrücke ausgedrückt. Betrachten wir den Satz „ Vor zwei Jahren habe ich dem roten Kreuz Geld gespendet.“ Woran erkennen wir jetzt, dass sich im Falle von „Vor zwei Jahren“ um eine Zirkumstante und nicht um einen fakultativen Aktanten handelt? Der Deletionstest ist hier nicht präzise genug, denn mit dieser Methode fallen sowohl Zirkumstanten, als auch fakultative Aktanten weg. Man muss sich also folgende Frage stellen: Ist das zu klassifizierende Element des Satzes durch die Bedeutung des konjugierten Verbs und somit eine entsprechende Leerstelle vorgesehen? Ist das nicht der Fall, so handelt es sich in diesem Fall um eine Zirkumstante.

    Die Zuordnung einer Wertigkeit zu einem bestimmten Verb war eine sehr starke Vereinfachung. Tatsächlich sind nämlich viele Verben mehrdeutig, sie haben verschiedene Lesearten. Das Verb „schreien“ in den Sätzen “Ich schreie“ und „Ich schreie ihn an“  unterscheiden sich nicht nur in ihrer Wertigkeit, sie haben auch eine andere Bedeutung. Am Beispiel „glauben“ kann man sich diese Tatsache gut klarmachen: Dieses Verb tritt in drei Lesearten auf und zwar in den Konstruktionen „glauben, dass“ (vermuten), „ jemandem etwas glauben“ (für wahr halten) und „an etwas glauben“ (vertrauen). Die Lesearten bestimmter Verben ist nicht in allen Sprachen gleich. Im Französischen zum Beispiel kann man nicht „jemandem etwas glauben“ – man glaubt entweder „etwas“ oder man glaubt „jemandem“.

    Analysieren wir einen Satz nach der Valenzgrammatik, so wird uns nicht nur die Wertigkeit eines Verbs geliefert. Mit der Valenz des Verbs wird das morphologische Aussehen des Satzes, also die ganze Satzstruktur, mitgeliefert. Haben wir „ich glaube, dass“ als die zutreffende Leseart des Verbs „glauben“ ermittelt (glauben, dass – vermuten), so bleibt uns nichts anderes übrig als dem Verb einen mit „dass“ eingeleiteten Nebensatz („Ich glaube, dass er bald kommt.“) oder einen uneingeleiteten Nebensatz („Ich glaube er kommt bald.“) anzuhängen. Genauso gilt das natürlich auch für die Leseart „ich glaube an“ (vertrauen). Auf die Präposition „an“ muss zwangsläufig eine Nominalgruppe im Akkusativ Singular folgen („Ich glaube an das Gute im Menschen.“). Bei einer Nominalgruppe, die von einer Präposition eingeleitet wird sprechen wir von einer Präpositionalgruppe. Präpositionen dienen als Bindeglied beim syntaktischen Zusammenfügen einzelner Wörter (Substantiv mit Substantiven, Verben, Adjektiven) zu Wortgruppen und kennzeichnen dabei das Verhältnis der Syntagmakonstituenten zueinander (z.B. lokal, temporal, modal, kausal,...). Das auftreten einer bestimmten Präposition verlangt einen entsprechenden Kasus (Rektion).

    Die Valenzgrammatik hat aber auch semantische Restriktionen mit eingearbeitet. So findet sich zum Eintrag „glauben“ in einer Valenzgrammatik immer die Einschränkung „+hum“, was bedeutet, dass „glauben“ eine rein menschliche Eigenschaft ist. Ein Hund kann nicht glauben – und so darf Hund auch nicht als Agens auftauchen. Im Falle von „glauben“ an müssten der 1. und der 2. Aktant menschlich sein. Gerade in diesem Fälle deckt die Valenzgrammatik jedoch nicht alle Möglichkeiten ab.

    Durch hochkonventionalisierte,eingearbeitete Metaphorik werden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen. „Ich glaube an die Vorboten des Frühlings“ ist gewöhnliche Alltagsmetaphorik. In diesem Falle glaubt man nicht an die Vorboten des Frühlings, sondern an die Fähigkeit dieser Vorboten, die Frühling einzuläuten. Und in „Ich glaube an die Verwaltung“ finden wir eine Personifizierung vor: eine Institution steht für eine Gruppe von Personen.

    Als zweiter Kritikpunkt der Dependenzgrammatik drängt sich die Frage auf, ob es im Falle von „ Ich glaube, dass das nicht stimmt.“ tatsächlich eine Dependenzbeziehung zwischen dem Aktanten und dem Verb gibt. Wenn der Aktant vom Verb abhängig wäre, dann müsste gelten, dass der Aktant nicht ohne das Verb stehen kann – das Verb aber ohne den Aktanten. Betrachten wir den Sachverhalt genauer, so wird klar, dass es sich um wechselseitige Abhängigkeiten und nicht um ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis handelt. Valenzbeziehungen sind wechselseitig dependent. Wir müssen uns jedoch vor voreiligen Schlüssen hüten: zwar sind alle Valenzbeziehungen Interdependenzbeziehungen, nicht alle Interdependenzbeziehungen sind jedoch Valenzbeziehungen. Eine klassische Interdependenzbeziehung ist das stets gemeinsame Auftreten von Artikel und Nomen. Im Satz „Ich verstehe diese Nachfrage nicht.“ ist der Artikel „diese“ nicht in „Nachfrage“ angelegt. Vielmehr setzt jedes der beiden Elemente das Auftreten des anderen voraus. Es handelt sich also nicht um eine Valenzbeziehung.

     

    Ein bedeutender Kritiker der Valenztheorie ist Fillmore. Er kritisierte, dass man mit Hilfe der Valenzstammbäume nicht zu einer eindeutig semantischen Lösung kommen muss. Bei dem Satz : „Er schenkt ihr rote Rosen.“ sind sowohl der Agens als auch der Patiens menschlich. Es lässt sich aus der Struktur eines Valenzstammbaums nicht feststellen, wer schenkt und wer beschenkt wird. Es handelt sich somit um eine unzulässige Abkürzung der Bedeutung der betreffenden Ausdrücke, denn entscheidend ist doch schließlich wer nun der Patiens und wer der Agens ist. Fillmore versuchte mit seiner Theorie der semantischen Szenen einen Ausweg zu finden. Nach Fillmore ist jeder Aussagesatz eine Bühnenszene, vergleichbar mit einem kleinen Theaterstück. Diese semantischen Szenen werden mit Hilfe von prototypischen Rollen gebildet. Nach dieser Theorie der prototypischen Rollen werden 7-9 Rollen verteilt, wobei wie schon bekannt der „Agens“ der Handelnde und der „Patiens“ der Betroffene ist. Weitere Rollen sind das „semantische Objekt“ (Gegenstand um den es geht, zum Beispiel: was wird geschenkt) und „instrumental“ (womit wird eine bestimmte Handlung ausgeführt).

    Mit Hilfe dieser Klassifikation kann Fillmore die Semantik der Sätze sämtlicher Sprachen der Welt beschreiben. Es handelt sich also um einen universellen, kognitiv orientierten Ansatz.

    In Kombination mit der IC-Analyse oder der Valenzstrukturgrammatik eignet sich Fillmores’ Ansatz hervorragend dazu, einzelsprachliche Strukturen zu beschreiben.

    Dieser Ansatz lässt sich darüber hinaus auch als Sprachproduktionsmodell anwenden.

     

     

    Abbildung: Diathese aus altem Skript

     

     

    1.      Im Kopf taucht eine Art Szene, eine semantische Rollenstruktur auf

    2.      Diese wird in eine einzelsprachliche syntaktische Struktur übersetzt.

    3.      Die entsprechenden Impulse werden an die Artikulatorik weitergeleitet und die gewünschte Äußerung wird produziert.

     

     

    Exkurs: Aphasien

     

    Bei Aphasien handelt es sich um Sprachstörungen, die als  Folge einer Schädigung des zentralen Nervensystems entstanden sind. Aphasien betreffen sowohl rezeptive wie produktive Prozesse (also sowohl das Sprachverständnis als auch das Sprechen) in sämtlichen Modalitäten (Lesen, Schreiben, Hören, Sprechen...) und auf allen Ebenen (Phonologie, Lexikon, Syntax, Semantik). Bei einer Aphasie sind bestimmte Hirnregionen, gewöhnlich in der linken Hirnhälfte, welche hauptsächlich für die Sprache verantwortlich ist, geschädigt. Je nach Ort der Schädigung sind unterschiedliche Sprachebenen betroffen (Laut-, Satz-, Bedeutungsebene, usw.). Gewöhnlich ist auch die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben in Mitleidenschaft gezogen. Die Diagnose einer Aphasie und gegebenenfalls deren Form läßt sich mit Hilfe standardisierter Testverfahren wie zum Beispiel dem AAT stellen. Der AAT untersucht die Leistungen eines Patienten in den Teilbereichen: Benennen, Vorlesen, Schreiben, Nachsprechen und Spontansprache um Hinweise auf existierende Funktionsstörungen zu finden. Aphasien bilden sich häufig durch Spontanremission ganz oder teilweise zurück, im Übrigen werden durch geeignete sprachtherapeutische Maßnahmen Besserungen erzielt. Bei Kindern, deren Sprachentwicklung ja noch nicht abgeschlossen ist, ist der Krankheitsverlauf anders.



    Zur Entstehung von Aphasien:

    Das Nervensystem ist ein hierarchisch gegliedertes System miteinander verbundener Nervenzellen (Neuronen). Das Nervensystem ist für die Aufnahme und Weiterleitung von Reizen, für die Erregungsverarbeitung, für die Aktivierung der Muskeln sowie für die Koordination und Aufrechterhaltung von Organfunktionen des vielzelligen Organismus zuständig. Nach der Lage im Körper wird das Nervensystem der Wirbeltiere in das Zentralnervensystem und das periphere Nervensystem unterteilt. Zum Zentralnervensystem gehören das Gehirn und das entlang der Wirbelsäule gelegene Rückenmark. Es ist mit dem Gehirn über eine Öffnung an der Schädelbasis verbunden. Alle übrigen Teile des Nervensystems gehören zum peripheren Nervensystem. Periphere Systeme sind z. B. die Zentren für die Wahrnehmungen der einzelnen Sinnesorgane: Visuelles, akustisches, taktiles, olfaktorisches Wahrnehmen – hierfür gibt es einzelne, jeweils klar umgrenzte Zentren im Gehirn.. Zentrale Prozesse dagegen – wie z. B. die Sprache – sind nicht zentriert, d. h. auf bestimmte Regionen beschränkt. Beide Teile des Zentralnervensystems sind mit den übrigen Regionen des Körpers durch Nervenfasern verbunden.

    Aphasien werden nach Abschluß der Sprachentwicklung hauptsächlich durch Schlaganfälle (ca.80%) , aber auch durch Tumore und Schädelhirntraumen erworben. Bei einem Schlaganfall handelt  es sich um eine Schädigung des Gehirns als Folge eines Gefäßverschlusses oder einer Hirnblutung. Die Mehrzahl der Schlaganfälle wird durch Gefäßverschluß aufgrund einer Thrombose oder einer Embolie hervorgerufen. Eine Thrombose entsteht durch allmähliche Ansammlung fetthaltiger Stoffe oder atherosklerotischer Gewebsveränderungen in einer oder mehreren der vier Hauptarterien, die zum Hirn führen. Eine Embolie liegt vor, wenn eine Arterie plötzlich durch Material aus der Blutbahn verschlossen wird. Solche Blockierungen bestehen oft aus Verklumpungen aufgrund einer Herzfehlfunktion oder stammen aus losgelösten Gewebeteilen bei Atherosklerose. Sogar eine Luftblase kann zur Embolie führen. Durch die Verstopfung eines Blutgefäßes führt dazu, dass die Region, die durch dieses Gefäß versorgt wird, nicht mehr durchblutet ist. Das hat fatale Folgen, da Nervenzellen weder Sauerstoff noch Nährstoffe speichern können und nach ca. sieben Minuten ohne Versorgung absterben; außerdem wachsen sie im Gegensatz zu anderen Zellen nicht nach wenn sie abgestorben sind, sie sind also unwiederbringlich verloren.).

    Andere Ursachen können sein: Verletzungen (z. B. durch Unfall), Krankheiten (v. a. entzündliche Prozesse), Tumoren und andere sog. raumfordernde Prozesse (ein Tumor verdrängt zunächst das Nervengewebe, quetscht es zusammen und behindert so die Durchblutung, ggf. kann er auch das umgebende Gewebe zerstören), Intoxikationen, Sauerstoffmangel etc.

    Es handelt sich bei Aphasien also nicht um angeborene oder durch allmählichen Abbauprozesse entstandene Pathologien (Die Pathologie ist ein  Teilgebiet der Medizin, das sich mit Wesen und Verlauf von Krankheiten sowie mit der Analyse von Geweben und Körperflüssigkeiten beschäftigt).

     

    Aphasien fallen in  vier Hauptkategorien:

     

    Die amnesische Aphasie  äußert sich durch Wortfindungsstörungen. Hier liegt jedoch keine fehlende Gedächnisleistung vor – der amnesische Aphasiker kennt das Wort, kann es aber nicht abrufen. Diese Abrufdefizite betreffen weniger grammatische Funktionswörter wie Präpositionen, Artikel oder Konjunktionen, sondern viel mehr die Inhaltswörter wie Nomen aber auch Verben und Adjektive. Deswegen wird diese Form der Aphasie auch als Anomie bezeichnet. 

    Um sich dennoch zu verständigen bedient sich der Patient verschiedener Ersatzstrategien. Das nicht abrufbare Wort wird entweder erklärt in dem seine Funktion umschrieben (Staubsauger: „mit dem man sauber macht“) oder einzelne Eigenschaften des Begriffes benannt werden (Kohle: „das was so schwarz ist“). Der Patient kann sich aber auch einer semantischen Paraphrasie bedienen, indem er ein verwandtes Wort an Stelle des gesuchten Begriffes verwendet (Staubsauger: „Besen“). Manchmal besteht zwischen dem verwendeten Wort und dem gesuchten Begriff auch kein Sinnzusammenhang (Staubsauger: "Kühlschrank“).  Es kommt aber auch vor dass nicht abrufbare Wörter mit  „Dingsda“ ersetzt oder pantomimisch dargestellt werden.

    Die Prognose für amnesische Aphasiker ist, je nach Ausmaß der Störung, relativ günstig. Außer den beschriebenen Wortfindungsproblemen ist die Sprache in allen anderen Bereichen recht normal und auch das Sprachverständnis ist gut.

     

    Die Broca- und Wernicke-Aphasie äußern sich durch jeweils unterschiedliche grammatikalische Probleme:

     

    Die Broca-Aphasie entsteht durch eine Schädigung des Broca-Zentrums im Gehirn, welches hauptsächlich für die Sprachmotorik verantwortlich ist. Paul Broca (1824-1880) war ein französischer Chirurg und Anthropologe. Er wurde vor allem als Hirnforscher durch die Entdeckung des Sprachzentrums im menschlichen Gehirn und seine Arbeiten über Sprachstörungen (Aphasie) bekannt.

    Die Sprachproduktion des Patienten ist mühsam, langsam und undeutlich. Das Sprachverständnis hingegen ist nur gering beeinträchtigt.

    Die Broca-Aphasie wird auch als Agrammatismus bezeichnet, weil wichtige Teile der Grammatik  wie Präpostionen, Konjunktionen (mit Ausnahme von „und“ und „dann“) aus dem Wortschatz verschwunden sind. Auch das System der Fälle wird nicht mehr beherrscht. Bei einer schweren Broca-Aphasie kann sich der Patient nur noch im Telegrammstil äußern.  In diesem Falle würde aus einem Satz wie: „Fritz holt seine Mutter mit dem Auto vom Bahnhof ab, damit sie nicht zu spät zum Damenkränzchen kommt“ ein recht kurzes „ Fritz Mutter Auto Bahnhof...holt du ab“.

     

    Bei der Wernicke-Aphasie liegt eine Schädigung des Wernicke-Zentrums vor. Beim Wernicke-Zentrum handelt es sich um ein Integrationsgebiet, das unentbehrlich für die ständige Verfügbarkeit erlernter Wortbilder und für die Interpretation gehörter und gesprochener Rede ist. Ein grammatischer Raster ist bei Wernicke-Aphasikern zwar noch vorhanden, es wird aber falsch umgesetzt. Die Syntax ist zwar komplex angelegt, d. h. es werden komplizierte Satzkonstruktionen begonnen, jedoch nicht zu Ende geführt, sondern verschiedene Konstruktionen überlagern sich, werden abgebrochen, neue begonnen usw.. Deshalb wird die Wernicke-Aphasie auch als Paragrammatismus bezeichnet. Häufig werden ein falsches grammatisches Geschlecht („die Kopf“), ein falscher Plural („zwei Pilote“) oder eine falsch Verbform („rufte“ statt rief) verwendet. Der Patient gibt einen sinnlosen Wortsalat von sich, der aus verschachtelten Sätzen wie zum Beispiel: „ Es war in der Nacht muß das gewesen sein“. Die Reden ihrer Mitmenschen klingen für ihn  wie eine unverständliche, fremde Sprache. Die Patienten haben oft einen starken Rededrang und können ihren Redefluß kaum noch stoppen (sog. Logoroeh). Das Sprachverständnis ist stark gestört, die Patienten haben oft nur wenig Störungsbewußtsein. Die Prosodie und Artikulation scheinen mühelos.

     

    Die wohl schwerste Form der Aphasie ist die globale Aphasie, da sie, hervorgerufen durch einen weitreichenden Hirnschaden in der Sprachregion, mehr oder minder alle Defizite der oben genannten Aphasien auf sich vereint: Die Sprachproduktion ist anstrengend, die Artikulation schlecht, die Betonung seltsam und eine Grammatik nicht erkennbar. Auch das Sprachverständnis ist stark gestört. Die Wahrscheinlichkeit größere Erfolge mit Hilfe von therapeutischer Behandlung zu erzielen ist gering. Die Patienten verstehen kaum noch etwas, ihre Produktion ist ebenfalls extrem reduziert und häufig auf Echolalien (also Nachsprechen dessen, was der Gesprächspartner gerade gesagt hat, ohne dies jedoch zu verstehen), automatisierte Reihen oder Floskeln beschränkt. Häufig sind die Patienten halbseitig (rechts) gelähmt (Hemiplegie / -parese). Die Sprache des Patienten besteht hauptsächlich aus Automatismen und Stereotypien. Bei Automatismen handelt es sich um unwillkürliche Äußerungen wie „jeden Tag, guten Tag“ oder „dadada dididi mamama“, die der Aphasiker vollkommen zusammenhangslos von sich gibt. Stereotypien hingegen sind Redefloskeln, die oft eingestreut werden, aber durchaus kommunikative Funktion haben und passend zur Situation eingesetzt werden können. Auch wenn die Sprachproduktion an sich sehr mühsam ist, so gehen diese Floskeln leicht von der Zunge.

     

    Diese unterschiedlichen Formen von Aphasie kommen natürlich nicht immer in ihrer „Reinform“ vor. Außerdem gibt es auch sehr wohl Fehlerquellen, die alle Aphasien mehr oder minder gemeinsam haben.  Eine gemeinsame Fehlerquelle sind die phonematischen Paraphrasien bei denen ein Laut an Stelle eines anderen verwendet wird (Pille : „Spille“). Aber auch semantische Paraphrasien, wie schon bei der amnesischen Aphasie erwähnt wurde kommen häufiger vor. Während die amnesischen Aphasiker vorwiegend semantische Paraphrasien verwenden, kommen bei den Broca-Aphasikern beide Formen der Paraphrasie vor; die semantischen Aphasien sind jedoch vorwiegend sinnesverwandt mit dem gesuchten Begriff. Wernicke- und globale Aphasiker verwenden beide Formen der Paraphrasie reichlich- bis hin zu der Bildung von neuen Wörtern (Neologismen) und der Verwendung von dermaßen vielen semantischen Paraphrasen, dass ihre Sprache in einem Kauderwelsch endet, welches auch als Jargon bezeichnet wird. Der Begriff Jargon entstammt dem französischen und bezeichnet in seiner Grundbedeutung die Ausdrucksweise bestimmter Klassen oder Berufe. Es handelt sich also um eine soziale, berufliche Gruppensprache die sich eines besonderen Wortschatzes bedient, aber Grammatik und Grundwortschatz der Nationalsprache beibehält. Der Bezug auf Jargon bei den Wernicke- und globalen Aphasikern zielt  vor allem auf eine Gemeinsamkeit mit dem Jargon ab: seine Unverständlichkeit als Folge der Verwendung von unbekannten Termini.

    Eine Sonderform der Aphasie ist die sog. Leitungsaphasie. Hierbei ist das Nervenfaserbündel, das Broca- und Wernicke-Region verbindet, das sog. Fasciculus arquatus gestört oder unterbrochen. D. h. die unmittelbare Interaktion dieser beiden Regionen funktioniert nicht mehr, sie sind nur noch über den Umweg der inhaltlichen Interpretation miteinander verbunden. Im Test läßt sich das z. B. nachweisen als die Unfähigkeit der Patienten, Nonsens-Wörter (also Lautfolgen, die zwar den deutschen Lautgesetzen Genüge tun, aber bedeutungslos sind: Garb, Ulik, Murf ...) nachzusprechen. Dies ist nur möglich über die direkte Verbindung zwischen Wernicke- und Broca-Region; in der Wernicke-Region treffen die akustischen Stimuli ein und werden auch – so weit als möglich – adäquat bearbeitet. Aber da es für dieses Lautmuster keine Verbindung zur Semantik gibt und die zur motorischen Broca-Region unterbrochen ist, erhält die letztere keinen Input und kann somit auch keinen Output produzieren. Inhalttragende Wörter können die Patienten dagegen deutlich besser nachsprechen. Spontansprachlich und hinsichtlich des Sprachverständnisses sind sie weitgehend unauffällig.

    Auch wenn jetzt hier die ganze Zeit von Broca- und Wernicke-Regionen (wohlgemerkt: nicht "Zentren"!) die Rede war – es sei nochmals darauf hingewiesen, daß Sprache ein zentraler Prozeß und damit nicht in klar umgrenzten Gebieten im Gehirn "angesiedelt" ist! Vielmehr sind überall im Gehirn, auch in der rechten Hemisphäre, sprachrelevante Bereiche zu finden (die vielleicht teilweise nur noch nicht so klar lokalisiert wurden wie Broca- und Wernicke-Region). Es ist heutzutage nicht mehr legitim, von Sprachzentren zu sprechen! Es ist zwar wohl richtig, daß Läsionen in diesen beiden Arealen häufig mit Sprachstörungen einhergehen, deswegen aber zu postulieren, daß die beeinträchtigten Leistungen hier und nur hier erbracht worden wären, ist ein Denkfehler; dies kann man  mit Hilfe der sogenannten "Motor-Metapher" erklären:

    "Wenn bei einem Auto der Benzinschlauch ein Loch hat, so daß das Benzin nicht mehr in den Motor gelangt und dieser also stehen bleibt, würde man bei einem Blick auf den lädierten Benzinschlauch ja auch nicht auf die Idee kommen, daß an der Stelle, wo sich das Loch befindet, vorher die Leistung erbracht worden sei, die den Wagen vorantrieb."

    Entsprechendes gilt für die Aphasien und die Läsionen in diesen bestimmten Regionen: Mit Sicherheit passierte dort irgend etwas, was für die Sprache unerläßlich war; deswegen aber anzunehmen, daß die gesamte sprachliche Leistung dort erbracht worden sei, ist nicht haltbar. Offensichtlich liegt irgendein Diskonnektionismus vor, d. h. irgendwelche unerläßlichen Verbindungen zwischen verschiedenen sprachrelevanten Bereichen sind beeinträchtigt; mehr läßt sich aber nicht sagen. Weiter gute Argumente gegen die Zentrierung der Sprachleistungen in diesen klar umgrenzten Regionen ist die Tatsache, daß es Fälle mit winzigen Läsionen und umfangreichen sprachlichen Defiziten gibt, solche mit riesigen Läsionen und nahezu keinen sprachlichen Auffälligkeiten und solche, bei denen die Läsion eher im Broca-Areal liegt, das Störungsbild aber eher an Wernicke erinnert (oder umgekehrt).

     

    Apraxien

     

    Der Begriff Apraxie entstammt dem Griechischen und bezeichnet die Unfähigkeit Handlungen auszuführen – und das, ohne dass Muskeln oder Nerven gelähmt sind. Apraxien sind immer Anzeichen eines Hirnschadens, also einer Läsion (meist in der linken Hemisphere). Es gibt zwei Hauptformen von motorischen Apraxien : die ideomotorische Apraxie und die ideatorische Apraxie. Außerdem gibt es die sogenannte Ankleideapraxie und die Gangapraxie, die aber nicht den Apraxien zugerechnet werden sollten, das sie leicht als Ausdrucksformen anderer neuropsychiologischer Symptome wie einer räumlichen Orientierungsstörung und frontalem Antriebsmangel erklärt werden können. 

    Die ideomotorische Aphasie zeichnet  sich dadurch aus, dass ein Patient bei der Imitation einer Bewegung nicht mehr dazu fähig ist, die richtigen motorischen Elemente auszuwählen und sie in der richtigen sequenziellen Anordnung durchzuführen. Die dadurch entstehende Enstellung von Bewegungsabläufen wird als Parapraxie bezeichnet. Der Patient ersetzt die verlangte Bewegung vollständig durch eine andere motorische Reaktion (Substitution), führt zusätzliche Bewegungen/Geräusche aus (Überschussbewegung) oder liefert eine bruckstückhafte bzw. gar keine Reaktion (Auslassungen). Die wohl häufigste Unterform der ideomotorischen Apraxie ist die Gesichtsapraxie (Buccofaciale Apraxie). Unter ihr leiden ca. 80 Prozent aller aphasischen Patienten. Weitere Unterformen sind die einseitige und die bilaterale (beidseitige) Gliedmassenapraxie, welche sich primär auf die Bewegungen von Arme(n) und Hand/Händen auswirkt.  In vielen Fällen ist eine spezielle Behandlung des Syndroms (Gruppe gemeinsam auftretender Krankheitszeichen) nicht nötig, da die Defizite sich nicht akut im Alltag äußern. Bei Gesichtsapraxien wird eine Therapie durchgeführt, die darauf abzielt die Artikulationsmotorik zu üben.

    Die Diagnose ideatorische Apraxie wird gestellt, wenn ein Patient Handlungen nicht logisch aufeinanderfolgen lassen kann, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Im Gegensatz zur ideatorischen Apraxie, die erst in Untersuchungen festgestellt wird, werden ideatorische Apraxiepatienten schon im täglichen Leben auffällig. Es findet ein Verlust von logischen Bedeutungszusammenhängen statt, so dass ein Patient zum Beispiel, wenn er dazu aufgefordert wird Tee zu kochen, zuerst den Topf erhitzt, dann den Beutel in den Topf hängt, und erst zuguterletzt – nachdem er den Topf vom Herd genommen hat- kaltes Wasser hinzufügt. Diese Art der Apraxie tritt sehr viel seltener auf als die ideomotorische. Sie tritt regelmäßig in Verbindung mit der Wernicke- oder globalen Aphasie auf, kann aber durch die vorhandenen Sprach-störungen alleine nicht erklärt werden. Apraxien sind auch in sofern nicht mit Aphasien gleichzusetzen, als dass es sehr wohl vorkommt, dass eine Apraxie sich nach einer Läsion gut zurückbildet, während die Aphasie bestehen bleibt (oder umgekehrt). Aus dieser Tatsache läßt sich wahrscheinlich schließen, dass es sich bei den Nicht-Leistungen von Apraxiepatienten und Aphasikern zwar um Störungen handelt, die aufgrund einer Läsion am selben Ort entstehen, nicht jedoch um die selbe Krankheit. Man geht davon aus, dass Sprache und Praxie in der selben Hemisphere, aber unabhängig voneinander organisiert sind. Die Untersuchungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen.   

     

     

    Lateralisierung

     

    Unter Lateralität versteht man die „Seitigkeit“ des Gehirns, d.h. grob gesprochen, dass die beiden Gehirnhälften unterschiedliche Funktionen ausüben bzw. dass bestimmte Verarbeitungsprozesse bevorzugt in einer der beiden Großhirnhälften durchgeführt werden. Der Prozess der Ausbildung dieser Präferenzen dauert etwa vom 5.-12. Lebensjahr und wird als Lateralisierung bezeichnet.

    Im Rahmen der Lateralisierung bildet sich immer eine dominante und eine subdominante (nich-dominante) Gehirnhälfte heraus. Bei 90-95% aller Menschen bildet sich die linke Hemishere zur dominanten Hemisphäre heraus. Sie enthält das aktive Sprachzentrum und eignet sich besonders gut für Wortbildungs- und gewisse Denkprozesse. In der subdominante Hemisphäre, also in der anderen Gehirnhälfte, werden hingegen räumliche und musikalische Wahrnehmungsmuster effektiver verarbeitet.

    Trotz dieser schematischen Trennung, arbeiten beide Hälften jedoch nicht unabhängig voneinander : Über das corpus callosum, dem sogenannten Balken, der die Hälften miteinander verbindet, wird ein reger Austausch zwischen den Hemispheren ermöglicht.

    Von besonderem wissenschaftlichen Interesse sind die sogenannten Split-Brain-Patienten, bei denen aus medizinischen Gründen der Balken operativ durchtrennt werden musste. Zwangsläufig wirken bei ihnen beide Hemispheren als unabhängige Verarbeitungseinheit.

     

    Roger Sperry, der 1981 für seine bahnbrechenden Versuche mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, fand heraus, dass die beiden Gehirnhälften unterschiedliche Arbeitsmethoden aufweisen : „Jede Gehirnhälfte besitzt ihre eigenen Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Vorstellungen“ Demnach sind die Hemispheren auf jeweils unterschiedliche Denkweisen spezialisiert. Diese Hemispherenunterschiede werden auf verschiedenen Ebenen gemessen; zum Beispiel auf der Verhaltensebene. Man geht davon aus, dass sich ein bestimmter Mensch tendenziell mehr auf eine Hemisphere verläßt als auf die andere. Diese Tendenz zeigt sich im kognitiven Stil (= Denkstil/-weise), d.h. in der Art und Weise wie man an Probleme herangeht und sie löst. Löst ein Mensch Probleme tendenziell  verbal oder analytisch, so ist dies ein Hinweis auf einelinksseitige Lateralisierung. Werden Probleme hingegen primär ganzheitlich oder räumlich verarbeitet, so ist dies ein Hinweis auf rechtsseitige Lateralisierung

    Die Lateralität wirkt sich neben den unterschiedlichen Denkstrategien auch noch auf andere Bereiche wie die Wahrnehmung, den Intellekt und die Persönlichkeit aus.

    Die Vorstellung, dass Unterschiede zwischen den Menschen auf die unterschiedliche Nutzung des Gehirns beruht führte dazu, dass die Forschungsergebnisse zu diesem Gebiet in stark vereinfachender Weise interpretiert und so die Phantasie der Massenmedien angeregt wurden. Der Markt wurd mit Fragebögen überschwemmt, mit Hilfe derer die Lateralitätspräferenzen diagnostiziert werden könnten. Aber : ein rein dichotomes Links- Rechts- Denken existiert nicht. Vielmehr ergänzen sich die Hemisphären in komplementärer (=sich ergänzender) Weise. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Existenz der Lateralität zwar eine interessante Hypothese, doch leider bis zum heutigen Zeitpunkt unbewiesen ist.  Auch wenn bestimmte Anzeichen dafür sprechen, dass es zwischen der Lateralität und bestimmten Denkmustern Zusammenhänge gibt,  sollten wir  uns auf jeden Fall davor hüten,  durch Mystifizierung in der Lateralisierung einen Nachfolger der Phrenologie (man glaubte vor einiger Zeit einmal, man könnean der Kopfform und lokalen Schädelausbeulungen Charaktereigenschaften festmachen) zu erschaffen.

     

     

    SOLAT Fragebogen (SOLAT= „Your Style of Learning and Thinking“)

    36 Fragen mit jeweils drei Antwortmöglichkeiten

    -         linkshemispherisch. z.B. „nicht gut im Erinnern von Gesichtern“ oder „gehemmt im Ausdruck von Gefühlen“

    -         rechtshemispherisch. z.B. „nicht gut im Erinnern von Namen“ oder „fähig Gefühle und Emotionen uneingeschränkt auszudrücken

    -         Integrativer Stil (= vereint Funktionen beider Hemisphären), z.B. „gleich gut im Erinnern von Namen und Gesichtern“

     

    Auffällig dabei ist, dass die Ergebnisse mit denen eines Tests zur Messung der Kreativität korrelieren. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend, da die rechte Gehirnhälfte für Intuition und Kreativität verantwortlich gemacht wird.

     

    Die Hälften des Gehirns und die ihnen zugeordneten Funktionen:

     

    Linke Hälfte - „Wort“-Bibliothek: sprechen, lesen, schreiben, mathematisches Verständnis, analytisches Denken, logische Schlussfolgerungen, das Benennen von Objekten, Interpretation von Geschichten, Gedächtnis für Sprache und Texte

     

    Rechte Hälfte - „Bild“ - Bibliothek: bildhafte Sprache, Erfassen von Bildern, Mustern und Strukturen, Verständnis für räumliche Dimensionen, Emotionen, Kreativität und Musikalität.

     

    LINKS                                   RECHTS

    verbal                                     non-verbal

    analytisch                              synthetisch

    zeitlich                                    nicht zeitlich

    rational                                  nicht rational, emotional

    logisch                                    intuitiv/kreativ (musisch, künstlerisch)

    Linear                                    ganzheitlich

     

    Zweisprachige Kindererziehung

     

    Aus verschiedensten Gründen stehen in Deutschland immer mehr Eltern vor der Option, ihre  Kinder  zweisprachig zu erziehen. Gerade bei Kindern, die aus sprachlichen Mischehen entstanden sind, stellt sich die Frage, ob das Kind an beide Sprachen herangeführt werden soll.  Eine Zweisprachigkeit stellt sich „gezwungenermaßen“ auch bei Einwandererkindern ein, die einerseits zu Hause die Muttersprache der Eltern erlernen, sich andererseits aber auch mit dem deutschsprachigen Umfeld arrangieren müssen. In anderen Fällen können auch längere Auslandsaufenthalte im frühen Kindesalter zu einer Zweisprachigkeit führen.

     

    Unter Zweisprachigkeit versteht man nicht einfach nur die Praxis abwechselnd zwei Sprachen zu gebrauchen; das Kind sollte sich auch in beiden Sprachen zuhause fühlen. Von Zweisprachigkeit spricht man außerdem nur, wenn ein Sprecher mehrere von einander deutlich unterschiedliche Sprachen beherrscht. Nach dieser Definition wäre also ein Dialekt sprechendes Kind nicht zweisprachig. Weitere Ansprüche an eine Zweisprachigkeit sind die Fähigkeit des richtigen und schnellen Umschaltens von der einen Sprache in die andere - wenn das die Kommunikationssituation erfordert- und das ohne dass sich die beiden Sprachen vermischen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Sprachkompetenz in beiden Sprachen identisch ist- die verschiedenen Anwendungsgebiete wie sprechen, schreiben, verstehen und lesen können unterschiedlich ausgeprägt sein: Ein Kind, das beide Sprachen fließend spricht muss noch lange nicht in beiden Sprachen die Rechtschreibung gleich gut beherrschen- vor allem wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, dass ein Kind in der Schule letztendlich doch nur eine Sprache zu schreiben lernt. Unter dem Einfluss des sozialen Umfelds wird sich doch eine der beiden Sprachen zur dominanteren entwickeln.

    Eine Zweisprachigkeit bringt für die Kinder viele Vorteile mit sich: Sie lernen spielend leicht eine zweite Sprache, welche andere Kinder sich später in der Schule mit Mühe aneignen müssen. Außerdem erlernen sie diese Sprache mit großer Wahrscheinlichkeit um einiges vollkommener, als das bei ihren Mitschülern je der Fall sein wird. Man geht auch davon aus, dass mehrsprachig erzogene Kinder häufig sprachinteressierter und sprachgewandter sind als Kinder mit einsprachigem Hintergrund.  Eine Mehrsprachigkeit ist in Anbetracht der fortschreitenden Globalisierung und einem zunehmend weiter zusammenwachsenden Europa von großem Nutzen für die Kinder, und wird es wohl später auch in zunehmenden Maße für die Gesellschaft sein.   

    Eine Zweisprachigkeit bringt aber auch Probleme mit sich, die jedoch weniger in der Natur der Zweisprachigkeit an sich, als viel mehr an der nicht immer konsequenten Sprachanwendung der Eltern und den teilweise recht negativ gefärbten Reaktionen des sozialen Umfelds liegen. So ist es für Kinder besonders schwer den korrekten Sprachgebrauch zu erlernen, wenn sich ein oder sogar beide Elternteile familienintern einer Mischsprache bedienen, d.h. eine Mischung aus der eigenen Muttersprache mit der Umgangssprache sprechen. Logischerweise fällt es den Kindern in diesem Falle nicht gerade leicht beide Sprachen voneinander abzugrenzen und ihre spezifischen Regeln zu erkennen. Das kann so weit führen, dass ein Kind weder die eine noch die andere Sprache wirklich beherrscht. Weniger schlimm ist es, wenn ein Kind Sprachmischungen vornimmt (es flickt in diesem Falle, aus Bequemlichkeit, Wortnot oder fehlender Übersetzbarkeit ein Wort aus der schwachen Sprache in die starke Sprache ein). Auch kann eine Zweisprachigkeit zu Interferenzen führen; d.h. die Regeln zweier Sprachen überlagern sich gerade bei komplexeren Strukturen, wobei die stärkere gewöhnlich einen Einfluß auf die schwächere Sprache ausübt. Die wohl größte Belastung für zweisprachige Kinder ist jedoch das Unverständnis, welches sie in ihrem sozialen Umfeld, vor allen Dingen wohl durch gleichaltrige Kinder, erfahren. Die Verunsicherung kann schließlich soweit führen, dass das  Kind zu stottern beginnt und die Sprache schließlich ganz verweigert.

    Jedoch bleibt bei all diesen oben genannten Problemen zu erwähnen, dass Millionen, wenn nicht Milliarden von Kindern zwei- oder gar mehrsprachig aufwachsen, ohne dass für sie dadurch ein wirklicher Nachteil entsteht. Früher oder später wird das Kind zumindest die eine, wenn nicht auch beide Sprachen ausreichend gut beherrschen um sich in seinem Umfeld zu bewähren und vielleicht sogar durch besonders gute Leistung in der zweiten Sprache hervorzustechen.

     

     

     

    Exkurs: Schwierigkeiten Dialekt sprechender Kinder bei der Verwendung der Standardsprache:

     

    In vielen Familien wachsen Kinder in einem Umfeld auf in dem anstatt  der Standardsprache im täglichen Umgang einen Dialekt gesprochen wird. Je nach Stärke der Ausprägung dieses Dialektes wird es entsprechend schwerer für die Kinder bestimmte Regeln und Merkmale der  Standardsprache zu beherrschen, da sie teilweise vollkommen neu erlernt werden müssen. Darüber hinaus können diese Kinder die Standardaussprache, auch wenn sie ihnen vorgesprochen wird, nicht nachahmen, weil sie nur ein Laut-Image des Dialektes mental gespeichert haben. Aus diesem Grund treten in vielen Fällen auch Probleme beim Erwerb der Schriftsprache auf. Hier folgt nun eine Auswahl der häufig gemachten Fehler bei Kindern die von Hause aus Alemanisch sprechen:

     

    1) st-sp

    „St“ und „sp“ werden im Dialekt in sämtlichen Positionen als „scht“ bzw. „schp“ gesprochen, während dies in der Hochsprache nur am Wort- bzw. Silbenanfang der Fall ist.  So kommen Schreibweisen wie Schpaß, Schparten, erscht usw. zustande.

     

    2) Dehnungsbezeichnung

    Eine der Hauptschwierigkeiten der deutschen Rechtschreibung besteht darin, Dehnungszeichen für lange Vokale richtig zu setzen. Während in manchen Wörtern wie „Tal“ und „Chor“  in der Hochsprache ein einfacher Vokal steht und somit die Dehnung graphisch nicht gekennzeichnet ist, wird eine lautliche Dehnung in anderen Fällen mit einer Vokaldoppelung (Saal, Seele, Moor), einem Dehnungs-h (Stahl, Mehl, Kohl) oder aber einem Dehnungs-e markiert (Stiel). Im Dialekt jedoch sind kurze und lange Vokale anders verteilt. Da auch keine festen Regeln für die Dehnungsbezeichnung bestehen, muß das Dialekt sprechende  Kind ist somit gezwungen die Rechtschreibung für diese Wörter einzeln zu erlernen. Es ist also kein Wunder wenn sich in Diktaten falsch buchstabierte Wörter  wie „Gibel“, „nemmen“, „Ingried“ oder „Stahll“ häufen.

     

    3) Artikel und Pronomen

    Im Alemannischen gibt es keine Verwendung des Akkusativs. Statt dem Satz „Den Pfad sah man kaum noch.“ wird man somit im Alemannischen den Satz „ Die Pfad sah man kaum noch“ finden.  Aus „in der kleinen Stadt“ wird „in den kleinen Stadt“. Such wird die Genitivform des Nomens gewöhnlich durch „von dem“, „von der“ oder „von denen“  ersetzt. So wird aus dem Ausdruck „das Haus meines Vaters“ „ das Haus von meinem Vater“ oder „meinem Vater sein Haus“.

     

    4) Deklination der Substantive

    Wie schon oben erwähnt tritt der Akkusativ zumindest bei maskulinen Substantiven im alemannischen Dialekt nicht auf. Wie im Englischen gibt es eigentlich überhaupt keine Endungen die den Fall anzeigen. Die einzelnen Fälle werden nur durch Zuhilfenahme der Artikel gebildet (vgl. oben).

     

    5) Das Verb

    Im Dialekt wird im Präsens statt der Alternierung der Vokale, die im deutschen recht häufig vorkommt (ich grabe, du gräbst, sie graben...), bei Verben wie brechen, lesen, graben usw. ein Einheitsvokal verwendet ( ich grabe, er grabt,...). Aber auch bei der Verwendung des Infinitivs muß das Dialekt sprechende Kind neu erlernen. Im Dialekt wird nämlich ein weiteres „zu“ in Infinitiv-Konstruktionen hinzugefügt. Ein Beispiel dafür wäre der Satz: „ Er stand auf zum auf die Jagd zu gehen“. oder „ Peter mußte an zu niesen fangen“. Der Partizip Präsens und viele unregelmäßige Formen des Präteritums sind Dialekt sprechenden Kindern häufig unbekannt und müssen wie bei einer Fremdsprache neu erlernt werden.       

     

    6) Vokabeln die nur im Dialekt existieren

    Dialekte verfügen in bestimmten Bereichen (familiäres Umfeld, Arbeit, Gefühl und Intimsphäre) über ein großer Repertoire an Ausdrücken, die in der Hochsprache nicht existieren. Ein Dialekt sprechendes Kind steht nun vor der schwierigen Aufgabe, diese Wörter übersetzen zu wollen für die jedoch häufig im Standard kein entsprechendes Pendant existiert. Das Kind also einen Teil seines Wortschatzes nicht nutzen, es sei denn es wird explizit dazu aufgefordert, was in den seltensten Fällen im Schulalltag vorkommt.

     

    Wegen der vielen zum Teil als „ dumm“ und „oberflächlich“ angesehenen Fehlern werden Dialekt sprechende Kinder nicht selten ausgegrenzt und im Schulalltag als intellektuell weniger leistungsfähig abqualifiziert. So wird den Kindern ein schlechtes Selbstbild vermittelt.

     

     

     

     

     

     

    Entwicklungsdysphasie bei Kindern

     

    Von Entwicklungsdysphasie (Sprachentwicklungsstörungen) spricht man, wenn ein Kind eine große Diskrepanz zwischen den seinem Alter entsprechenden non-verbalen Intelligenzleistungen (durchschnittlich) und Sprachleistungen (weit unter dem Durchschnitt) an den Tag legt. Die Diagnose Sprachentwicklungsstörung wird mit Hilfe von klinischen Tests wie dem HSET (Heidelberger Sprachentwicklungstest) gestellt.

    Bei vielen dysphasischen Kindern zeigt sich schon in der Anfangsphase des Spracherwerbs eine solche Verzögerung. Während Kinder normalerweise im Alter von zwei Jahren mindestens 50 Wörter beherrschen, fällt der Wortschatz der sogenannten ‘late talkers’ viel bescheidener aus. Ein später Sprachbeginn, muss jedoch nicht zwangsläufig zu Sprachentwicklungsstörungen führen : etwa die Hälfte der late talkers holt rapide auf, so dass relativ schnell kein Sprachdefizit mehr erkennbar ist. Die andere Hälfte jedoch bleibt der Spracherwerb problematisch.

    Es gibt in Punkto Entwicklungsdysphasie zwei leitende Hypothesen : Die eine Hypothese vertritt die Auffassung, dass es sich bei Sprachentwicklungsstörungen um eine Verzögerung im Rahmen des normalen Spracherwerbs handelt. Die entgegengesetzte These lautet, dass dyphasische Kinder Sprache nach ihren eigenen Prinzipien - ausserhalb der grammatikalischen Regeln - aufbauen. Diese These basiert auf der Feststellung, dass dysphasische Kinder strukturell abweichende Sätze produzieren, die im Sprachentwicklungsverlauf « normaler Kinder » in dieser Form nicht vorkommen. So würde ein « normales » Kind nie den Satz  « Mama mich wieder abholt » (Verbanteil steht fälschlicherweise am Ende des Satzes) oder « Da umzieht der Mann » (Subjekt steht fälschlicherweise am Satzende). Es wäre viel typischer, dass  Sätze wie « Ein großes Haus machen » produziert werden. Bei diesem Beispiel handelt es sich um einen kurzen, morphologisch einfachen Satz. Zu beachten ist hier, dass sich das Verb hier, wenn auch nicht in korrekter Form, zumindest am korrekten Ort, nämlich dem Satzanfang steht.

     Der Sprachgebrauch dysphasischer Kinder zeichnet sich durch spezifische syntaktische Probleme aus, welche « normale » Kinder nicht haben :

    Sehr häufig lassen sich Wortordnungsprobleme beobachten. Dies ist in sofern dramatisch, als dass sprachentwicklungsgestörte Kinder sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie an dieser fälschlicherweise entwickelten Wortordnung rigide festhalten. Aber auch in anderen Bereichen wird ihr Defizit sichtbar : Dysphasische Kinder tuen sich unheimlich schwer damit eine Subjekt-Verb-Kongruenz herzustellen (« die Kinder rennte », statt « die Kinder rannten »), den Artikel richtig zu verwenden ( « ein Frau », statt «eine Frau »). Auch bei der Flektierung von Verben (« geganngt », statt « gegangen ») und der Pluralbildung (« zwei Ball », statt « zwei Bälle ») treten Probleme auf. Oft werden auch Präpositionen vertauscht (« er geht bei die Straße », statt « er geht auf die Strasse ». Da die Kinder sich sehr wohl über ihre Sprachdefizite bewußt sind, versuchen sie die mühsame Bildung von Sätzen zu vermeiden- die produktive Sprache bleibt fragmentarisch, d.h. auf ein paar kurze Wortsequenzen begrenzt.

    Über die Ursachen von Entwicklungsdysphasien gibt es nur Hypothesen.  Hannelore Grimm listet in ihrem Buch « Störungen der Sprachentwicklung » eine Vielzahl möglicher Ursachen auf :

    Ein Ursache könnten auditive Gedächnisdefizite sein. Man geht davon aus, dass sprachliche Informationen auf ihrem Weg zur Verarbeitung zunächst einmal in einem Kurzzeitspeicher gehalten werden müssen. Der phonologische Kurzzeitspeicher hält normalerweise Informationen für bis zu 1-2 Sekunden und analysiert die gehörte Sprache auf phonologisch relevante Informationen.  Können diese sprachlichen Informationen aber wegen eines  gestörten auditiven Gedächnisses nicht lange genug im Kurzzeitspeicher gehalten werden, oder ist die Verarbeitung zu langsam, so erscheint es logisch dass in diesem Falle nur ein Teil der Informationen wirklich verabeitet werden kann, während ein Großteil der Informationen aufgrund einer Überforderung des Kurzzeitspeichers einfach erlischt. Dies erschwert den Spracherwerb in zweierlei Hinsicht : Zum einen treten schon bei normaler Sprechgeschwindigkeit Probleme in der sequentiellen Verarbeitung von Sprachinformationen auf (aufgrund der Überforderung des Kurzeitspeichers kann der Redefluss nicht mehr ausreichend segmentiert werden). Zum anderen können auch keine längeren Äußerungen gespeichert und als Basis für den induktiven Prozess der Strukturerkennung und Strukturbildung genutzt werden (da ja auf dem Weg zur Verarbeitung ein großer Teil der Information verloren geht, und nur Bruchstücke wirklich verarbeitet werden können). 

    Entwicklungsdysphasien können verstärkt werden, wenn Mütter sich sprachlich – zu Lasten der dialogischen und kognitiven Qualität ihrer Äußerung-  an das Produktionsdefizit ihrer Kinder anpassen. Durch ihre Kleinkind-Lehrstrategie unterfordern sie die Kinder, welche es aufgrund fehlender Stimulation letztendlich noch schwerer fällt sich sprachlich zu verbessern.

    Man glaubt auch davon ausgehen zu können, dass auch eine genetische Prädisposition zumindest teilweise für Sprachentwicklungsstörungen verantwortlich zu machen ist, da sich solche Defizite in manche Familien gehäuft auftreten.

    Wichtig ist es, nicht zu vergessen, dass hier nur eine Anzahl möglicher Ursachen genannt wurde, denn die wirkliche Ursache für Entwicklungsdysphasien, falls es denn nur eine geben sollte, steht noch nicht fest.

     

    Klientenbezogene Konversation :

     

    Wenn wir miteinander in Kontakt treten, richten wir uns nach bestimmten Gesprächsmustern um den Anforderungen der jeweiligen Situation zu entsprechen. In diesem Referat wurde das Gesprächsverhalten welches Beamte des Sozialamtes während Beratungsgesprächen an den Tag legen verglichen mit den maximen klientenbezogener Konversation welche Grundlage der Gesprächstherapie bilden.

    Prinzipiel ist die Aufgabe des Therapeuten und des Beraters am Sozialamt nicht vollkommen unterschiedlicher Natur : Es finden sich zum Gespräch Menschen in Not ein ; während es sich beim Therapeuten wohl eher um emotionale Probleme handelt, treten am Sozialamt vor allem Geldprobleme in den Vordergrund, deren Ursache jedoch häufig auch auf emotionale Probleme zurückzuführen ist. Eine vergleichende Studie zeigte jedoch, dass sich das Verhalten der beratenden Personen eklatant voneinander unterschied.

    Nach Rogers gibt es drei notwendige und hinreichende Bedingungen für das Therapiegespräch : -    positive Wertschätzung, emotionale Wärme für den Klienten

    -         empatisches Verstehen der « inneren Welt » des Klienten

    -         Kongruenz (Echtheit und Integration) im Verhalten zum Klienten

     

    Dies drückt sich sprachlich in Form von Hörersignalen aus. Hörersignale sind Elemente im Gespräch, mit denen ein Hörer seinen Beitrag zur Verteilung und Koordination der Sprecher- und Hörerrolle leistet, die bestehende Rollenverteilung bestätigt und Aufmerksamkeit bekundet. Lexikalische Hörersignale sind zum Beispiel : ja, ach so, genau,.... Es gibt aber auch nichtlexikalische Hörersignale wie : hm, aha,..,. Diese Hörersignale sind auffällig kurz (höchstens 3-4 Silben), und treten genau dann auf wenn der Klient durch Frageintonation oder Rollenbestätigungsappelle ein Zeichen vom Gegenüber erwartet oder er eine Gesprächspause einlegt. Hörersignale können unterschiedliche Funktionen haben. Zum einen dienen sie der Kommunikationssteuerung indem sie das Gegenüber bestätigen und zum sprechen auffordern. Sie können aber auch eine Anmeldung zum Sprechen-Wollen signalisieren und sogar das Unterbrechen des Gesprächspartners legalisieren. Auf der Ebene der sozialen Beziehung können sie die Einstellung des Hörers zum Sprecher auf einer Skala zwischen Solidarität und Nicht-Solidarität ausdrücken. Auf einer dritten Ebene (Ebene der Proposition) wird die Einstellung des Hörers gegenüber dem Gesagten mit Hilfe von Hörersignalen vermitelt : diese Signale können Konsens, Divergenz, Bekanntgabe des eigenen Informationsstandes oder den Verzicht auf eine Stellungnahme beinhalten. Häufig wird die Ebene der Proposition auch mit der Ebene der sozialen Beziehung vermischt.

    Im Vergleich von therapeutischen Beratungsgesprächen und Beratungsgesprächen beim Arbeitsamt konnte festgestellt werden, dass den Klienten im Arbeitsamt viel weniger Zeit gelassen wurde und dass es häufig zu einem Kampf um die Sprecherrolle (Simultansprechen, Unterbrechungen) zwischen Klienten und Berater kam. Dies läßt sich nicht zuletzt auch dadurch erklären, dass viel weniger Hörersignale auftraten. Auch wurde eine Sprachbarriere durch Fachsprache errichtet. Durch diskrimierende Redewendungen, klischeehafte Aussagen und Ungeduld wird nicht selten der Klient eingeschüchtert. Dies führt zu einem angespannten und keinesfalls klientenbezogenem Gesprächsklima.

    Im Vergleich dazu sind Psychtherapeuten auf Klientenbezogenheit geschult. Sie bezwecken durch gezielt Dialogsteuerung eine « Beratung durch Selbstberatung » : dadurch dass der Patient zu mehrmaliger Formulierung seines Problems gezwungen wird, kann er dieses selbst auch besser begreifen und somit auch bewältigen. Dies zeigt sich am Gesprächsverhalten der Psychotherapeuten. Im Gegensatz zu den Beamten am Sozialamt gestanden sie ihren Klienten einen viel größeren Anteil am Gespräch zu und vermieden es ihr Gegenüber zu unterbrechen. Auch Gesprächspausen wurden toleriert ohne den Klienten unter Druck zu setzen. Um dem Gegenüber das Gefühl zu geben, dass man bereit war seinen Ausfürungen zu folgen wurden gezielt Hörersignale verwendet (und zwar dreimal so viele !). Die zwischen Beaten und Klienten häufigen Rollenkonflike blieben aus.Wichtig ist es noch zu erwähnen, dass nicht nur die Anzahl der Hörersignale von Bedeutung ist, sondern auch deren Form (Solidarität-Nicht-Solidarität ; Konvergenz-Divergenz,...). Es erscheint auf jeden Fall sinnvoll, dass die klientenbezogene Konversation aus der Psychotherapie auf Bereiche übertragen wird, in denen Wert auf konfliktfreie Interaktion gelegt werden muss.

     

     

     

     

     

     

     


     

     

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    Alte Fassung:

     

    1. Block: *

     

    1.1 Allgemeines *

    1.1.2 Organisatorisches: *

    1.1.2 Einleitung: *

    1.1.3 Seminarüberblick: *

    1.2 Neuer Stoff - Semiotik *

    1.2.1 Einstieg in die Semiotik *

    1.2.2 Definition des Begriffs "Zeichen" *

    1.2.3 Index – Ikon – Symbol *

    1.2.4 Entstehung von Konventionen *

    2. Block *

    2.1 Wiederholung *

    2.2 Neuer Stoff – kognitivistische Semiotk: De Saussure / Strukturalismus *

    2.2.1 Einstieg in den kognitivistischen Bereich der Sprachwissenschaft:*

    2.2.2 Beginn der kognitivistischen Sprachwissenschaft / F. de Saussure *

    2.2.3 Das de Saussur´sche Zeichenmodell *

    2.2.4 Die Biologie *

    3. Block *

    3.1 Wiederholung *

    3.2 Neuer Stoff – Phonetik *

    3.2.1 Einstieg in die Phonetik *

    3.2.2 Phonetik *

    4. Block *

    4.1 Wiederholung *

    4.2 Neuer Stoff: Phonetik / Kurzreferate *

    4.2.1 Die Vokale des Deutschen *

    4.2.2 1. Exkurs: "Lautspracherwerb nach Jakobson" *

    4.2.3 2. Exkurs: Sprachpathologien *

    5. Block *

    5.1 Wiederholung *

    5.2 Neuer Stoff: Von der Phonetik zur Phonologie zur Morphologie *

    5.2.1 Sonorität / Sonoritätsskala: *

    5.2.2 Minimalpaare *

    5.2.3 Phon – Phonem - Allophon *

    5.2.4 Kombinatorische Allophone – frei wählbare Allophone*

    5.2.5 Phonetik - Phonologie *

    5.2.6 Saussure und die Phonetik / Phonologie *

    5.2.7 Phonologie + Morphologie *

    5.2.8 Morph, Morphem und Allomorph *

    5.2.9 Kombinatorische und frei wählbare Allomorphe*

    5.2.10 Grammatische und lexikalische Morpheme *

    5.2.11 double articulation (André Martinet) *

    5.2.12 Anhang: Die paradigmatische und die syntagmatische Ebene *
     

    6. Block *

     
    6.1 Wiederholung *

    6.2 Neuer Stoff: Vertiefung Morphologie / Einstieg in die Syntax *

    6.2.1 Vertiefung Morphologie *

    6.2.2 Einstieg in die Syntax *

    6.2.3 Nichtsegmentale Ausdrucksweise *

    6.2.4 Substitutionstest *

    6.2.5 Kommutationstest oder Permutationstest *

    6.2.6 Ein Stammbaum *

    6.2.7 Konstituenten-Struktur-Grammatik und IC-Analyse*

    6.2.8 Teil-Ganzes-Beziehung – Teil-Teil-Beziehung *

    6.2.9 Valenz-Dependenz-Grammatik *


    7. Block *

     
    7.1 Wiederholung *

    7.2 Neuer Stoff *

    7.2.1 Vertiefung Valenzgrammatik *

    7.2.2 Aktanten und Zirkumstanten (Tesnier) *

    7.2.3 fakultative und obligatorische Aktanten *

    7.2.4 Lesarten eines Verbs *

    7.2.5 Sonderfall "Zwangsplural" *

    7.2.6 Nullwertige Verben *

    7.2.7 Die Valenzen der deutschen Verben. *

    7.2.8 Semantische Rollen (Fillmore) *

    7.2.9 Diathese... *

    7.2.10 ...und was bewirkt sie? *


    8. Block *

     
    8.1 Das Levelt-Modell *


    9. Block *

     
    9.1 Klausur: "Diathese?" *

    9.2 Referate *

    9.2.1 Der Genitiv *

    9.2.2 Wozu Syntax? *

    9.2.3 Assoziative Entgleisungen bei Schizophrenie *


    10. Block *

     
    10.1 Wiederholung: Levelt-Modell *

    10.2 Neuer Stoff: Lexikalische Semantik / Semantische Syntax *

    10.2.1 Die Inhaltsseite des Leveltschen Lexikon (lemmas)*

    10.2.2 Wortfeldtheorie *

    10.2.3 intentionale Bedeutungsbeschreibung *

    10.2.4 extentionale Bedeutungsbeschreibung *

    10.2.5 Das Kommunikationsmodell (Organon-Modell) von Bühler*


    11. Block *

     
    11.1 Wiederholung: Levelts Lexikon *

    11.2 Neuer Stoff / Vertiefung *

    11.2.1 Extentionale vs. intentionale Bedeutungsbeschreibung*

    11.2.2 Metasprachliche Ebene – Objektsprachliche Ebene und extentionale Bedeutungsbeschreibung *

    11.2.3 Mögliche-Welten-Semantik *

    11.2.4 "Bedeuten" vs. "meinen" *

    11.2.5 Semantik vs. Pragmatik *
     



    4.2 Neuer Stoff: Phonetik

    (im Seminar folgten hier zunächst zwei Kurzreferate, die ich aber aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs erst nach den Vokalen abhandeln werde)

    4.2.1 Die Vokale des Deutschen

    Was unterscheidet Vokale grundsätzlich von Konsonanten?

    Konsonanten - sind stets auch Geräusche, d. h. unregelmäßige Schwankungen d. Luftdrucks

    - können stimmhaft (dann sind sie gleichzeitig Töne und Geräusche) oder
    stimmlos sein (dann sind sie nur Geräusche).

    - werden gebildet, indem diverse Artikulatoren ein Hindernis bilden, welches
    den Luftstrom zunächst abbremst, bevor er es beschleunigt passiert.

    Vokale - sind immer Töne, d. h. die Stimmlippen sind auf Stimmstellung und werden durch die Atemluft in regelmäßige Schwingungen versetzt; Töne sind also regelmäßige Luftdruckschwankungen, welche durch die Stimmlippen entstehen.

    - die Artikulatoren bilden keine wirklichen Hindernisse, sie variieren nur ge-
    meinsam mit dem Öffnungsgrad des Unterkiefers den Resonanzraum im
    Mund-Nasen-Bereich und damit den Ton. Der Luftstrom wird hierbei nicht ab-
    gebremst!


    Im Gegensatz zu den meisten Phonetik-Standardwerken sprechen wir nicht vom Diphtong, sondern von sog. "Gleitvokalen", da diese Laute entstehen, indem man schnell von der Artikulationsposition des ersten Vokals in die Nähe der Artikulationsposition eines zweiten Vokals (nicht ganz bis in diese Position) "gleitet": Der Luftstrom setzt während des Positionswechsels nicht aus.

    Beim schnellen Sprechen verschwindet der Schwa-Laut am Wortende häufig zugunsten einer etwas verstärkten Stimmhaftigkeit des [n]. Auf dies Weise kann es im Deutschen zu Konsonantenclustern von bis zu sechs Konsonanten kommen; eine Konsonantenhäufung, die sich ansonsten nur noch im Arabischen findet...

    4.2.2 1. Exkurs: "Lautspracherwerb nach Jakobson"

    Jakobson: Russischer Sprach- und Literaturwissenschaftler, zunächst in Moskau tätig. In den 20er Jahren zog er nach Prag (Prager Schule, Prager Strukturalismus). Nachdem die Nazis die Tschechoslowakei "annektierten", floh er nach Paris, später nach Amerika. In den 50ern kehrte er nach Paris zurück.

    In den 40er Jahren erforschte er die Reihenfolge des Erwerbs der einzelnen Sprachlaute. Er kam zu der Erkenntnis, daß nicht der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Laute in erster Linie über die Erwerbsreihenfolge entscheidet: Entscheidend ist, wie gut der Laut von den Mund-Lippenbewegungen (z. B. der Eltern) abgeschaut werden kann; d. h. also: je offensichtlicher die Bildung eines Lautes ist, um so früher wird er erworben.
     
     

    Dementsprechend sind die ersten Sprachlaute die mit der offensichtlichsten Opposition:

    1. Gegensatz: auf - zu

    [a] (1. Vokal) vs. [p] oder [m] (selten [t]) (1. Konsonant)

    2. Gegensatz: nasal - oral

    [m] vs. [p] (je nachdem, welcher der beiden mit dem 1. Gegensatz
    erworben wurde, folgt nun der andere. Dieser Schritt
    folgt erst, wenn das Kind mit den zwei verschiedenen
    Lauten auch zwei verschiedene "Dinge" (z. B. "Mama!"
    im Unterschied zu "Papa!", und nicht einfach "Bezugs-
    person!" meinen kann.)

    3. Gegensatz: labial - dental (bzw. bei uns: alveolar)

    [p] vs. [t] oder / und [n]

    Dieses Cluster – p, t, m, n – bezeichnet Jakobson als den sog. "Minimalen Konsonantismus": Diese Laute erwirbt das Kind zuerst, und auch in der historischen Entwicklung der menschlichen Sprache standen sie wohl am Anfang – dafür spricht, daß es weltweit keine Sprache gibt, die diese Laute nicht kennt!

    4. Gegensatz: breit - eng

    [a] / [ä ]         [i]

    [a] und [ä ] können zunächst gleichzeitig vorhanden sein und beliebig oder kombinatorisch (d. h. abhängig von der Lautumgebung) produziert werden. Wenn diese Unterscheidung eindeutig möglich ist, wird das [i] gelernt.

    5. Gegensatz: palatal - velar

    [i] vs. [u]

    Dieses Cluster – a, i, u – bezeichnet Jakobson als "Minimalen Vokalismus" (vgl. oben!)

    Wenn diese Gegensätze erworben wurden, folgen nach und nach die übrigen Laute. Für diese gibt es keine feste Reihenfolge mehr. Es gelten jedoch einige Gesetzte:

    1. Gesetz der einseitigen Fundierung: "Bevor ein bestimmter Laut erworben werden kann, muß ein bestimmter anderer vorhanden sein." – Und zwar müssen immer zuerst die Extreme vorhanden sein, bevor deren Abstufungen erscheinen können, also:

    - Verschlußlaut ([p] / [t]...) vor dem entsprechenden Engelaut ([f], [s]...)

    - vorderer Konsonant ([p], [t]...) vor hinterem Konsonant ([k]...)

    - Engelaut ([f], [s]...) vor Affrikate ([pf], [ts]...)

    - Oralvokale (im Deutschen nur solche vorhanden) vor Nasalvokalen (z. B. im Französischen)

    Dies gilt entsprechend auch immer für Sprachsysteme! Es gibt also z. B. durchaus Sprachen, die zwar Engelaute kennen, aber keine Affrikaten, aber nicht umgekehrt!!! Nasalvokale sind z. B. auch nur in wenigen Sprachen vorhanden.

    Zur Erinnerung: Das Kind entwickelt zunächst Muster (sensorische und motorische) für buchstäblich alle möglichen Laute. Anhand dieser Muster beginnt es dann, Laute die es hört zu identifizieren ("Welche Bewegung hat den Laut ausgelöst?") und zu imitieren; auf diese Stufe bezieht sich Jakobsons Theorie: Wenn es hier also heißt, das Kind erwerbe erst diesen, dann jenen Laut, so ist damit nicht gemeint, daß das Kind den Laut im eigentlichen Sinne des Wortes lernt (den kann es längst!) – es lernt nur, die Laute, bzw. noch genauer und gut strukturalistisch: die Unterschiede zwischen ihnen sensorisch zu identifizieren, wobei es die größtmöglichen Unterschiede zuerst identifiziert.

    1. das "Gesetz der gleichen Abstände": Wenn das Kind zu zwei in Opposition liegenden Lauten einen dritten, dazwischen liegenden hinzunimmt, so lokalisiert es diesen genau in der Mitte der beiden vorangegangenen Laute. Kommt nun noch ein vierter Laut auf dieser Ebene hinzu, wird das ganze Schema neu organisiert: die beiden zwischen den absoluten Oppositionen liegenden Laute "dritteln" gewissermaßen die Strecke dazwischen.

    Anmerkungen zum Spracherwerb bei Mehrsprachigkeit:

    Da dem eigentlichen Spracherwerb ja immer ein Phase vorgeschaltet ist, in der das Kind alle möglichen Laute ausprobiert und beim eigentlichen Spracherwerb nur noch die nicht benötigten Laute verlernt werden, bedeutet Mehrsprachigkeit keineswegs eine Überforderung des Kindes. Es muß nur ein Mehr an Differenzierung bewahren (wenn die beiden Sprachen zusammen ein größeres Lautinventar haben als die einzelnen Sprachen) bzw. weniger vergessen. Das Problem beim gleichzeitigen Erwerb mehrerer Sprachen ist allenfalls die Bewahrung einer sauberen Trennung zwischen den einzelnen Sprachsystemen. Diesem Problem kann man begegnen, indem man die einzelnen Sprachen strikt nach äußeren Gegebenheiten trennt, also z. B. nach Personen (Mama = Englisch, Papa = Deutsch o. ä...) oder nach sozialen Räumen (Familie = Französisch, Kindergarten / Spielgefährten = Arabisch...) usw.

    4.2.3 2. Exkurs: Sprachpathologien

    Definition Aphasien: Erworbene (also nicht angeborene und nicht allmählich durch Abbauprozesse entstandene) Sprachstörungen als Folge einer Schädigung des zentralen Nervensystems.

    Begriffsklärung "Zentrales Nervensystem": Platt gesagt: Zum zentralen Nervensystem gehören alle nicht peripheren Systeme (wer hätt´s gedacht...). Periphere Systeme sind z. B. die Zentren für die Wahrnehmungen der einzelnen Sinnesorgane: Visuelles, akustisches, taktiles, olfaktorisches Wahrnehmen – hierfür gibt es einzelne, jeweils klar umgrenzte Zentren im Gehirn. Zentrale Prozesse dagegen – wie z. B. die Sprache – sind nicht zentriert, d. h. auf bestimmte Regionen beschränkt.

    Aphasien betreffen sowohl rezeptive wie produktive Prozesse (also sowohl das Sprachverständnis als auch das Sprechen) in sämtlichen Modalitäten (Lesen, Schreiben, Hören, Sprechen...) und auf allen Ebenen (Phonologie, Lexikon, Syntax, Semantik).

    Die Ursachen für Aphasien sind v. a. Schlaganfälle (d. h. im Blut bildet sich ein Gerinsel, dieses setzt sich in einem Blutgefäß im Gehirn fest und verstopft dieses, so daß die Region, die durch dieses Gefäß versorgt wird, nicht mehr durchblutet ist; das hat fatale Folgen, da Nervenzellen weder Sauerstoff noch Nährstoffe speichern können und nach ca. sieben Minuten ohne Versorgung absterben; außerdem wachsen sie im Gegensatz zu anderen Zellen nicht nach wenn sie abgestorben sind, sie sind also unwiederbringlich verloren.).

    Andere Ursachen können sein: Verletzungen (z. B. durch Unfall), Krankheiten (v. a. entzündliche Prozesse), Tumoren und andere sog. raumfordernde Prozesse (ein Tumor verdrängt zunächst das Nervengewebe, quetscht es zusammen und behindert so die Durchblutung, ggf. kann er auch das umgebende Gewebe zerstören), Intoxikationen, Sauerstoffmangel etc.

    Die Diagnose erfolgt durch Sprachtests (Nachsprechen, Schreiben, Lesen, Benennen, Verstehen, Spontansprache...; z. B. AAT) sowie durch bildgebende Verfahren (CT) – durch diese lassen sich mehr oder weniger große "Löcher" im Gehirn erkennen.

    Aphasien bilden sich häufig durch Spontanremision ganz oder teilweise zurück, im Übrigen werden durch geeignete sprachtherapeutische Maßnahmen Besserungen erzielt.
     
     

    Es gibt vier Standardsyndrome:

    1. Amnestische Aphasie (die leichteste Form)

    2.  

       
       
       
       
       

      "Nur" Wortfindungsstörungen, sowohl in der Spontansprache als auch in Benenntests. Ansonsten sind Sprachproduktion und Verstehen nahezu unbeeinträchtigt. Die Patienten müssen nur sehr häufig nach Wörtern suchen, sie sind aber leicht deblockierbar, z. B. durch Geben von Anlaut, Lückensatz o. ä. Die Einträge im Lexikon sind also erhalten, nur der Abruf ist gestört.
       
       

    3. Broca-Aphasie (auch: Motorische Aphasie)

    4.  

       
       
       
       
       

      Die Syntax ist stark vereinfacht – sog. Agrammatismus: Die Äußerungen bestehen oft nur aus Ein- bis Drei-Wort-Sätzen, sind im "Telegrammstil" gehalten. Der Sprachfluß ist stockend und wirkt mühsam. Der Patient ringt um die Worte. Die Artikulation ist oft undeutlich, verwaschen und ebenfalls mühsam, die Prosodie ist gestört, oft einförmig. Das Sprachverständnis ist noch relativ gut, die Selbstwahrnehmung und das Störungsbewußtsein ebenfalls.
       
       

    5. Wernicke-Aphasie (auch: Sensorische Aphasie)

    6.  

       
       
       
       
       

      Die Syntax ist zwar komplex angelegt, d. h. es werden komplizierte Satzkonstruktionen begonnen, jedoch nicht zu Ende geführt, sondern verschiedene Konstruktionen überlagern sich, werden abgebrochen, neue begonnen usw. (sog. Paragrammatismus). Die Patienten haben oft einen starken Rededrang und können ihren Redefluß kaum noch stoppen (sog. Logoroeh). Das Sprachverständnis ist stark gestört, die Patienten haben oft nur wenig Störungsbewußtsein. Die Prosodie und Artikulation scheinen mühelos.
       
       

    7. Globale Aphasie

    Schwerste Form der Aphasie. Starke Störungen in allen Bereichen. Die Patienten verstehen kaum noch etwas, ihre Produktion ist ebenfalls extrem reduziert und häufig auf Echolalien (also Nachsprechen dessen, was der Gesprächspartner gerade gesagt hat, ohne dies jedoch zu verstehen), automatisierte Reihen (Wochentage, Monatsnamen, Zahlen...) oder Floskeln beschränkt. Häufig sind die Patienten halbseitig (rechts) gelähmt (Hemiplegie / -parese).

    Eine Sonderform der Aphasie ist die sog. Leitungsaphasie. Hierbei ist das Nervenfaserbündel, das Broca- und Wernicke-Region verbindet, das sog. Fasziculus arquatus gestört oder unterbrochen. D. h. die unmittelbare Interaktion dieser beiden Regionen funktioniert nicht mehr, sie sind nur noch über den Umweg der inhaltlichen Interpretation miteinander verbunden. Im Test läßt sich das z. B. nachweisen als die Unfähigkeit der Patienten, Nonsenswörter (also Lautfolgen, die zwar den deutschen Lautgesetzten Genüge tun, aber bedeutungslos sind: Garb, Ulik, Murf ...) nachzusprechen. Dies ist nur möglich über die direkte Verbindung zwischen Wernicke- und Broca-Region; in der Wernicke-Region treffen die akustischen Stimuli ein und werden auch – so weit als möglich – adäquat bearbeitet. Aber da es für dieses Lautmuster keine Verbindung zur Semantik gibt und die zur motorischen Broca-Region unterbrochen ist, erhält die letztere keinen Input und kann somit auch keinen Output produzieren. Inhalttragende Wörter können die Patienten dagegen deutlich besser nachsprechen. Spontansprachlich und hinsichtlich des Sprachverständnisses sind sie weitgehend unauffällig.

    Auch wenn jetzt hier die ganze Zeit von Broca- und Wernicke-Regionen (wohlgemerkt: nicht "Zentren"!) die Rede war – es sei nochmals darauf hingewiesen, daß Sprache ein zentraler Prozeß und damit nicht in klar umgrenzten Gebieten im Gehirn "angesiedelt" ist! Vielmehr sind überall im Gehirn, auch in der rechten Hemisphäre, sprachrelevante Bereiche zu finden (die vielleicht teilweise nur noch nicht so klar lokalisiert wurden wie Broca- und Wernicke-Region). Es ist heutzutage nicht mehr legitim, von Sprachzentren zu sprechen! Es ist zwar wohl richtig, daß Läsionen in diesen beiden Arealen häufig mit Sprachstörungen einhergehen, deswegen aber zu postulieren, daß die beeinträchtigten Leistungen hier und nur hier erbracht worden wären, ist ein Denkfehler; dies wurde mit Hilfe der sog. "Motor-Metapher" erklärt:

    "Wenn bei einem Auto der Benzinschlauch ein Loch hat, so daß das Benzin nicht mehr in den Motor gelangt und dieser also stehen bleibt, würde man bei einem Blick auf den lädierten Benzinschlauch ja auch nicht auf die Idee kommen, daß an der Stelle, wo sich das Loch befindet, vorher die Leistung erbracht worden sei, die den Wagen vorantrieb." Entsprechendes gilt für die Aphasien und die Läsionen in diesen bestimmten Regionen: Mit Sicherheit passierte dort irgend etwas, was für die Sprache unerläßlich war; deswegen aber anzunehmen, daß die gesamte sprachliche Leistung dort erbracht worden sei, ist nicht haltbar. Offensichtlich liegt irgendein Diskonnektionismus vor, d. h. irgendwelche unerläßlichen Verbindungen zwischen verschiedenen sprachrelevanten Bereichen sind beeinträchtigt; mehr läßt sich aber nicht sagen. Weiter gute Argumente gegen die Zentrierung der Sprachleistungen in diesen klar umgrenzten Regionen ist die Tatsache, daß es Fälle mit winzigen Läsionen und umfangreichen sprachlichen Defiziten gibt, solche mit riesigen Läsionen und nahezu keinen sprachlichen Auffälligkeiten und solche, bei denen die Läsion eher im Broca-Areal liegt, das Störungsbild aber eher an Wernicke erinnert (oder umgekehrt).
     
     
     

    5. Block

    5.1 Wiederholung

    Stimmhaftigkeit? Stimmlippen flattern!

    Stimmlippen flattern? d. h. die Stimmlippen sind geschlossen; dahinter staut sich die Atemluft, so lange, bis der Luftdruck zu groß wird; der öffnet dann die Stimmlippen kurz, es strömt ein "Klumpen" Atemluft aus; wenn auf diese Weise der Luftdruck gesenkt wurde, schnellen die Stimmlippen wieder zusammen und schließen so die Stimmritze. Die Luft staut sich wieder usw. Auf diese Weise entsteht eine Reihe von gleichmäßigen Luftdruckschwankungen = Töne.

    Vokale? sind immer stimmhaft, d. h. die Stimmlippen flattern (s. o.). Der auf diese Weise gleichmäßig geformte Luftstrom wird nicht durch irgendwelche Hindernisse gestoppt / gebremst: Der unterschiedliche Klang der verschiedenen Vokale entsteht nur durch den jeweils unterschiedlichen Resonanzraum (gebildet durch Öffnungsgrad des Unterkiefers, Rundung der Lippen)

    Konsonanten? können stimmhaft o. stimmlos sein (d. h. Töne + Geräusch oder nur Geräusche (Konsonanten sind immer zumindest auch Geräusche!)). Luftstrom wird durch d. Artikulatoren manipuliert, d. h. es entstehen Verwirbelungen d. Luftstroms.

    /h/ ? Kein Resonanzraum, kein Flattern der Stimmlippen, von daher Konsonant; keine Manipulation durch Artikulatoren, von daher auch vokalische Anteile.
     
     

    5.2 Neuer Stoff: Von der Phonetik zur Phonologie zur Morphologie

    Frage: Wozu hat man überhaupt all diese verschiedenen Artikulationen?

    Antwort: Ganz einfach um ausreichend viele verschiedene Laute zu haben, um all die verschiedenen Wörter codieren zu können.

    Man spricht in diesem Zusammenhang von der Sonorität der verschiedenen Laute: Unter Sonorität eines Lautes versteht man die Mixtur seiner verschiedenen Merkmale als Unterscheidungskriterien gegenüber anderen Lauten.

    Die Sonorität einzelner Laute läßt sich auf der folgenden Sonoritätsskala darstellen:

    5.2.1 Sonorität / Sonoritätsskala:


     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

    Extreme Sonoritätsunterschiede werden in allen Sprachen der Welt aus Gründen der Sprach-
    ökonomie vermieden: Laute, die auf der o. g. Sonoritätsskala weit auseinander liegen (~ extremer Sonoritätsunterschied), würden, direkt hintereinander gesprochen, eine erhebliche motorische Anstrengung der Artikulatoren erfordern; diese wird vermieden.

    Ebenso wird eine zu große Minimierung der Sonoritätsunterschiede überall vermieden: Die einzelnen Laute wären sonst nur noch schwer von einander unterscheidbar.
    Bsp.:


     

    5.2.3 Phon – Phonem - Allophon

    Ein Phon ist also ein nicht weiter klassifizierter Laut, eine Lautbildung, noch nicht nach Funktionalität unterschieden. Man verwendet sie, so lange es nur um die Segmentierung einer Lautkette geht.

    Ein Phonem ist dagegen ein klassifizierter Laut, d. h. es wurde mit Hilfe eines Minimalpaares festgestellt, daß in einer Kette von Lauten (...einem Wort...) ein Bedeutungsunterschied entsteht, wenn man diesen einen Laut durch einen anderen ersetzt. Es ist funktional, es ist bedeutungsrelevant.
     
     

    Ein Phonem ist also die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer Sprache !!!


    5.2.4 Kombinatorische Allophone – frei wählbare Allophone

    Kombinatorische Allophone

    Wie das o. g. Beispiel zeigt, gibt es offenbar für (manche) Allophone – wie z. B. aspirieretes vs. nicht aspiriertes /k/ - feststehende Regeln, wann sie verwendet werden: Wie oben beschrieben, werden die beiden Varianten des /k/ in Abhängigkeit von der lautlichen Umgebung gewählt – das eine vor Vokalen, das andere vor Konsonanten. Allophone dieser Art nennt man kombinatorische Allophone, weil sie eben jeweils in Abhängigkeit, d. h. in Kombination mit bestimmten anderen Phonen auftreten. D. h. wo das eine steht, darf korrekter Weise das andere nicht stehen und umgekehrt – das nennt man komplementäre Distribution oder komplementäre Verteilung.

    Frei wählbare Allophone

    Es gibt aber auch Allophone, für die es keine Regeln gibt, wann welches Allophon steht. Ein Beispiel hierfür wären die Allophone des /r /-Phonems: Ob ich "Recht", "Rübe", "Rhabarber" etc. mit frikatives Rachen-R, [r ] (rollendes Zäpfchen-R) oder [R ] (Zungenspitzen-R) spreche ist völlig egal und folgt auch keiner Ausspracheregel (es verrät allenfalls etwas über die Herkunft des Sprechers – Zungenspitzen-R wird v. a. im bayerischen Dialektraum gesprochen). Solche Allophone nennt man frei wählbare Allophone.

    5.2.5 Phonetik - Phonologie

    Es geht also inzwischen nicht mehr um die reine Beschreibung der Lautbildung und die Segmentierung von Lautketten in Laute – das war Gegenstand der Phonetik.

    Jetzt geht es um die funktionale Beschreibung der Laute (also welche Funktion sie haben, wie sie im Zusammenhang mit anderen Lauten funktionieren...); es geht darum, die Laute zu klassifizieren – das ist der Gegenstand der Phonologie.

    5.2.6 Saussure und die Phonetik / Phonologie

    Erst die Phonologie gehört im engeren Sinne zur Sprachwissenschaft; die Phonetik ist eigentlich noch Biologie und Physik; erst wenn man sich mit Phonemen beschäftigt, befindet man sich auch "innerhalb des de Saussurschen Zeichens", nämlich im Bereich der images (nur die Abschnitte B und C stellen das Zeichen dar!). Wir erinnern uns an Saussures zweiseitiges Zeichenmodell. Phonetik und Phonologie werden den Bereichen A und B zugeordnet:


     
     

    5.2.7 Phonologie + Morphologie

    Die Begriffe der Phonologie finden ihre direkte Entsprechung in der Morphologie:

    Dem Phon entspricht das Morph,

    " Phonem " Morphem,

    " Allophon " Allomorph.

    So wie sich die Phonologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der einzelnen Sprachlaute (Phoneme) beschäftigt, so beschäftigt sich die Morphologie mit der Klassifizierung und funktionalen Beschreibung der nächstgrößeren Einheit, den Morphemen.

    5.2.8 Morph, Morphem und Allomorph

    Morph: noch nicht weiter klassifizierte Lautfolge (Folge von Phonemen).

    Morphem: Eine nach ihrer funktionalen Bedeutung klassifizierte bedeutungstragende Lautfolge, ein (Bestandteil eines) Wort(es), das genau einen Inhalt, eine Bedeutung transportiert.

    Ein Morphem ist also die kleinste bedeutungstragende Einheit einer Sprache

    Allomorphe: Phänomenologisch verschiedene Lautfolgen (also aus jeweils anderen Lauten bestehend), die aber die gleiche Funktion, also die gleiche Bedeutung haben, und deshalb zu ein und dem selben Morphem gehören. (z. B. alle Morpheme, die die Bedeutung "Plural" transportieren: -er, -en, -s, -e, sind Allomorphe des Plural-Morphems; sie klingen anders, werden anders gebildet, bestehen aus jeweils verschiedenen Lauten, haben aber alle die gleiche Bedeutung: Plural!)

    Nochmals zurück zu den Morphemen:

    Jedes Wort besteht also aus einem oder mehreren Morphemen:

    "Auto|s" besteht aus zwei Morphemen: 1. Auto-: "motorgetriebenes, vierrädriges Fahrzeug"

    2. –s: "Plural; mehr als eines"

    "Boot|e" besteht auch aus zwei Morphemen: 1. Boot-: "kleines Wasserfahrzeug" o. ä.

    2. –e: "Plural; mehr als eines"

    "lach|-|st" besteht aus drei Morphemen: 1. lach-: "Lautäußerung, die Heiterkeit ausdrückt"o.ä.

    2. -( -, sog. Nullmorphem: "Tempus: Präsens"

    3. –st: "Numerus: 2. Pers. Singular"

    "lach|t|est" besteht auch aus drei Morphemen: 1. lach-: wie oben

    2. –t-: "Tempus: Präteritum"

    3. –est: "Numerus: 2. Pers. Singular"
     

    5.2.9 Kombinatorische und frei wählbare Allomorphe

    Wie es bei den Phonemen die kombinatorischen Allophone gibt (s. o.), so gibt es entsprechend bei den Morphemen die kombinatorischen Allomorphe.

    Beispiele hierfür sind die beiden Allomorphe –s ("Auto/s") und –e ("Boot/e") des Plural-Morphems sowie die beiden Allomorphe –st ("lach/st") und –est ("lach/t/est") des 2.Pers.Sing.-Morphems aus dem obigen Beispiel: Auch wenn sie jeweils das selbe bedeuten, kann ich sie selbstverständlich nicht beliebig verwenden; welches ich verwenden muß, hängt wiederum davon ab, in welcher Umgebung es steht, konkret: welchem lexikalischen Morphem (s. u.) es die Bedeutung "Plural" anfügen soll – "Autoe" ist eindeutig falsch, auch wenn –e im Prinzip das selbe bedeutet wie –s.

    Ob ich als 2.Pers.Sing.-Morphem –st oder –est verwende, hängt mit der lautlichen Umgebung zusammen: "normalerweise" verwende ich –st; wenn aber dieses apiko-alveolare Lautcluster auf ein Morphem folgen würde, dessen Schlußlaut am selben Artikulationsort gebildet wird (wie z. B. das Präteritum-Morphem –t), der Sonoritätsunterschied und damit die Deutlichkeit also zu klein würde, dann muß ich statt dessen –est wählen.

    Auch die kombinatorischen Allomorphe sind also komplementär verteilt: "Wo das eine stehen muß, darf das andere nicht stehen" und umgekehrt: ich sage weder "lach|t|st" noch "lach|( |est" (außer wenn ich mich betont "geschwollen" ausdrücken will...).

    Es gibt auch einige frei wählbare Allomorphe. "Tür" und "Türe" wären Beispiele hierfür: Ganz egal wo, wie, in welchem Zusammenhang – es ist völlig egal, welches von den beiden ich wähle, sie sind immer beide möglich und richtig, und es bleibt meinem Geschmack überlassen, wofür ich mich entscheide.

    5.2.10 Grammatische und lexikalische Morpheme

    Die Morpheme lassen sich unterteilen nach den sog. lexikalischen und den grammatischen Morphemen.

    Die lexikalischen Morpheme beziehen sich auf die Dinge der Umwelt (i.w.S.), sie sind gewissermaßen die Namen der Gegenstände (sehr salopp ausgedrückt...!). Das sind also die Morpheme wie Türe-, Boot-, lach-, ängst- (von "ängst|lich", "ängst|igen"...) kauf-, schnell- ...

    Diese Klasse von Morphemen ist offen, d. h. sie ist im Prinzip jederzeit und beliebig erweiterbar, und sie wird auch ständig erweitert: lexikalische Morpheme wie "e-mail-", "blade-" gab es bis vor einigen Jahren noch nicht...

    Die grammatischen Morpheme beziehen sich auf die grammatische Funktion eines Dings (i. w. S.) in einem Satz: Sie drücken aus, ob das Ding als Substantiv, Objekt oder Verb gebraucht wird, im Singular oder Plural, in welcher Zeit etc. Beispiele hierfür sind die verschiedenen Affixe (Suffix, Präfix, Infix), wie wir sie oben bereits kennengelernt haben: -e, -s ... für Plural, -t- für Präteritum, -st, -est für 2.Pers.Sing..., aber auch Artikel u. ä., wie z. B. "der", "ein", "des" etc..

    Für die Allomorphe der grammatischen Morpheme gibt es zwei Typen von Verteilung:

    1. nach grammatischen Kriterien - klar: je nachdem, an welcher Stelle im Satz, in Verbindung mit welchem lexikalischen Morphem, in welcher/m Funktion, Tempus, Numerus, Kasus... das Morphem steht.

    2. nach phonetischen Kriterien - je nachdem, welcher Laut vorangeht, welches Allomorph also "bequemer" zu realisieren ist bzw. am besten verstehbar ist.

    5.2.11 double articulation (André Martinet)

    Die Wörter der Sprache (sowohl ihre Laut- als auch ihre Schriftform) lassen sich also in zwei Schritten "auseinandernehmen":

    1. in die einzelnen Morpheme
    2. in die einzelnen Phoneme (bzw. Grapheme).

    Der Franzose André Martinet prägte hierfür den Begriff der double articulation, zu deutsch: Zweifache Gegliedertheit.

    Im Falle der Lautsprache gilt dies für alle Sprachen der Welt! D. h. alle Sprachen der Welt haben in ihrem jeweiligen Lautsystem jeweils ungefähr 30 Phoneme (Min. knapp unter 20, max. knapp über 40, wenn ich mich recht erinnere), aus denen setzen sie die Morpheme zusammen und aus diesen wiederum die Wörter.

    Im Falle der Schriftsprache gilt dies aber nur für die sog. Alphabetschriftsysteme, die jeweils (ungefähr...) pro Phonem ein Schriftzeichen haben, aus diesen die Morpheme und daraus wiederum die Wörter zusammensetzten:
     

    bedeutungsunterscheidend  bedeutungstragend
    ~ 30 Phoneme;

    dem entsprechen

    ~ 30 Grapheme (Buchstaben) in den Alphabetschriftsystemen

    ~ 10.000 Morpheme;

    dem entsprechen

    ~ 10.000 Grapheme in den Bildschriftsystemen. 

    Die Alphabetschriftsysteme sind also offensichtlich sehr viel ökonomischer als die Bildschriftssteme – man muß eben nur einen Bruchteil der Zeichenmenge lernen, die ein Bildschrifsystem beinhaltet, nämlich ca. 30. Dementsprechend braucht man (d. h. ein Kind) ca. 1,2 Jahre um eine Alphabetschrift zu erlernen; um eine Bilderschrift auch nur einigermaßen zu beherrschen, braucht man viele, viele Jahre (~ ungefähr bis zum Abitur, um eine Tageszeitung lesen zu können), letztlich lernt man ein Leben lang.

    Unsere Alphabetschrift geht ursprünglich auf die Phönikier zurück; die Römer übernahmen deren Schriftsystem und änderten es bis (annähernd) zur heutigen Form ab.
     

    5.2.12 Anhang: Die paradigmatische und die syntagmatische Ebene

    (Wurde im Seminar nur kurz im Zusammenhang mit den Minimalpaaren (s. o.) angerissen.)

    Die syntagmatische Ebene ist die ("horizontale") Eben der sequenziellen Abfolge einzelner Elemente (Phoneme, Morpheme) in einem Syntagma (= einer Folge solcher Elemente); die paradigmatische Ebene ist die ("vertikale") Ebene, auf der einzelne Elemente innerhalb eines Syntagmas gegen andere Elemente ausgetauscht werden können:
     
     

  • 6. Block

    6.1 Wiederholung

    Martinet? "Erfinder" der Double Articulation, d. h. der Doppelten Gegliedertheit der Sprachen und der Alphabetischen Schriftsysteme.

    Double Articulation? Die Elemente der Sprache lassen sich in zwei Einheiten untergliedern: in Morpheme und Phoneme.

    Na und? Das ist sehr ökonomisch! Auf diese Weise lassen sich durch wenige Phonem (und v. a. durch wenig Grapheme!) viele, viele Bedeutungen verschlüsseln.

    Schriftsysteme? Alphabetische Schriftsysteme vs. Bildschriftsysteme: Ein alphabetisches Schriftsystem umfaßt nur ca. 30 Zeichen, nämlich ungefähr pro Phonem eines; ein Bildschriftsystem aber ca. 10.000, nämlich ein Zeichen für jedes Morphem!

    Gliederung? Auf beiden Ebenen (der phonologischen und der morphologischen) läuft sie total parallel – zuerst:

    Segmentierung in Phone bzw. Morphe, dann:

    Klassifizierung in Phoneme / Allophone bzw. Morpheme / Allomorphe.

    Minimalpaar? Wenn sich im Substitutionstest keine Minimalpaar finden läßt, handelt es sich um Allophone eines Phonems.

    Komplementäre Verteilung? = Verteilung nach festen Regeln! Die Verteilung erfolgt aufgrund der Sprachökonomie: Es ist einfacher, nacheinander zwei Laute zu artikulieren, deren Artikulationsorte nahe beieinander liegende als welche, deren Artikulationsorte weit entfernten sind.

    Verteilung nach welchem Prinzip? Kombinatorische Allophone sind nach lautlichen / artikulatorischen (s. o. die Allophone des /x/-Phonems) Kriterien verteilt.

    Pluralmorphem? Enthält im Deutschen neuen verschiedene Allomorphe!!! (Ökonomie?!)

    Verteilungsregeln der Morpheme? Nach zwei Prinzipien:
    1. nach dem grammatischen Kontext (z. B. lang- vs. läng-: läng- steht nur in den Steigerungsformen);
    2. nach Artikulatorischen Kriterien: -st und –est sind beides Allomorphe des Zweite-Person-Singular-Morphems – wann welches davon steht, hängt davon ab, welcher Laut diesem Allomorph vorangeht: Ist dies ein Konsonant mit gleichem Artikulationsort wie [s], [t] so folgt –est, sonst –st.

      1. Neuer Stoff: Vertiefung Morphologie / Einstieg in die Syntax

    6.2.1 Vertiefung Morphologie

    ... und was ist mit Wörtern wie

    (gut) – besser – (am) besten?

    Wieviele Morpheme haben die nun? Nur eines? Oder zwei?

    Antwort: Zwei Morpheme!: Bess/er

    Und wie verhalten sich dann gut und bess- zueinander?

    Ganz klar: Sie sind Allomorphe eines Morphems!

    Daraus ergeben sich die zwei Fragen nach der Verteilung:

    1. Sind sie komplementär oder frei wählbar verteilt?

    2.  

       
       
       
       
       

      ntwort: gut/er als Steigerungsform?!?!? – Wohl kaum! Also: Natürlich komplementär!!!
       

    3. Und nach welchen Kriterien sind sie verteilt?

    Antwort: nach grammatischen Regeln! bes(s)- steht nur bei den Steigerungsformen.

    Alles klar! Oder? Hmmm...

    Wenn man aber die beiden Reihen

    gut – besser – am besten

    schön – schöner – am schönsten

    miteinander vergleicht, d. h. v. a. ihre Superlativformen, läge eigentlich die Schlußfolgerung nahe, daß –sten das Superlativ-Morphem ist! Dann bleibt für das lexikalische Morphem aber nur noch be- statt bes-?!

    Antwort: Genau! – Wenn man so will. D. h. die Frag, wo denn das -s- nun hingehört, ist nicht klar entscheidbar: Sowohl die Segmentierung in be/sten als auch die in bes/ten ist denkbar.

    D. h. ich muß immer ein Morphem um ein Allomorph erweitern:

    Entweder das /gut/-Morphem, das bislang die Allomorphe /gut/, /bess-/, /bes-/ enthält um /be-/ oder das Superlativmorphem, das bislang nur /-sten/ enthält um das Allomorph /-ten/ - an irgendeiner Stelle im System wird’s also ein bisserl komplizierter – wo, das kann ich mir aussuchen...

    6.2.1.2 Suppletivwesen

    Darunter versteht man die Kombination ursprünglich verschiedener Wörter zu (semantischen) Einheiten, um so alle Allomorphe durchlaufen zu können. Ein gutes Beispiel ist hierfür das Hilfsverb "sein": Hier gibt es heute die Allomorphe /sein/, /bi-/, /ist/, ... /war-/ etc. Diese verschiedenen Allomorphe gehen auf drei ursprünglich völlig verschiedenen Wörter zurück, nämlich "sin", "wessan" und "ben".
     
     

    6.2.2 Einstieg in die Syntax

    Eine Äußerung besteht also offenbar aus der Abfolge von kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, d. h. aus der Summe der einzelnen Bedeutungen dieser Einheiten. Oder?

    Das hieße also: A + B + ... = X

    Morphem a Morphem b Morphem ... Bedeutung von Satz x

    Hm. Und bekanntlich gilt ja A + B = B + A.

    Also: zwei/hundert = hundert/zwei.... und Bier/faß = Faß/bier...?

    Wohl doch nicht so ganz. Offensichtlich wird die Bedeutung der Morphemsequenz doch noch durch etwas anderes bestimmt als nur die Bedeutung der einzelnen Morpheme /zwei/ und /hundert/ bzw. /bier/ und /faß/ - nämlich durch die Art und Weise, in der diese aufeinander folgen.

    Im Falle der Zahlwörter gilt offenbar:

    6.2.3 Nichtsegmentale Ausdrucksweise

    Offenbar gibt es also Bedeutungselemente, die nicht durch die bekannte segmentale Ausdrucksweise codiert werden, dies ist dann eine nichtsegmentale Ausdrucksweise! D. h. diese Bedeutungselemente kann ich nicht durch Segmentierung in Morpheme isolieren; sie werden nur durch die Art, wie die Morpheme miteinander kombiniert sind, vermittelt.

    Demnach bedeutet die Sequenz

    Klaus kommt nicht unbedingt das gleiche wie

    kommt Klaus ?

    Wir suchen nun also nach den Regeln, wie die einzelnen Elemente in einem Satz kombiniert werden müssen, damit der Satz korrekt ist bzw. eine ganz bestimmte Bedeutung hat.

    Bleiben wir zunächst bei den Aussagesätzen.

    Der Satz Klaus kommt. legt die Vermutung nahe, daß in einem Aussagesatz das finite Verb immer an zweiter Stelle steht. Aber wie sieht das dann z. B. aus bei dem Satz Der Mann kommt.? Da steht das finite Verb an dritter Stelle! Also steht es immer am Schluß? Aber was ist dann mit Heute kommt meine Tochter.? Also:

    Klaus kommt.

    Der Mann kommt.

    Heute kommt meine Tochter.

    - auf den ersten Blick ist hier kein rechtes Prinzip zu erkennen. Aber irgendwie lassen sich die Sätze sozusagen "intuitiv" in einzelne Teile gliedern, etwa so:

    Klaus kommt.

    Der Mann kommt.

    Heute kommt meine Tochter.

    Hier fällt auf, daß das finite Verb ("kommt") immer als zweiter Teil in der Sequenz steht (während es bei einem Fragesatz an erster Stelle stehen würde). Jetzt sollte man nur noch von dieser "intuitiven" Eben weg kommen und ein Prinzip finden, nach dem hier einzelne Wörter in zusammenhängende Teile zusammengefaßt wurden... Und dazu begibt man sich mal wieder auf die paradigmatische Ebene und bedient sich des Substitutionstests, fragt sich also, wodurch denn die einzelnen Teile ersetzbar wären.
     
     

    6.2.4 Substitutionstest

    In unserem Beispiel widerspricht ja nur der zweite Satz, Der Mann kommt. der Theorie von der Zweitplatzierung des finiten Verbs. Es gilt also, mittels Substitutionstest ein einzelnes Morphem zu finden, das den Teil Der Mann ersetzen könnte, ohne daß der Satz ungrammatisch wird.

    Gibt´s sowas?

    Na klar: Der Mann ist ohne weiteres ersetzbar durch Er – und damit würde auch dieser Satz perfekt ins Schema passen.

    Nach diesem Prinzip lassen sich wahre "Bandwürmer" zu einem einzigen Teil zusammenfassen:

    Der alte Mann, der lange nichts von seinen Kindern aus Frankreich gehört hatte, // ging nach Hause.

    Auch bei diesem "Monsturm" läßt sich der gesamte, aus immerhin dreizehn Wörtern bestehende erste Teil (bis zum Zeichen // ) durch ein schlichtes Er ersetzen – das finite Verb ging steht damit wieder an zweiter Stelle.

    Die syntagmatische Anordnung der Teile eines Satzes trägt also etwas zur Bedeutung bei! Das heißt, diese Anordnung hat im besten de Saussurschen Sinne Zeichencharakter.

    Und mit dieser Anordnung der Satzteile bzw. den Regeln, nach denen solche Sequenzen aufgebaut werden, beschäftigt sich die Syntax.

    Nochmals zurück zum obigen "Monstersatz":

    Nicht nur der erste Teil vor // ist auf der paradigmatischen Ebene durch ein einziges Morphem ersetzbar – dies gilt auch für den zweite Teil hinter //: Der kann z. B. durch "schläft" ersetzt werden. Also besteht dieser elendslange Satz offenbar letztlich nur aus zwei Teilen.

    6.2.5 Kommutationstest oder Permutationstest

    Die einzelnen Teile eines Satzes lassen sich nicht nur auf der paradigmatischen Ebene durch den Substitutionstest ersetzen; man kann sie auch auf der syntagmatischen Ebene durch den sog. Kommutationstest oder Permutationstets, zu deutsch also ein Umstellungstest, verschieben. D. h. die mutmaßlichen Teile des Satzes werden in ihrer syntagmatischen Reihenfolge variiert – solange dabei weiterhin grammatikalisch korrekte Sätze entstehen, ist damit der Beweis erbracht, daß es sich bei den umgestellten Teilen offensichtlich tatsächlich um zusammenhängende Einheiten handelt.

    Bsp.:

    Der jüngere Mann // schenkt // ihr // rote Rosen.

    // bedeutet die "mutmaßlichen" Grenzen der einzelnen Teile. Und tatsächlich:

    Rote Rosen // schenkt // ihr // der jüngere Mann.

    Schenkt // der jüngere Mann // ihr // rote Rosen?

    Schenkt // ihr // der jüngere Mann // rote Rosen?

    (Ich habe gesehen, daß) der jüngere Mann // ihr // rote Rosen // schenkt.

    sind allesamt ebenfalls grammatikalisch korrekte Sätze. Dagegen wäre etwa

    * jüngere Der Mann // ihr // schenkte // Rosen rote.

    gänzlich ungrammatisch – die Umstellung erfolgte hier auch innerhalb der "gemutmaßten" Satzteile. Der Kommutationstest war also erfolgreich.

    Es hängen also einzelne Wörter in einem Satz, nämlich die der einzelnen Teile, fester / enger miteinander zusammen als andere – diese besonders eng zusammenhängenden Wörter können nicht einfach getrennt / umgestellt werden, sonst wird der Satz ungrammatisch : Der Satzteil Der jüngere Mann ist ein Beispiel dafür.

    Diese Zusammenhänge werden in den sog. Stammbäumen dargestellt:
     
     

    6.2.6 Ein Stammbaum

     

    In dieser Darstellung unterscheidet man zwischen Knoten und Kanten: Knoten sind da, wo verschiedene Linien zusammentreffen, Kanten verlaufen entlang der einzelnen Linien.

    Ein solcher Stammbaum bildet Teil-Ganzes-Beziehungen ab, nämlich die Beziehung der einzelnen Satzteile zum ganzen Satz, bzw. die der einzelnen Wörter / Morpheme zum jeweils übergeordneten Teil.

    Es handelt sich nicht um eine Element-Klasse-Beziehung! (Bsp. Ein einzelner Stuhl ist ein Teil des Ganzen "Menge aller Stühle" – dies ist also eine Teil-Ganzes-Beziehung. Aber die Stühle sind ein Element der Klasse "Mobiliar" – also eine Element-Klasse-Beziehung.)

    6.2.7 Konstituenten-Struktur-Grammatik und IC-Analyse

    Die Syntax, als die Lehre von der syntagmatischen Abfolge der Teile eines Satzes, gehört offensichtlich in den Bereich, den man in der Schule pauschal als "Grammatik" bezeichnet. Aber diese spezielle Vorgehensweise, die Aufschlüsselung und Darstellung eines Satzes in solchen Stammbäumen, sind doch wohl etwas ganz anderes als die gute alte Schulgrammatik. Wie soll man also diese spezielle Art von Grammatik nennen?

    Da sie sich mit der Untergliederung des Satzganzen in seine Teile, seine Konstituenten (von engl.: constituents) sowie der Beziehung dieser Teile zueinander, kurz: der Struktur (engl.: structure) des Satzes beschäftigt, nennt man sie Konstituenten-Struktur-Grammatik. Es werden also wie gesagt Teil-Ganzes-Beziehungen dargestellt.

    Das Vorgehen, einen Satz in solch einem Stammbaum darzustellen, nennt man IC-Analyse (v. engl.: "immediate-constituents–analyse"), da sie den Satz in seine unmittelbaren Teile (seine immediat constituents), nämlich die oben beschriebenen Satzteile zerlegt, diese Satzteile wiederum in ihre unmittelbaren Teile, z. B. Wörter oder zumindest noch kleiner Teile, die Wörter wieder in die unmittelbaren Konstituenten, die Morpheme etc., also die jeweils übergeordnete Ebene immer in die nächstkleinere Einheit.

    Die einzelnen Teile, die im obigen konkreten Satzbeispiel jeweils eben konkrete Satzteile waren, müssen natürlich in einer Konstituenten-Struktur-Grammatik auch allgemein und abstrakt, eben als Sturktur dargestellt und benannt werden. Dies zeigt die folgende verallgemeinerte Form des obigen Beispiels:
     
     


     

    6.2.8 Teil-Ganzes-Beziehung – Teil-Teil-Beziehung

    Die Beziehung zwischen den jeweils untergeordneten Teilen und dem übergeordneten Satz(teil) ist also wie oben dargestellt eine Teil-Ganzes-Beziehung. Dann müßte es doch aber auch Teil-Teil-Beziehungen geben?

    Klar gibt´s die! Es gibt sogar drei verschiedene:

    1. Bei zusammengesetzten Nomina: Haustür, Bierfaß, Stuhlbein... . Hier bestimmt (= determiniert) der erste Teil des Wortes den zweiten Teil des Wortes näher: Eine Haustür ist nicht irgendeine Tür, sondern die eines Hauses usw. Eine solche Teil-Teil-Beziehung nennt man Determinationsbeziehung.
    2. Aber auch zwischen den Wörtern eines Satzteiles kann es Teil-Teil-Beziehungen geben. So müssen z. B. die einzelnen Teile der Nominalphrase (also z. B. Artikel, Adjektiv und Substantiv) in Nummerus, Kasus und Genus übereinstimmen: Bei der Nominalphrase aus dem obigen Beispiel Der jüngere Mann haben die drei Teile alle den Nummerus "Singular", den Kasus "Nominativ" und das Genus "maskulinum" – Variationen wie Die jüngere Mann, Der jüngeren Mann, Der jüngere Männer... sind eben allesamt grammatisch inakzeptabel. Eine solche Teil-Teil-Beziehung nennt man Morphologischen Kongruenz.

    3. Die Beziehung der Morphologischen Kongruenz gibt es auch zwischen der Nominalphrase und dem finiten Verb der Verbalphrase: Sie müssen in Person und Nummerus übereinstimmen. Beim obigen Beispiel also Der jüngere Mann ist 3. Person Singular, also heißt das finite Verb der Verbalphrase schenkte, und nicht schenktest (2. Pers.) oder schenkten (Plural).
    1. Die Verbalphrase schenkte ihr rote Rosen. aus dem obigen Beispielsatz enthält wie dargestellt u. a. die untergeordnete Nominalphrase Akkusativ rote Rosen. Wir stellen fest: Der Satz wäre grammatisch auch dann noch korrekt, wenn da nur stünde schenkte ihr Rosen. Das rote kann also offenbar auch wegbleiben, ohne die Grammatikalität des Satzes zu beeinträchtigen. Die Rosen könnten hingegen nicht einfach wegbleiben: Die Verbalphrase schenkte ihr rote. wäre (zumindest ohne einen weiteren textuellen Kontext wie z. B. "Ihre Mutter schenkte Martina zum Geburtstag gelbe Rosen" – in einem solchen Kontext wäre natürlich auch der Satz "Der junge Mann schenkte ihr rote." denkbar..) grammatisch falsch weil unvollständig.

    Es besteht also offenbar noch eine besondere, eine Teil-Teil-Beziehung zwischen rote und Rosen: Rote ist von Rosen abhängig, Rosen jedoch nicht von rote. Rote setzt Rosen voraus, aber nicht umgekehrt. Es besteht also eine Einseitigkeit in dieser Beziehung. Man nennt diese Art von Teil-Teil-Beziehung Dependenzbeziehung: Man sagt, es bestehe eine Dependenzbeziehung zwischen rote und Rosen.

    6.2.9 Valenz-Dependenz-Grammatik

    Wie wir nun gesehen haben, gibt es gibt es offensichtlich nicht nur "die Grammatik", wie uns die Schulbücher glauben machen wollen, sondern es gibt viele verschiedenen Grammatiken, d. h. viele verschiedenen grammatischen Ansätze mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

    Ein weiterer solcher Ansatz ist die Valenz-Dependez-Grammatik. Diese Grammatik hat ihren Namen, weil sie die Sätze vom Verb ausgehend, in Abhängigkeit (Dependenz) von der Wertigkeit (Valenz) des finiten Verbs, beschreibt.

    Was meint die Rede von der Wertigkeit des Verbs? Ganz einfach: Ein finites Verb "verlangt" immer eine bestimmte Anzahl weiterer Satzteile, d. h. Subjekt und Objekt(en), damit ein vollständiger Satz dabei herauskommt; im Deutschen gibt es ein-, zwei- und dreiwertige Verben:

    1. "schlafen" ist z. B. einwertig: Die finite Form "schläft" verlangt nur nach einem Subjekt, dann ist der Satz komplett: "Er schläft." ist ein vollständiger und grammatisch korrekter Satz der deutschen Sprache; "... gut" wäre eine mögliche Erweiterung des Satzes, aber nicht obligatorisch.
    2. "schlagen" ist z. B. zweiwertig: Die finite Form "schlägt" verlangt mindestens (s.o., Anm. 41!) ein Substantiv und ein Akkusativobjekt: "Peter schlägt seine kleine Schwester." (so ein Lümmel!), "Der SC schlägt den VFB." (schön wär´s...); "... mit 3:2 Toren." wäre eine mögliche, nicht obligatorische Erweituerung.
    3. "schenken" ist z. B. dreiwertig: Das finite Verb "schenkt" verlangt mindestens (s. o. Anm.41!) ein Subjekt, ein Dativ- und ein Akkusativobjekt: "Der junge Mann schenkt ihr rote Rosen." (schon wieder!); "... zum Geburtstag." wäre eine mögliche, nicht obligatorische Erweiterung.

    Die Aufgliederung des Satzes erfolgt also in ähnlicher Weise wie bei der Konstituenten-Strukturgrammatik, nur ist die hierarchische Struktur hier anders konzipiert: An der Spitze steht sozusagen das Verb, von diesem hängen die übrigen Satzteile ab; es gibt in der Valenz-Dependenz-Grammatik also nicht die verschiedenen Ebenen der IC-Analyse, sondern die Satzteile Subjekt und Objekt(e) sind in der Hierarchie gleichgestellt und vom Verb abhängig. Die Valenz-Dependez-Grammatik beschäftigt sich aber nur mit den obligatorischen Satzteilen (s.o.)! D. h. nicht obligatorische Teile werden hier nicht weiter untersucht.

    Die Dependenzbeziehung zwischen dem finiten Verb und den weiteren Satzteilen ist jedoch etwas anders geartet als diejenige zwischen rote und Rosen (s. o. 6.2.8 –3.): Genaugenommen handelt es sich hier um eine Interdependenzbeziehung, also eine wechselseitige Abhängigkeit! Denn nicht nur Subjekt und Objekt(e) hängen vom Verb ab, sondern natürlich auch das Verb in gewisser Weise von Subjekt und Objekt(en) – alleine bildet das Verb eben keine "stabile Verbindung", d. h. keinen vollständigen Satz der deutschen Sprache.
     
     

    7. Block

    7.1 Wiederholung

    Valenz? Beschreibt eine Teil-Teil-Beziehung zwischen Satzteilen. Wir interessieren uns hier nahezu ausschließlich für die Valenz der finiten Verben; es gibt aber auch eine Valenz von Adjektiven oder (selten) Nomen.

    Fragen der Valenz? 1. Frage nach dem Wieviel? Also nach der Wertigkeit (= Bindefähigkeit) des Verbs. 2. Frage nach dem Welche? Also welche Elemente bindet dieses Verb an sich? Diese Frage ist nicht immer ganz leicht und oft nur intuitiv zu beantworten!

    Adjektive? Können auch durch Valenz beschrieben werden. Bsp.: "schuldig". Ist dreiwertig! 1. Nominalgruppe Nominativ (z. B. "Der Mann", "Der ehemalige Firmenchef", ...), 2. Verbalgruppe (z. B. "ist", "bekennt sich", ...), Nominalgruppe Genitiv od. Präpositionalgruppe (z. B. "des Mordes an seiner Frau.", "am Konkurs des namhaften Konzerns.", ...).

    7.2 Neuer Stoff

    7.2.1 Vertiefung Valenzgrammatik

    Für eine komplette Valenzbeschreibung werden zunächst immer drei Fragen gestellt:

    1. Wie viele Bindungsstellen hat das Verb? (= wieviel-wertig ist das Verb?)
    2. Wie lassen sich die Segmente morphosyntaktisch beschreiben?
    3. Wie lassen sich die Segmente semantisch / inhaltlich beschreiben?

    Beispiele: "wohnen"

    (Ich // wohne // hier., Meine Tante // wohnt // in Freiburg., ...)

    1. Zweiwertig!
    2. 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ!

    3. 2. Aktant: Adverb oder Adverbialphrase
    4. 1. Aktant: menschlich (= hum.)

    5. 2. Aktant: örtlich (= lok.)

    7.2.2 Aktanten und Zirkumstanten (Tesnier)

    Diese beiden Aktanten sind also unmittelbar an das Verb gebunden; das Verb hat dafür Bindungsstellen...

    Wie sieht das aus bei einem Satz wie Ich // wohne // hier // schon lange., d. h. genauer: mit einem Element wie ... schon lange.? Das ist ja nun offensichtlich nicht "unmittelbar" an das Verb gebunden; man kann es aber hinzufügen, "wenn man möchte"...

    Solche nicht unmittelbar zum Verb gehörenden, eben nur "möglichen" Elemente nennt man Circumstanten (od. Zirkumstanten). Diese Begriffe gehen auf den Franzosen Tesnier zurück.

    7.2.3 fakultative und obligatorische Aktanten

    Also könnte man einfach sagen, Aktanten seien die Teile, die unbedingt ergänzt werden müssen und Zirkumstanten diejenigen, die eben nicht unbedingt nötig sind, um einen grammatikalisch korrekten Satz zu erhalten? Leider nein... so einfach iss´es nicht!

    Man muß vielmehr die Aktanten noch unterteilen in die sog. obligatorischen Aktanten, eben die (zur Bildung eines akzeptablen Satzes) zwingend notwendigen, und die fakultativen Aktanten; das sind solche Elemente, die zwar auch "irgendwie unmittelbar" an das Verb gebunden sind, aber eben doch u. U. auch wegbleiben könne, ohne den Satz völlig zu "verstümmeln".
     
     

    Beispiel: "beißen"

    (A1 Der Hund // beißt //A2 den kleinen Jungen.)

    1. Zweiwertig! 1 obligatorisch, 2 fakultativ

    2. d. h. der erste Aktant (A1) kann nicht weggelassen werden, der zweite (A2) schon.
    3. 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ

    4. 2. Aktant: Nominalphrase Akkusativ
    5. 1. Aktant: tierisches (anim.) oder menschliches Lebewesen (bel.)

    6. 2. Aktant: physikalisches Objekt

    Noch ein Beispiel: "stehlen"

    (A1 Der Dieb // stiehlt //A2 der alten Frau //A3 ihre Perlenkette)

    1. Dreiwertig! 1 obligatorisch, 2 + 3 fakultativ
    2. 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ

    3. 2. Aktant: Nominalphrase Dativ
      3. Aktant: Nominalphrase Akkusativ.
    4. 1. Aktant: menschlich

    5. 2. Aktant: menschlich (z. B. die Frau) oder menschl. Einrichtung (Geschäft, Museum...)
      3. Aktant: Gegenstand, Sache...

    Und noch eins: "spenden"

    (A1 Ich // spende //A2 tausend Mark //A3 an Brot für die Welt.,

    A1 Familie Müller // spendt //A3 dem Roten Kreuz //A2 drei Wolldecken., ...)

    1. Dreiwertig! 1 obligatorisch, 2 + 3 fakultativ.
    2. 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ

    3. 2. Aktant: Nominalphrase Akkusativ
      3. Aktant: Nominalphrase Dativ oder Präpositonalgruppe
    4. 1. Aktant: menschlich

    5. 2. Aktant: physikalisches Objekt (bzw. dadurch, z. B. Banknoten, ausdrückbar)
      3. Aktant: menschlich (direkt = Einzelperson oder indierekt = Organisation)

    Es ist unmittelbar einleuchtend, daß der erste Aktant obligatorisch ist: Einen Spender brauchen wir, den kann ich nicht weglassen, sonst wird der Satz falsch. Die beiden anderen sind fakultativ - einer kann immer weg bleiben.

    7.2.4 Lesarten eines Verbs

    Was wäre denn dann aber (Achtung: "Bananenschale"!) mit dem Satz Ich spende Blut. (offensichtlich zweiwertig...)?! Oder mit dem Verb glauben und Sätzen wie

    1. A1 Ich // glaube //A2 an Gott.
    2. A1 Ich // glaube //A2 Du spinnst!
    3. A1 Ich // glaube //A2 dir, //A3 daß Du unschuldig bist.???

    Ist das nun zwei- oder dreiwertig?!

    Betrachten wir zunächst einmal jeden Satz einzeln:

    1.I zweiwertig, beide Aktanten obligatorisch

    1.II 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ
    2. Aktant: Präpositionalgruppe

    1.III 1. Aktant: menschlich
    2. Aktant: Abstraktum (Ideologie, höheres Wesen ...)

    2.I zweiwertig, beide Aktanten obligatorisch

    2.II 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ

    2. Aktant: Relativsatz

    2.III 1. Aktant: menschlich

    2. Aktant: Sachverhalt

    3.I dreiwertig, 1. + 2. Aktant obligatorisch, 3. Aktant fakultativ

    3.II 1. Aktant: Nominalphrase Nominativ

    2. Aktant: Nominalphrase Dativ

    3. Aktant: Relativsatz

    3.III 1. Aktant: menschlich

    2. Aktant: menschlich

    3. Aktant: Sachverhalt

    Ja was denn nu´?!

    Ganz einfach: Das gleiche Verb kann verschiedene Funktionen / Bedeutungen, verschiedenen Lesarten haben! Und jede muß ich eben einzeln beschreiben. D. h. ich muß meinen Fragenkatalog um die Frage nach der Lesart erweitern:

    1. Gibt es mehrerer Lesarten? Wenn ja: Welche liegt vor?
    2. Wie viele Bindungsstellen hat das Verb? (= wieviel-wertig ist das Verb?)
    3. Wie lassen sich die Segmente morphosyntaktisch beschreiben?
    4. Wie lassen sich die Segmente semantisch / inhaltlich beschreiben?

    Und schon ist alles kein Problem mehr! Von spenden gibt´s eben zwei Lesarten und von glauben sogar derer drei (ja ja, mit dem Glauben ist das halt so eine Sache – da kann man nie genau sagen, was das ist...).

    Weitere Beispiele für Verben mit mehreren Lesarten wären schreiben oder kochen:

    Schreiben kann die Lesart "von Beruf Schriftsteller sein" haben – dann ist es einwertig:

    A1 Ich //schreibe. – A1 ist natürlich obligatorisch (Nominalphrase Nominativ)

    Es kann die Lesart haben "schriftstellernd in diesem oder jenem Ressort tätig sein" – dann ist es zweiwertig:

    A1 Ich // schreibe //A2 Gedichte – In diesem Sinne sind A1 und A2 hier obligatorisch.

    Es kann die Lesart haben "für jemdn. eine Nachricht verfassen" – dann ist es sogar dreiwertig:

    A1 Ich // schreibe //A2 ihm //A3 einen Brief.

    A1 Der Student // schreibt //A2 eine Hausarbeit //A3 für den Professor. (...oder hast Du tatsächlich schon mal was für Dich selbst geschrieben?!) – Hier ist wieder nur A1 (Nominalphrase Nominativ, menschlich) obligatorisch, A2 (Nominalphrase Dativ, direkt / indirekt menschlich) und A3 (Nominalphrase Akkusativ, Nachricht i. w. S.) sind fakultativ, wobei das gleiche gilt wie im Beispiel spenden oben: Einer der beiden fakultativen Aktanten A2 und A3 muß folgen; ich kann sowohl sagen Ich schreibe ihm – dann ist der Brief automatisch mit gemeint; oder ich kann sagen Ich schreibe einen Brief – daß der dann auch einen Empfänger hat liegt in der Natur der Sache und kann deshalb wegbleiben; ich kann aber nicht sagen Ich schreibe. – In dieser dritten Lesart des Verbs schreiben wäre der Satz unvollständig; oder ich würde "unversehens in die erste Lesart hineinschlittern", die ich aber gar nicht meine.

    Bei kochen liegt der Fall ähnlich: Hier gibt zwei (oder drei?) Lesarten:

    1. kochen i. S. v. "den Siedepunkt erreicht haben":

    A1 Das Wasser // kocht! Gießt Du mal den Tee auf?

    2. kochen i. S. v. "eine Mahlzeit zubereiten":
    A1 Die Mutter // kocht //A2 das Mittagessen ( - so gehört sich das!)
    Und? Was machst Du grad? - A1 Ich koch´ // A2 (grad) was!

    3., eventuell: kochen i. S. v. "sehr verärgert sein":
    A1 Ich // koche (A2 vor Wut?)! – Hier wurde im Seminar keine eindeutige Unterscheidung getroffen, ob das eine eigene Lesart ist oder unter eine andere subsumiert werden kann.

    Ich würde für letzteres, und zwar für die Subsumierung unter die erste Lesart plädieren – denn ich hebe mit dem Ausdruck "Ich koche!!!" metaphorisch (und dieser Metaphorik bin ich mir durchaus bewußt, das war der Streitpunkt im Seminar) auf die inhaltlichen Qualitäten der ersten Lesart ab: Ich meine nicht, daß ich mich selbst gerade zubereite (das wäre die zweite Lesart), sondern daß ich den mentalen Siedepunkt erreicht habe und ich gleich vor Wut "überschäume" (noch ´ne Metapher!), d. h. die angestaute Energie unkontrolliert aus mir herausbricht wie die überschäumende Milch aus dem Topf – das "vor Wut" wäre dann kein Aktant, sondern eben nur Circumstant, der eben die metaphorische Qualität explizit macht.

    7.2.5 Sonderfall "Zwangsplural"

    Wie steht´s mit Verben wie zusammenstoßen? Sowohl der Satz A1 Wir // sind zusammengestoßen als auch der Satz A1 Ich // bin //A2 mit ihm // zusammengestoßen ist korrekt. Der erste Satz würde nahelegen, daß dieses Verb offenbar nur einen obligatorischen Aktanten A1 hat. Andererseit kann aber natürlich beim zweiten Satz A2 nicht wegbleiben. Ich bin zusammengestoßen ist einfach kein akzeptabler deutscher Satz. Und zwei verschiedenen Lesarten sind´s auch nicht – das Verb hat beide Male exakt die gleiche Bedeutung!

    Was nun?

    Der Haken ist: Es gibt bestimmte Verben, die ihrem semantischen Wesen nach nur im Plural existieren könne, Verben, zu denen zwei Handelnde gehören ohne daß man sagen könnte (wie bei Ich glaube dir, daß... , Ich schenke dir ... , Ich spende dir ... ), der eine sei der Aktive, der Täter (der Glaubende, der Schenkende, der Spendende...), der andere der Passive, mit dem etwas getan wird (der dem geglaubt wird, der der beschenkt wird, der dem gespendet wird...): Ein solches Verb ist zusammenstoßen – da kann man eben nicht sagen der eine sei der Aktive, der "Zusammenstoßende" und der andere der Passive, der "Zusammengestoßene"; zu einem Zusammenstoß gehören eben zwei. Weitere Beispiele hierfür wären streiten, kämpfen etc.

    Solche Verben sind also einwertig, sie erfordern nur einen Aktanten, da aber eben in zwei Nominalphrasen auseinanderfallen kann.

    7.2.6 Nullwertige Verben

    Und noch ´ne "Bananenschale": Was ist mit Wörtern wie regnen, schneien... und Sätzen wie Es regnet, Es schneit...?

    Ganz klar: Diese Verben sind einwertig! Oder?

    Hm. Wenn man sich die obigen Beispiele so anschaut, so fällt auf, daß man die einzelnen Aktanten auf der paradigmatischen Ebene durch nahezu unendlich viele andere Aktanten der selben (morphosyntaktischen und inhaltlichen) Art ersetzten konnte (der gute alte Substitutionstest). Das ist offenbar ein Merkmal eines Aktanten: Er ist Teil einer großen Menge gleichartiger Aktanten.

    Im Fall der Verben regnen, schneien usw. trifft das aber nicht zu! Da gibt´s zum Es keine Alternative. Es ist quasi eine "Pseudo-Nominalphrase", ein ganz bestimmtes Morphem, das fest an das Verb gebunden ist; es bindet nicht an eine vom Verb eröffnete Bindestelle. Deshalb nennt man solche Verben nullwertig. Dazu gehören alle Witterungsverben.

    7.2.7 Die Valenzen der deutschen Verben.

    Bisher hatten wir gesagt, es gebe im Deutschen ein-, zwei- und dreiwertige Verben. Jetzt müssen wir also noch die nullwertigen hinzunehmen.

    Ja und was ist denn dann mit einem Satz wie A1 Er // legte //A2 ihr //A3 die Hand //A4 auf die Schulter.?!?! Da ist legen doch vierwertig!!! Oder? (Achtung: Schon wieder ´ne Bananenschale!)

    Nein, isser nicht! Der ist nur unnötig kompliziert konstruiert: Man kann die Konstruktion vereinfachen zu A1 Er // legte //A2 die Hand //A3 auf ihre Schulter. Das ist exakt die gleiche Aussage, nur die Konstruktion wurde verändert.

    Es bleibt also dabei: Im Deutschen gibt es null-, ein-, zwei- und dreiwertige Verben.

    7.2.8 Semantische Rollen (Fillmore)

    Die bisherige Betrachtung, d. h. v. a. die inhaltliche Beschreibung der einzelnen Aktanten eines Satzes hat einen Schwachpunkt: Sie beschreibt die Aktanten nach inhaltlichen Merkmalen, die für die Bedeutung der Aussage oft nebensächlich sind. Wir erinnern uns – das war das Beispiel mit dem Richter: Bei dem Satz A1 Der Dieb // stiehlt //A2 der alten Frau //A3 ihre Perlenkette (s.o.) ist es doch letztlich egal, daß der Dieb und die alte Frau beide menschlich sind; das ist zwar wahr, aber nicht im Mittelpunkt des Interesses. Wichtig ist die Frage, wer der Täter und wer das Opfer ist – wer also bestraft werden soll.

    Die Beschreibung der Aktanten nach solchen Kriterien wurde von Fillmore propagiert. Er prägte für diese Ebene der syntaktischen Beschreibung der Satzteile den Begriff der Semantischen Rollen. So hat z. B. im obigen Beispiel der Dieb die semantische Rolle "Agens" und die alte Frau hat die semantische Rolle "Patiens".

    Diese semantischen Rollen sind universell (od. universalistisch), d. h. in allen Sprachen der Welt in dieser Form zu finden. Es gibt ca. sieben bis neun verschiedenen semantische Rollen; mit diesen lassen sich alle Sätze aller Sprachen syntaktisch beschreiben. Beispiele:

    Das Geschehen wird bei Fillmore also wie eine Bühnenszene beschrieben. Man spricht deshalb auch von der Semantischen Szene; der Satz wird beschrieben als ein Gefüge von semantischen Rollen.

    7.2.8.1 Exkurs: Genus verbi und semantische Rollen.

    Im Deutschen gibt es drei sog. Genus verbi, nämlich 1. Aktiv, 2. werden-Passiv, 3. bekommen-Passiv.

    Das Genus verbi eines Satzes wirkt sich auch auf die semantischen Rollen aus: Der Agens kann z. B. in den Passivsätzen ausgeblendet werden (Der alten Frau wurde ihre Perlenkette gestohlen.)

    Die verschiedenen Generei verbi geben also die Möglichkeit, ein und die selbe semantische Rollenstruktur in verschiedener Weise zu realisieren.
     
     

    7.2.9 Diathese...

    Diathese ist also die Abbildung von etwas aus Ebene A (die universell für alle Sprachen ist) in Ebene B (die für die verschiedenen Nationalsprachen jeweils individuell ist)!!!

    So sind z. B. bestimmte Reflexiv-Konstruktionen ("Das Buch liest sich gut.") und modale Infinitive ("Das Buch ist gut zu lesen.") für das Deutsche individuell.

    7.2.10 ...und was bewirkt sie?

    Wozu gibt es nun aber die verschiedenen Möglichkeiten, ein und die selbe semantische Rollenstruktur auf verschiedenen Weise auszudrücken? Dies ist ein in allen Sprachen zu beobachtendes Phänomen - das ist ein Indiz dafür, daß es mehr ist als nur eine "Laune" der einzelnen Sprachen; dafür gibt es offenbar einen guten Grund...

    7.2.10.1 Exkurs: Das Stern-Strich-Experiment

    Ein Bild dieser Art

    *



     
     
     
     

    beschreiben die meisten Menschen mit einem Satz wie "Der Stern steht über dem Strich." - nur wenige würden sagen "Der Strich liegt unter dem Stern."

    D. h. die meisten Menschen machen hier den Stern zum Subjekt des Satzes. Woran orientiert man sich aber bei diesem Vorgang (= bei dieser Diathese)? Was macht man gemeinhin zum Subjekt?

    Dafür gibt es wiederum allgemeingültige, universelle Gesetzmäßigkeiten:

    - Menschen sind in ihrer Wahrnehmung an der Schwerkraft orientiert, d. h. sie ordnen "von oben nach unten" an. Deshalb ist in solchen Bildern das oben stehende Element meistens das Subjekt.

    - Menschen neigen dazu, die punktuelle Figur Stern in den Vordergrund zu stellen und den Strich als Hintergrund und Horizont dafür zu betrachten. Deshalb ist der Stern Subjekt.

    Kognitionswissenschaftlich ausgedrückt: Der höchstpräferierte Gegenstand, der mit dem höchsten Salience-Wert wird zum Subjekt! Also bedeutet z. B. der Wechsel von Aktiv nach Passiv einen Wechsel in der Präverenzordnung, einen Wechsel der kognitiven Prävalenz / Salienc.
     
     

    8. Block

    (... war ich nicht anwesend; es folgt also nur eine kurze Erklärung des Modells; für Details wie die exakte Einordnung der Diathese in diese Modell bitte bei Herrn Schecker rückfragen oder auf den eigenen Kopf vertrauen.)

    8.1 Das Levelt-Modell
     

    9. Block

      1. Klausur: "Diathese?"

    Sinngemäß:

      1. Referate

    Da die Referate gewissermaßen "Zusatzstoff" sind und nicht unmittelbar in den Bereich einer Einführung in die Linguistik gehören, gehe ich auf sie nicht ausführlich ein, sondern skizziere teilweise nur kurz die Thematik.

    9.2.1 Der Genitiv

    Frage: Wie sinnvoll ist die Beschäftigung mit dem Genitiv / die Beschreibung der verschiedenen Funktionen des Genitivs so, wie sie die gängige Schulgrammatik vornimmt?

    Die Schulgrammatik beschränkt sich gewöhnlich darauf, die verschiedenen Formen des Genitivs zu unterscheiden und zu definieren, also z. B. Genitivus possesivus, Genitivus …

    Auf diese Weise läßt sich eine Liste von 14 und mehr verschiedenen Genitiven erstellen – es fragt sich nur, wozu das gut sein soll. Solche Listen haben rein katalogisierende Funktion, sie nützen weder einem Native speaker noch einem/r AusländerIn, der/die die deutsche Sprache erlernen will.

        1. Wozu Syntax?

        2.  

           
           
           
           
           
           
           
           
           

          Ausgangsfrage (bewußt provokant formuliert): Wozu brauchen wir überhaupt Syntax? Man kann sich doch auch sehr gut mit "syntaxlosen" Äußerungen verständigen!

        3. Assoziative Entgleisungen bei Schizophrenie

    Schizophrenie zeigt sich auch auf der sprachlichen Ebene, durch sog. assoziative Entgleisungen. Was meint das?

    Es ist völlig normal, daß wir bei allem was wir hören oder sagen zunächst "unterschwellig", "unbewußt" verschiedene Assoziationen aufbauen, von denen die meisten – eben bis auf diejenige, die im laufenden Gesprächskontext gerade tatsächlich relevant sind – kurz darauf wieder "deaktiviert" werden (d. h. die unterschwellige Aktivierung der Neuronen, die für die Darstellung dieser im Moment unbrauchbaren Assoziationen zuständig sind, wird rasch wieder bis zum Ruhepotential abgebaut).

    Beispiel: Wenn ich mich gerade mit einer Freundin über die Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes, die am kommenden Samstag, 15.01., stattfinden wird, und ein passendes Geschenk unterhalte, fällt mir vielleicht im Zusammenhang mit diesem Gespräch ein – natürlich ohne daß ich das ausspreche – daß ja auch Erbonkel Fritz bald Geburtstag hat und ich mir tunlichst ein Geschenk überlegen sollte, wenn ich ihn bei Laune halten will; daß ich mit diesem Freund vor kurzem in einem tollen Film war; daß ich im vergangenen Jahr an diesem Datum eine Reise begonnen habe; …

    Weiteres Beispiel: Wenn ich einen Satz wie "Er wollte die Birne herausschrauben." höre, weiß ich erst nach dem letzten Wort, welche Birne – der Leuchtkörper oder die Frucht? – gemeint ist. Bis zu diesem Zeitpunkt sind beide möglichen Varianten unterschwellig aktiv. Erst wenn die anfängliche Ambiguität vereindeutigt wurde (in diesem Fall durch das Verb), wird die unpassende Variante ausgeblendet (d. h. die Teilaktivierung klingt ab, s.o.) und die in diesem Fall gültige voll aktiviert.

    Solche unterschwelligen Assoziationen bleiben meistens unbewußt – sie bestehen aber in jedem Fall und bei allem was wir hören und sagen in irgendeiner Form.

    Außerdem strömen ständig verschiedenste Sinneseindrücke aus der Umwelt auf uns ein: Hintergrundgeräusche wie Straßenlärm, Wind, Gespräche vor der Tür..., visuelle Eindrücke wie die Bewegung der Blätter eines Busches im Wind, Fußgänger auf der anderen Straßenseite usw. – auch solche Dinge bewirken zunächst immer eine gewisse unterschwellige Aktivierung, sie werden aber normalerweise sehr rasch ausgeblendet, ohne bis in unser Bewußtsein vorzudringen.

    Für gesunde Menschen ist das alles also kein Problem: Die unterschwellige Aktivierung der nicht benötigten Bedeutung und sonstigen Sinneseindrücke wird innerhalb weniger Millisekunden abgebaut, wie sich in Primingexperimenten zeigen läßt. Gedächtnisinhalte wie diese Assoziationen zum Thema Geburtstag / Freund / 15. Januar... werden ebenfalls wieder deaktiviert und haben keinen "Zugang" zum aktuell laufenden Gespräch. Geräusche und visuelle Eindrücke nehmen wir gar nicht bewußt war.

    Hierfür sind diverse Selektionsmechanismen verantwortlich, die im gesunden Gehirn ständig ablaufen. Sie ermöglichen die Konzentration auf ein bestimmtes Thema und schützen uns vor Überforderung durch zu viele Sinneseindrücke (denn ein Zuviel an Wahrnehmung wirkt sich als Streß mit all seinen Symptomen aus).

    Diese Mechanismen funktionieren bei Schizophrenen nicht mehr / nur noch unzureichend. D.h. sie werden durch all diese Assoziationen und fortwährenden Sinnesreizungen förmlich überschwemmt und überfordert. Sie können deshalb in einem Gespräch nicht mehr selektiv vorgehen, schweifen somit sehr schnell vom vorliegenden Thema ab und produzieren scheinbar völlig unpassende und zusammenhangslose Äußerungen (man erinnere sich an die Nacherzählung der Fabel mit dem Esel, in der dann plötzlich die Pamir auftaucht…). Die Patienten wissen bald auch nicht mehr, was der Gesprächspartner tatsächlich gesagt hat und was seine eigenen Gedanken und Assoziationen dazu waren. Das kann dazu führen, daß er etwas, was er selbst gedacht hat, seinem Gesprächspartner als Äußerung unterstellt – oder daß er seine eigenen Gedanken für die Stimmen unsichtbarer Personen hält. Der überschießende Reizeinstrom führt ebenfalls zu ständigen Mißdeutungen der Situation – an sich unwesentliche, zufällig auftretende Details werden als relevant / bedrohlich / rätselhaft mißdeutet; auf diese Weise kann es z. B. zu Wahnvorstellungen und Verfolgungsängsten kommen.

    10. Block
     

      1. Wiederholung: Levelt-Modell

      2.  

         
         
         
         
         
         
         

        Funktion des Lexikon? Das Lexikon bei Levelt ist zweiseitig: Es enthält

        1. semantische Inhalte i. w. S. (lemmas) und

        2. Ausdrucksseiten (forms). Zunächst erfolgt (bei der Sprachproduktion?) der Zugriff auf die Inhalte.

      3. Neuer Stoff: Lexikalische Semantik / Semantische Syntax

    10.2.1 Die Inhaltsseite des Leveltschen Lexikon (lemmas)

    Was ist nun mit "semantischen Inhalten i. w. S." (s. o.) gemeint?

    Die lemmas des Levelt-Modells enthalten zum einen so etwas wie das de Saussursche concept, also ein Wissen / eine Vorstellung der Dinge der realen Welt, auf welche sie sich beziehen; zum anderen enthalten sie aber zusätzlich noch einige weitere grammatische Informationen: z. B. das grammatische Geschlecht des Wortes, seine Wertigkeit (vgl. Valenzgrammatik), die Wortart (Nomen / Adjektiv / Verb...) etc.

    Wenn man also bei der Sprachproduktion auf einen solchen Inhalt zugreift, aktiviert man immer neben der Bedeutung auch einige grammatische Informationen, die die weitere Bearbeitung, d.h. die Einbindung in einen Satz maßgeblich mitbestimmen (bzw. die nähere Form dieses Satzes bestimmen).

    Bsp.: das Verb "stehlen"

    Wenn ich dieses Wort aus meinem leveltschen Lexikon abrufe, um einen entsprechenden Sachverhalt darzustellen, aktiviere ich nicht nur die Vorstellung von einer bestimmten Handlung "einen Gegenstand dem rechtmäßigen Besitzer wider dessen Willen zu Zwecke der dauerhaften Aneignung wegnehmen" o. ä., sondern auch die Information, daß es sich bei diesem Wort um ein Verb handelt und daß diese Verb dreiwertig ist, also drei offene Bindungsstellen mit sich bringt. Mit der Aktivierung dieses Wortes habe ich mich also quasi schon "verpflichtet", noch (mindestens) eine geeignete Nominalgruppe Nominativ (z. B. "Der Dieb"), eine Nominalgruppe Dativ (z. B. "der alten Frau") sowie eine Nominalgruppe Akkusativ (z. B. "die Perlenkette") hinzuzufügen.

    Durch die Abwahl eines solchen lemmas wähle ich also automatisch eine bestimmte syntaktische Struktur mit - man spricht in diesem Zusammenhang deshalb auch von lexikalisch basierter Syntax oder lexikalisch basierter Grammatik.

    Außerdem enthält diese Inhaltsseite auch noch "Adressen", d. h. Informationen darüber, wo die zugehörige Wortform zu finden ist; sonst müßte man ja jedesmal bei der Suche nach der zugehörigen Wortform (denn die konkrete Form gehört ja nicht zum "lemma", das ist dann die "form"!) das ganze Formenregister durchsuchen, was viel zu viel Zeit in Anspruch nähme.

    Zusammenfassend: Das leveltsche Inhaltslexikon enthält also drei verschiedene Informationstypen:

    1. das concept ("Bedeutung"...)

    2. grammatische Informationen (z. B. Wortart, grammatisches Geschlecht, Valenz...)

    3. Adressen. ("Speicherplatz" der einzelnen Wortformen)
     
     

    Natürlich genügt es nicht, nur eine strukturelle Verknüpfung zwischen den lemmas und den form mittels der Adressen zu haben: Was hilft es, daß man bei der Sprachproduktion die forms theoretisch schnell finden kann, wenn man zunächst einmal Ewigkeiten braucht, um überhaupt den geeigneten inhaltlichen Eintrag (wir erinnern uns: "Zunächst erfolgt der Zugriff auf die Inhalte", s. o.) zu finden?!

    Dieses Lexikon hat also auch eine inhaltliche Struktur, semantisch verwandte Bereiche sind irgendwie miteinander verknüpft. Alle diese semantisch assoziierten Inhalte werden automatisch ebenfalls "unterschwellig aktiviert", wenn ein bestimmter Inhalt abgerufen wird; sie stehen dann schnell zur Verfügung. Die älteste Theorie, die eine solche inhaltliche Struktur beschreibt, ist die

    10.2.2 Wortfeldtheorie

    Beispiel Wortfeld "Verwandtschaftsbeziehungen"
     


     

    - Die in < > stehenden Items (Generation, Verwandtschaftsgrad, Geschlecht) (und auch diverse allen Begriffen dieses Wortfelds gemeinsame Items wie "konkret", "belebt", "menschlich", s. u.) sind semantische Merkmale der Begriffe, sog. Seme.

    - Die Seme einer Ebene stehen zueinander in Opposition (also: <direkte Verwandtschaft> steht in Opposition zu <indirekte Verwandtschaft> / <-2 Generation> steht in Opposition zu <-1 Generation> steht in Opposition zu <gleiche Generation> steht in... / <a > steht in Opposition zu <` >)
     
     

    Weiteres Wortfeld-Beispiel:
     

    legen liegen
    stellen stehen


     

    - Wenn man die beiden Wortfelder miteinander vergleicht, fällt auf, daß die Wörter eines Wortfeldes immer zu einer Wortart gehören, also entweder Nomen oder Verb oder...
     
     

    Jeder einzelne Eintrag in einem Wortfeld ist also durch eine Liste verschiedener Merkmale (Seme) genau determiniert. Hierbei unterscheidet man:

    distinguishers, das sind die Merkmale, die die einzelnen Begriffe eines Wortfelds voneinander abgrenzen; für das Beispiel Bruder also <direkte Verwandtschaft>, <`>, <gleiche Generation>.

    klassematische Merkmale, das sind allen Begriffen dieses Wortfelds gemeinsame Merkmale; für das Beispiel Bruder (wie auch für alle anderen Begriffe aus dem Wortfeld Verwandtschaftsbeziehungen also "konkret", "belebt", "menschlich" s. o.).

    Eine solche Sem-Liste, die einen bestimmten Begriff determiniert, nennt man ein Semem.
     
     

    Ein Semem ist also eine

    spezifische Art der Bedeutungsbeschreibung

    unter Rückgriff auf ein Wortfeld!!!






    ... und zwar eine sog.

    10.2.3 intensionale Bedeutungsbeschreibung

    Das ist:

    - eine systeminterne Beschreibung

    - nach dem "Verhält-sich-zu...-Prinzip".

    Heißt konkret:

    - Systemintern ist eine derartige Beschreibung, weil sie sich vollzieht mit Blick auf und in Abgrenzung zu den anderen Begriffen dieses Systems / Wortfeldes. Gut strukturalistisch: "Jedes einzelne Element eines Wortfeldsystems ist - mal wieder - das, was alle anderen Elemente dieses Wortfelds nicht sind!" (...womit wir wieder bei de Saussure wären...).

    - "Verhält-sich-zu...-Prinzip": "Bruder verhält sich zu Schwester wie Vater zu Mutter wie Opa zu Oma..."

    Am Beispiel des Währungssystems:

    Eine intensionale Beschreibung wäre eine Beschreibung der Art: "1 Pf. ist der hundertste Teil von 1 DM; 2 Pf. sind der fünfte Teil von 10 Pf.; 10 DM sind der zehnte Teil von 100 DM..." etc.pp.: Der Wert der einzelnen Münzen und Scheine wird hier ausschließlich in Abhängigkeit / in Relation zu den anderen Münzen und Scheinen des Währungssystems beschrieben; de Saussure spricht hier regelrecht von der valeur eines Begriffs.

    Dinge wie "Kaufkraft", d. h. Dinge, die außerhalb des umgrenzten Systems liegen, bleiben bei einer derartigen Beschreibung außenvor - weil sie nämlich intensional ist.

    Für alle die´s immer noch nicht gemerkt haben: die intensionale Bedeutungsbeschreibung gehört in den Bereich des Strukturalismus!!! Sie umfaßt das, was de Saussures concept beinhaltet.
     
     

    Wenn es aber eine solche intensionale, systeminterne, dem Strukturalismus zuzuordnende Bedeutungsbeschreibung gibt, dann gibt´s natürlich - in Abgrenzung dazu - auch noch eine andere Art der Bedeutungsbeschreibung, nämlich die

    10.2.4 extensionale Bedeutungsbeschreibung

    Erwartungsgemäß umfaßt eine solche extensionale Beschreibung auch Dinge, die über das geschlossene System hinausgehen. Für unser Beispiel des Währungssystems wäre das z. B. ein Beschreibung des Typs "Für ein Zweimarkstück bekomme ich im Laden schon ein halbes Pfund Butter." - denn die Butter gehört definitiv nicht mehr zum Währungssystem, sie wird hier aber dazu herangezogen, den Wert des Zweimarkstücks zu beschreiben. Eine solche Bedeutungsbeschreibung gehört in den Bereich der Pragmatik.

    10.2.5 Das Kommunikationsmodell (Organon-Modell) von Bühler

    Bühler berücksichtigte in seinem Kommunikationsmodell nicht nur die konkrete Bedeutung, die ein bestimmtes Zeichen innerhalb eines Sprachsystems hat, sondern er bezog auch den Sprecher, den Hörer und die komunikative Situation mit in sein Modell ein. Er spricht in diesem Zusammenhang von den verschiedenen Funktionen, die ein sprachliches Zeichen / eine Aussage haben kann:

    Jakobson ergänzte noch folgende Funktionen:

    11. Block

    11.1 Wiederholung: Levelts Lexikon

    Geschwindigkeit... ...der Sprachverarbeitung und –produktion ist enorm! Nur denkbar durch vielfältige Formen der inhaltlichen Strukturierung der Sprache; eine davon ist die Strukturierung in

    Wortfelder: Diese zeichnen sich dadurch aus, daß in einem bestimmten Wortfeld immer nur eine Wortart enthalten ist. Die Strukturierung erfolgt dadurch, daß eine Opposition zwischen den Merkmalen besteht.

    Seme: Einzelne Merkmale, die den verschiedenen Elementen des Wortfelds zueigen sind

    Opposition Seme eines bestimmten Typs, die einem bestimmten Element eines Wortfelds zueigen sind, schließen für dieses Element alle anderen Seme des gleichen Typs aus. Bsp.: Wenn das Element "Bruder" aus dem Wortfeld "Verwandtschaftsbeziehungen" durch das Sem "gleiche Generation" des Typs "Generationenrelation" gekennzeichnet ist, dann können andere Seme des gleichen Typs, z. B. "eine Generation darunter", "zwei Generationen darüber", ... nicht gleichzeitig eine Eigenschaft des spezifischen Wortfeldelements sein: Diese Seme stehen sämtlich zueinander in Opposition.

    Analogie meint die Verhält-sich-zu- ... -wie- ... –Beziehungen: "Opa" verhält sich zu "Oma" wie "Vater" zu "Mutter" – zwischen den Wortpaaren Opa-Oma und Vater-Mutter besteht eine Analogie.

    Semem : Liste von Merkmalen, die einen bestimmten Eintrag (ein bestimmtes Element) eines Wortfeldes beschreibt.

    valeur: die de-Saussur´sche Bezeichnung für ein Semem; der "Wert" eines bestimmten Wortes, d. h. (gewagt formuliert): Die Summe charakteristischen Merkmale, die das concept diese Wortes ausmachen. Es handelt sich hierbei um eine intentionale Bedeutungsbeschreibung.

    11.2 Neuer Stoff / Vertiefung

    11.2.1 Extensionale vs. intensionale Bedeutungsbeschreibung

    Eine intensionale Bedeutungsbeschreibung beschränkt sich auf die Abgrenzung eines Wortes von allen anderen Elementen des gleichen Wortfeldes (das war die Sache mit den Währungseinheiten: 1DM ist 1/5 von 5 DM und 10x soviel wie 10 Pf etc.) sowie auf die "sachliche" Beschreibung der Bedeutung, d. h. auf die Auflistung typischer Merkmale.

    Eine extensionale Beschreibung umfaßt dagegen alles, was ich potentiell mit einem Wort bezeichnen (!!!) kann.

    11.2.2 Metasprachliche Ebene – Objektsprachliche Ebene
    und extensionale Bedeutungsbeschreibung

    Wir erinnern uns an die Grafik
     
     

    ______ Metasprachliche Ebene ___________

    "wahr", "schön", "Theorie" …
     
     

    ______ Objektsprachliche Ebene __________

    "Baum", "Stuhl", "Schnee" …
     
     

    ______ Ebene der realen Objekte __________ ...

    Baum, Stuhl, Schnee …
     
     

    - und was hat das nu´ mit extensionaler und intensionaler Bedeutungsbeschreibung zu tun?!

    Wir erinnern uns gleich noch mal: Wir haben ehedem schon festgestellt, daß zur metasprachlichen Ebene Wörter wie z. B. "wahr" gehören – diese sind "metasprachlich", weil sie sich ihrerseits auf andere Wörter / Aussagen (auf der objektsprachlichen Ebene) beziehen.

    Die Verwendung eines Wortes wie "wahr" setzt aber auch eine Wirklichkeit voraus, in der dieses Ding, auf den sich das Wort bezieht real – eben wahr - ist; und das wiederum setzt voraus, daß es auch die Möglichkeit – oder: eine denkbare andere Wirklichkeit… (!) – gibt, in der das selbe Ding eben unwahr ist – d. h.: Die Verwendung eines Ausdrucks wie "wahr" setzt bereits voraus, daß es für den/die Sprechende/n mehrere denkbare Wirklichkeiten gibt…

    Und damit sind wir schon bei einer Weiterentwicklung der extensionalenBedeutungsbeschreibung; dazu aber später.

    Zurück zur klassischen extensionalen Bedeutungsbeschreibung, die auch "wahrheitswertfunktionale Bedeutungsbeschreibung" genannt wird:
     
     

    Die extensionale Bedeutungsbeschreibung beschreibt nämlich,
    wie die Welt wäre, wenn die Aussage wahr wäre:
    "Die Aussage `Der Schnee ist weiß´ ist wahr genau dann, wenn der Schnee weiß ist."

    Alles klar?! Vermutlich nicht... also: Beispiel!

    "Der Schnee ist weiß."

    Intensional gedacht wird hier ein (sehr zentrales) Merkmal der Bedeutung von Schnee beschrieben; wohlgemerkt: weiß ist ein semantisches Merkmal des Konzepts Schnee – nicht des realen Schnees, der im Winter liegt; der mag u. U. auch weiß sein, das steht hier aber nicht zur Debatte. Entsprechend ist dieses semantische Merkmal des Konzepts auch unveränderlich, egal, was in der Realität möglicherweise vorfällt und den referierten realen Gegenstand dahingehend verändert, daß er diesem Konzept nicht mehr entspricht...

    Was aber, wenn "es nicht einfach schneit", sondern geäußert wird: (A): "Möglicherweise wird es schneien."? Oder "Wie das aussieht, muß es gleich schneien."?

    Der Sprecher unterstellt hier eine Vielzahl möglicher Welten; unter anderem gibt es eine mögliche Welt, in der (A) der Fall ist – dies ist (wie der Sprecher weiß) nicht unbedingt die reale Welt (aber im vorliegenden Fall (A) vermutlich die, die der Sprecher für die wahrscheinlichste hält)! Um das zu erfassen, benötigt man die extensionale Bedeutungsbeschreibung.

    11.2.3 Mögliche-Welten-Semantik

    Weil bei dieser Art von Semantik, die extensionale Bedeutungsbeschreibungen hervorbringt, (solange wir von Bedeutungsbeschreibungen reden, befinden wir uns immer – zumindest auch – auf dem Gebiet der Semantik!) mit verschiedenen Möglichkeiten bzw. Modellen der Wirklichkeit gearbeitet wird, nennt man sie auch Modelltheoretische Semantik oder Mögliche-Welten-Semantik.

    11.2.3.1 Möglichkeit - Notwendigkeit

    Die Mögliche-Welten-Semantik unterscheidet:

    1. Möglichkeit: (A) ist in (mindestens) einer möglichen / denkbaren Welt der Fall.
    2. Notwendigkeit: (A) ist in jeder möglichen / denkbaren Welt der Fall.

    11.2.3.2 Mögliche-Welten-Semantik und Weltwissen

    Zu einer Mögliche-Welten-Semantik gehört – trotz vielfältiger denkbarer Möglichkeiten – daß die Elemente des Weltwissens Geltung behalten: Man bezieht sich also immer auf das, was nach unserem Wissen darüber, wie die Welt aufgebaut ist, möglich erscheint.

    Bsp.: "Wenn der Stein in diesem Ring grün wäre, dann könnte er ein Smaragd sein."

    Heißt: Dieser nicht-grüne Stein ist offensichtlich zumindest in der realen Welt kein Smaragd, es ist aber eine Welt denkbar, in der er ein Smaragd wäre, und wenn dies der Fall wäre, dann wäre er auf jeden Fall grün: Wir beharren also auf unserm Weltwissen, das uns sagt, das Smaragde immer grün sind.

    11.2.3.3 Konjunktiv, Modaladverbien etc.

    Noch´n Beispiel: "Wenn Peter heute Morgen um 8:15 den Zug am Gare de l´ Est gekriegt hätte, dann wäre er heute Abend um kurz nach sechs in Freiburg am Bahnhof." – Auch dieser Satz ist – wie schon die letzten beiden Beispiele - nur richtig beschreibbar, wenn man die Mögliche-Welten-Semantik anwendet.

    Das Konzept einer Mögliche-Welten-Semantik ist also notwendig für die Beschreibung von Sprach-Modi wie Konjunktiv, Modaladverbien; eine solche extensionale Bedeutungsbeschreibung geht über einen normalen Aussagesatz hinaus und berücksichtigt mehrere Möglichkeiten.

    11.2.4 "Bedeuten" vs. "meinen"

    "Der Teufel soll dich holen!"

    "So eine dumme Kuh!"

    A zu B, der drei Stunden später als vereinbart kommt:

    "Du warst mir wirklich einen große Hilfe!"

    An solchen drastischen Beispielen wird sehr schnell klar, daß ein himmelweiter Unterschied zwischen der Bedeutung einer Aussage und dem, was damit gemeint ist, bestehen kann:

    Die Bedeutung von "Teufel" ist ungefähr: "Herr der Finsternis, Höllenfürst, der gefallene Engel Luzifer…"; die Bedeutung von "Kuh": "Paarhufiges, größeres Säugetier, typisches Nutztier, gibt Milch etc. pp". "Große Hilfe" bedeutet, daß der Angesprochene wesentlich zum Erreichten beigetragen hat… Das ist mit Sicherheit nicht das, was der Sprecher sagen wollte bzw. was für ihn bei seiner Äußerung im Mittelpunkt stand …

    Wenn man eine solche Äußerung wie die obigen tut, ist diese konkrete Bedeutung der Wörter eher nebensächlich (wohlgemerkt: nicht gleichgültig – man denke an das "doofe Sofa"; einzelne Aspekte der ursprünglichen Bedeutung spielen am Rande schon noch eine Rolle.) oder (im Falle der Ironie) relevant allenfalls insofern, als das genaue Gegenteil dessen, was das Gesagte bedeutet, gemeint war: Man meint natürlich nicht, daß der andere ein "größeres, paarhufiges, milchgebendes Nutztier" sei - sondern man will ihn beschimpfen; man meint nicht, daß der andere tatsächlich eine wertvolle Unterstützung war – sondern eben das Gegenteil.

    Kurz: Ausdrücke haben eine bestimmte Bedeutung – aber was gemeint ist wenn ein Sprecher sie anwendet, kann u. U. etwas ganz anderes sein.

    11.2.5 Semantik vs. Pragmatik

    Wenn man von meinen und bedeuten redet, bewegt man sich zwischen Pragmatik und Semantik:
     
     

    "Was macht ein Sprecher mit …?" - "wozu?" èPragmatik

    "Was mein er, wenn / indem er sagt …?"

    à Beschreibung dessen, was ich mit einem Ausdruck mache,

    / meine, was ich "sprechhandle".

    êé

    "Ausdrücke haben eine Bedeutung" èSemantik

    à Beschreibung der Bedeutung
     
     

    Es besteht also offenbar eine Interrelation zwischen der Bedeutung einerseits und dem, was man damit meint andererseits.
     
     

    Beispiel: "Es zieht!"

    Bedeutung: Wenn man nur die Bedeutung beschreibt, kann man darüber nicht mehr sagen, als daß hier eine Aussage über bestimmte Luftverhältnisse in einem Raum getroffen wir, etwa daß die Luft aufgrund eines offenstehenden Fensters in Bewegung ist… Auf das Organon-Modell (s.o.) übertragen: Die Bedeutungsbeschreibung befaßt sich also offenbar nur mit der referentiellen Funktion der Sprache.

    Es ist aber wohl klar, daß diese (sicherlich zutreffende) Bedeutung in 99% der Fälle, da diese Äußerung getätigt (!!!) wird, nicht das eigentlich für den Sprecher Wesentliche erfaßt…

    Gemeint ist: Der Sprecher will mit solchen Äußerungen normalerweise sein Mißbehagen über diesen Sachverhalt ausdrücken (nota bene!) (Organon-Modell: Emotive bzw. expressive Funktion), und er will vermutlich den Adressaten seiner Aussage dazu veranlassen, hier Abhilfe zu schaffen indem er z. B. das Fenster schließt (Organon-Modell: AppellativeFunktion).

    Die Wörter äußerung tätigen, ausdrücken und veranlassen weisen schon auf den Handlungsaspekt einer solchen Aussage hin. Dies fällt also in den Bereich der Pragmatik: Die Pragmatik betrachtet Sprache grundsätzlich als Handlung – "Sprechen ist Handeln!"
     
     

    Wenn ich also beschreibe, was ein Sprecher mit Ausdrücken einer Sprache macht, dann beschreibe ich grundsätzlich Handlungen. Hier muß die Intention enthalten sein, der der Sprecher folgt!

    Muster der Handlungsbeschreibung:

    Frage: - "Wozu?"

    Antwort: - "um zu …" – Intention, Zielsetzung...: "Um zu beschimpfen / ein Stück Wirk- lichkeit wiederzugeben / …"

    Merke:

    Ausdrücke haben also eine Bedeutung – aber: Ausdrücke bezeichnen nichts!!! Es ist der Sprecher, der die Dinge bezeichnet! (Sprechen ist Handeln, und handeln kann nur eine Person.). Die Fragestellung der Pragmatik ist immer auch, mit welcher Intention oder zu welchem Zweck der Sprecher dies tut.

    11.2.6 Exkurs: Prototypensemantik

    (siehe Handout!)

    Anmerkungen:

    12. Block

    12.1 Wiederholung:

    Gab´s heut nicht, bzw. wurde durch ein umfassendes Protokoll geleistet, welches die gesamte vergangene Stunde zusammenfaßte.

      1. Nachtrag zur vergangenen Stunde

    12.2.1 Semanalyse und intensionale Bedeutungsbeschreibung

    Die Semanalyse spielt sich auf der objektsprachlichen Ebene ab! Die Dinge der Metasprachlichen Ebene lassen sich nicht mehr / nur mangelhaft durch die Auflistung von Semen beschreiben. Die Semanalyse gehört in den Bereich der intensionalen Bedeutungsbeschreibung!

    Die extensionale Bedeutungsbeschreibung geht über diese und über die Semantik hinaus und berührt bereits den Bereich der Pragmatik.

    12.2.2 Die Modalitäten der Mehrere-Möglichkeiten-Semantik

    Man muß drei Modalitäten unterscheiden:

    1. Unmöglich: "In keiner denkbaren Welt ist x möglich."
    2. Möglich: "In mindestens einer denkbaren Welt ist x möglich."
    3. Notwendig: "In allen denkbaren Welten ist x der Fall."

    12.2.3 Pragmatik und Kontext

    Die Pragmatik, die sich ja eben auch bzw. v. a. für den / die SprecherIn interessiert und untersucht, was er oder sie mit seiner Aussage intendiert / bezweckt, kann auch den Kontext mit einbeziehen, in dem eine Aussage getroffen wird.

    Die Berücksichtigung des Kontexts schränkt dann natürlich auch die Möglichkeiten dafür ein, was mit einer Aussage gemeint war: "Wenn das hier aus Gold wäre, wäre es ganz schön wertvoll." – ohne Kontext betrachtet müssen hier immer mehrere Möglichkeiten angenommen werden (z. B. "Gold" ist der Fall vs. "Gold" ist nicht der Fall...); mit Blick auf den Kontext – z. B. der Sprecher hebt während des Sprechens seine ersichtlich aus Leder gefertigte Brieftasche hoch – werden die aktuell nicht zutreffenden Möglichkeiten aber ausgeblendet.



    Dieses Script wurde von Silke Maisch verfasst und von Kai Martin Wiegandt bearbeitet. Korrekturvorschläge sind willkommen unter kai_wiegandt@hotmail.com